# taz.de -- Gewerkschafter über Arbeitskampf an Unis: „DGB-Gewerkschaften knicken zu schnell ein“
       
       > Warnstreik an den Unis! Die hessische Hochschulgewerkschaft Unterbau
       > kämpft um einen Tarifvertrag für studentische Hilfskräfte.
       
 (IMG) Bild: Protest der studentischen Basisbewegung Unterbau im Februar 2024 an der Goethe-Universität in Frankfurt/Main
       
       taz: Herr Rauch, überall wird gestreikt, nicht nur bei der Gewerkschaft
       Deutscher Lokführer (GDL), auch im öffentlichen Dienst in Hessen. Ihre
       Gewerkschaft Unterbau setzt sich an der Frankfurter Goethe-Universität
       unter anderem für studentische Hilfskräfte ein. Am Dienstag haben Sie
       zusammen mit Verdi und GEW zum Warnstreik aufgerufen. Warum? Die
       Ampelregierung hat sich doch gerade auf eine Reform des
       Wissenschaftszeitgesetzes (WissZeitVG) geeinigt. Verbessert das die
       Arbeitsbedingungen an Hochschulen denn nicht? 
       
       Benjamin Rauch: Nein. Dieser Entwurf bringt nichts Gutes. Das WissZeitVG
       ist und bleibt eines der gewerkschaftsfeindlichsten Gesetze in Deutschland,
       es ist Ausdruck neoliberaler Demokratiefeindlichkeit. Die Novellierung
       untergräbt die Tarifautonomie der Hochschulen weiter im Sinne der
       Arbeitgeber. Neu für studentische Hilfskräfte ist, dass sie sogar 8 Jahre
       befristet beschäftigt werden dürfen statt nur 6. Die Ampel schenkt uns also
       zwei weitere Jahre Arbeit zu miserablen Bedingungen, na vielen Dank! Einzig
       sinnvoller Aspekt ist, dass ein Arbeitsvertrag mindestens 12 Monate laufen
       muss.
       
       Das hat Verdi im Dezember sowieso schon mit den Arbeitgebern, also der
       Tarifgemeinschaft der Länder, vereinbart. 
       
       Ganz genau, und das ist ein Verdienst der studentischen Basisbewegung
       TVStud, die sich bundesweit für einen Tarifvertrag für Hilfskräfte einsetzt
       und der wir von Unterbau auch angehören. Klar, längere Vertragslaufzeiten
       sind ein kleiner Fortschritt. Es erleichtert die Organisierung von
       Hilfskräften und den Arbeitskampf, wenn diese nicht nach viereinhalb
       Monaten schon wieder weg sind. Als großen Erfolg, wie Verdi die Regelung
       verkauft, sehen wir das aber nicht.
       
       In Hessen gilt sie bislang sowieso nicht. Erklären Sie uns, warum. 
       
       Hessen genießt Tarifautonomie. Das heißt, hier wird immer gesondert
       verhandelt, während alle anderen 15 Bundesländer gemeinsam mit dem
       Arbeitgeberverband, der Tarifgemeinschaft der Länder, verhandeln. Dort gab
       es schon im Dezember eine Einigung. Der hessische Tarifvertrag für den
       öffentlichen Dienst ist erst im Januar ausgelaufen, unsere Verhandlungen
       haben im Februar begonnen, vergangene Woche gab es den ersten Warnstreik
       und nun den zweiten.
       
       Rechnen Sie damit, dass Hessen [1][einen Tarifvertrag für Hilfskräfte]
       erringen kann? In den anderen Bundesländern sind TVStud und Verdi damit ja
       gescheitert. 
       
       Ja, das hoffen wir und dafür werden wir so lange streiken, wie es nötig
       ist. Wir sind viele und wir sind entschlossen. Ein Vorteil an der
       Tarifautonomie ist: Wir könnten Hessen zu einem Leuchtturm für gute Arbeit
       in der Wissenschaft machen. Bisher orientiert man sich hier oft an den
       anderen Ländern. Der dortige Abschluss war für studentische Beschäftigten
       leider sehr enttäuschend. Aber das ist bei DGB-Gewerkschaften ja oft so,
       sie geben zu schnell nach, knicken ein, unterschreiben irgendwas, das weit
       unter ihren eigenen Forderungen liegt, und verkaufen das dann sogar noch
       als Erfolg, selbst wenn es Reallohnverluste bedeutet. Das finde ich
       vermessen und höchst problematisch. Das Ziel war doch klar: ein
       Tarifvertrag und höhere Löhne für Hilfskräfte. Das wurde nicht erreicht.
       Stattdessen gibt es jetzt mit 13,25 Euro pro Stunde ein paar Cent mehr als
       Mindestlohn, festgehalten in einer fragwürdigen schuldrechtlichen
       Vereinbarung.
       
       Diese haben die Arbeitgeber jetzt auch für Hessen vorgeschlagen. Was soll
       das überhaupt sein? 
       
       Tja, das ist so ein kreatives Konstrukt, mit dem die Arbeitgeber sich an
       einem Tarifvertrag vorbeimogeln wollen. Es ist rechtlich bindend, einklagen
       können es aber nur Gewerkschaften, nicht die einzelnen Beschäftigten. Ganz
       genau wissen die Arbeitgeber wohl selbst nicht, was das sein soll.
       Allerdings haben sie uns jetzt schon größere Zugeständnisse als in den
       anderen Ländern gemacht, das werten wir als Erfolg.
       
