# taz.de -- Kindeswohlgefährdung durch Lockdown: Ausmaß unbekannt
       
       > Wie viele Kinder derzeit unter Gewalt leiden, weiß niemand genau. Bremer
       > Sozialarbeiter*innen staunen, wie gut viele Familien klarkommen.
       
 (IMG) Bild: Niemand weiß, wieviele Kinder derzeit aufgrund der Einschränkungen misshandelt werden
       
       BREMEN taz | Bisher gibt es keinen Anstieg von Meldungen wegen
       [1][Kindeswohlgefährdung oder Herausnahmen von Kindern] aus ihren Familien,
       ausgelöst durch die Einschränkungen aufgrund der Pandemie-Maßnahmen. Das
       ergibt ein [2][aktueller Bericht von Sozialsenatorin Anja Stahmann]
       (Grüne). „Der Kinder- und Jugendnotdienst verzeichnet keinen Anstieg der
       Fallzahlen, vielmehr einen signifikanten Rückgang, insbesondere in der
       Altersgruppe der Schulkinder“, heißt es darin.
       
       Gleichwohl bedeute dies nicht, dass es keine Fälle von akuter
       Kindeswohlgefährdung gebe, sagt Bernd Schneider, Sprecher der
       Sozialsenatorin. Denn zum einen seien es oft Mitarbeiter*innen in Schulen
       und Kitas, die auf gefährdete Kinder aufmerksam werden – da derzeit nur
       eine Notbetreuung stattfindet, fallen diese als Meldeinstanzen weg.
       
       Gleichzeitig haben die sozialen Dienste ihre Angebote eingeschränkt. So hat
       laut Deputationsbericht der behördliche Fachdienst junge Menschen „die
       persönlichen Vorsprachen auf ein Minimum reduziert, und arbeitet vorrangig
       unter dem Einsatz von Post-, Telefon-, E-Mail-Kommunikation.“
       
       Kinderschutzorganisationen warnen deshalb seit Beginn des Lockdowns vor
       einem Anstieg von Gewalt gegenüber Kindern, den niemand mitbekommt.
       Besonders Kinder in Familien, die sich ohnehin in einer schwierigen Lage
       befänden, seien gefährdet, hatte vergangene Woche die Geschäftsführerin des
       [3][Kinderschutzbunds in Bremen dem Weser-Kurier gesagt]. Derzeit steige
       der Druck in diesen Familien – und damit auch die Gewalt.
       
       ## Routine-Untersuchungen verschoben
       
       Diese Sorge hatte auch der Sprecher des Berufsverbands der Bremer
       Kinderärzte, Torsten Spranger, [4][in der taz geäußert] – bezogen auf alle
       Kinder. „Das Problem ist, dass wir nicht wissen, was zu Hause geschieht.“
       Kinderärzte hätten nur halb so viele Patient*innen wie sonst, weil viele
       aus Angst vor Ansteckung nicht in die Praxis kämen.
       
       Auch die Routine-Vorsorgeuntersuchungen waren bei Kindern ab zwei Jahren
       zunächst verschoben worden, sollen aber wieder aufgenommen und auch
       kontrolliert werden, wie ein Sprecher der Gesundheitssenatorin der taz
       sagte. Wenn Kinder trotz Aufforderung durchs Gesundheitsamt nicht
       vorgestellt werden, gibt dieses eine Meldung an das Jugendamt.
       
       Auch der Sprecher der Sozialsenatorin befürchtet eine verstecke Zunahme
       häuslicher Gewalt. „Familiäre Krisen können sich jetzt verschärfen“, sagt
       Schneider. Es könne aber auch Familien geben, „die die zusätzliche
       gemeinsame Zeit nutzen, um Konflikte zu bearbeiten und dabei gute Erfolge
       haben“. Und: „Die Familien mobilisieren Ressourcen, die man ihnen
       vielleicht gar nicht zutrauen würde.“ Genaueres wisse man aber erst, wenn
       die Einschränkungen aufgehoben sind.
       
       Ein ähnliches vorsichtiges Fazit zieht die Hans-Wendt-Stiftung nach sieben
       Wochen Pandemie-Lockdown. „Mein Eindruck ist, dass es im Großen und Ganzen
       funktioniert“, sagt Hans-Jürgen Lahann, der den Bereich der ambulanten
       Erziehungshilfen bei der Stiftung leitet, einem der größten Bremer Träger
       von Sozialarbeit in belasteten Familien.
       
       Lahanns Team ist im Kontakt mit rund 60 Familien. Auch ihm hätten sich
       anfangs die „Nackenhaare aufgestellt bei der Vorstellung, dass diese
       Familien jetzt die ganze Zeit zusammen eingesperrt sind“, wie er es
       ausdrückt. Aber seine Mitarbeiter*innen hätten den Eindruck, dass auch
       diese Menschen sich mit der Situation arrangiert hätten. „Einige bemühen
       sich um eine Tagesstruktur für ihre Kinder, in dem Rahmen, in dem sie es
       eben können.“
       
       Da sie derzeit deutlich weniger vor Ort in den Wohnungen seien und viele
       Kontakte telefonisch liefen, bleibe „ein Rest Misstrauen“. Dennoch nehme er
       für die Zeit nach Corona mit, dass viele dieser Familien sich besser zu
       helfen wissen als oft angenommen.
       
       4 May 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Kinderschutz-in-Zeiten-von-Corona/!5677902
 (DIR) [2] https://sd.bremische-buergerschaft.de/sdnetrim/UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZbvkMZIutI2qwWPk6kYw_k4oOFO06B3AntJoUqtQS1q_/T0P_4_L_und_4_S_Anlage_zum_Sachstands-_und_Lagebericht.pdf
 (DIR) [3] https://www.weser-kurier.de/bremen/bremen-stadt_artikel,-warnung-vor-folgen-fuer-kinder-aus-benachteiligten-familien-_arid,1910403.html
 (DIR) [4] /Kinderarzt-ueber-Corona-Massnahmen/!5678362
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eiken Bruhn
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Familie
 (DIR) Schwerpunkt Coronavirus
 (DIR) Bremen
 (DIR) Kinder
 (DIR) Gewalt gegen Kinder
 (DIR) Gewalt gegen Kinder
 (DIR) Schwerpunkt Coronavirus
 (DIR) Schwerpunkt Coronavirus
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Misshandelte Kinder im Lockdown: Gewalt gibt es in allen Schichten
       
       Die Corona-Maßnahmen führten dazu, dass Kinder in benachteiligten Familien
       von ihren Eltern misshandelt werden, heißt es oft. Das ist diskriminierend.
       
 (DIR) Kinderarzt über Corona-Maßnahmen: „Kinder sind keine Virenschleudern“
       
       Ob Shutdown oder Lockerungen – alles sei aus Erwachsenensicht gedacht, sagt
       Torsten Spranger vom Verband der Kinder- und Jugendmediziner.
       
 (DIR) Kinderschutz in Zeiten von Corona: Hinter den Gardinen​
       
       Die Corona-Krise stellt die Kinder- und Jugendhilfe vor große
       Herausforderungen. Jugendämter warnen vor häuslicher Gewalt und
       Kindesmissbrauch.​