       Was fordert [2][Ihre Gewerkschaft] denn in der aktuellen Tarifrunde? 
       
       Wir meinen nicht nur das mit dem Tarifvertrag ernst, sondern fordern auch
       sonst viel mehr und viel essenziellere Dinge als Verdi und GEW: Kita-Plätze
       für studentische Beschäftigte, ein Budget für mehr Barrierefreiheit an den
       Arbeitsplätzen und Hilfsmittel für Hilfskräfte mit Behinderung, 12 Wochen
       Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Da gibt es aktuell eine Gesetzeslücke.
       Was den Lohn betrifft, fordern wir mindestens 18 bis 20 Euro pro Stunde,
       die anderen Gewerkschaften nur 16,50.
       
       Etwas Leuchtturm-Charakter hat Frankfurt ja schon. Es war Ihre kleine
       Gewerkschaft, die im Februar an der Goethe-Universität hessenweit erstmals
       für eine Personalvertretung von Hilfskräften gesorgt hat.
       
       Die Räte stehen im Hessischen Personalvertretungsgesetz, aber von der
       Leitung der Goethe-Uni haben wir wenig Initiative gesehen, das umzusetzen.
       Also haben wir selbst eine Wahlordnung geschrieben und diese im Senat
       vorgeschlagen. Bei der Wahl haben mehr als 30 Prozent ihre Stimme
       abgegeben, das war die höchste Wahlbeteiligung seit mehr als 15 Jahren. Das
       ist großartig, auch für die Demokratie! Die Liste des Unterbau hat im
       Ergebnis 5 und die des DGB 2 Sitze erhalten.
       
       Hat dieses Tigerchen denn Zähne? Was bringt so ein Hilfskräfterat? 
       
       Es gibt Missstände, bei denen der Rat uns definitiv helfen wird. Oft halten
       Arbeitgeber ja die grundlegenden Rechte nicht ein – da wird Urlaub nicht
       genommen, Krankheitstage werden nachgearbeitet, Überstunden nicht bezahlt
       oder Vorgesetzte verlangen eine unfassbare Flexibilität. Durch den Rat
       können wir unsere Kolleg*innen überhaupt erst offiziell kontaktieren und
       über ihre Rechte informieren. Neben diesen Basics der Arbeitnehmerrechte
       sehen wir den Rat auch als ein strategisches Instrument. Die Forderungen,
       die wir durchsetzen wollen – Kinderbetreuung, Urlaubsanspruch,
       Weihnachtsgeld oder die Unterstützung von Hilfskräften mit Behinderung –,
       kann der Rat auf die Agenda setzen und in der Hochschulöffentlichkeit
       bekannt machen. Der Rat bringt also auch etwas bei unserem Kampf um einen
       Tarifvertrag!
       
       Sie haben Verdi und GEW kritisiert. Welche Vorteile sehen Sie denn darin,
       sich in einer kleineren Gewerkschaft wie Unterbau zu organisieren? 
       
       Weil der Unterbau als lokale Basisgewerkschaft viel näher dran ist an den
       Interessen von Kolleg:innen und Studierenden vor Ort. Hier können wir
       viel selbstbestimmter agieren, als das bei Verdi möglich wäre, wo ich auch
       Mitglied, aber nicht aktiv bin. Denn dort stört mich, dass die
       Hauptamtlichen sehr stark die Richtung vorgeben und dann von den
       Ehrenamtlichen vor Ort erwartet wird, dass sie das umsetzen. Das ist eine
       Verkehrung dessen, was Gewerkschaft sein soll. Eigentlich sollten doch alle
       Entscheidungen von denen getroffen werden, die davon an ihren
       Arbeitsplätzen auch betroffen sind.
       
       Wo wir gerade bei anderen Gewerkschaften sind: Was halten Sie eigentlich
       von der GDL? [3][Wegen deren Streik] fuhren am Dienstag kaum Züge, viele
       Beschäftigte aus Hessen konnten deshalb nicht zu Ihrem Warnstreik in
       Frankfurt anreisen. Ist das nicht ironisch? 
       
       Trotz des GDL-Streiks sind am Dienstag mindestens 2.500 Kolleg*innen aus
       verschiedenen hessischen Städten zum Warnstreik nach Frankfurt gekommen.
       Klar, hätten wir noch mehr sein können, aber wir von Unterbau sind zu 100
       Prozent solidarisch mit der GDL! Gegenüber einem Arbeitgeber wie der Bahn,
       die sich keinen Deut um ihre Beschäftigten schert, sind harte Streiks die
       einzige Option. Mit der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung können sich
       bei uns an der Uni viele Beschäftigte identifizieren – vor allem in
       Verwaltung und Mittelbau, wo es einen starken Trend zu Arbeitsverdichtung
       und Überbelastung gibt. Mein Eindruck ist, die Streiks treffen bei vielen
       Leuten auf mehr Verständnis, als die Berichterstattung einiger Medien den
       Anschein erweckt.
       
       13 Mar 2024
       
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