# taz.de -- Fußballnacht von Sevilla 1982: Spiel mit Langzeitwirkung
       
       > Dem WM-Halbfinalsieg der DFB-Elf in Sevilla vor fast 40 Jahren gegen
       > Frankreich ist ein Buch gewidmet. Es war weit mehr als nur ein
       > Fußballspiel.
       
 (IMG) Bild: Bild des hässlichen Deutschen: Keeper Harald Schumacher verletzt Patrick Battiston rücksichtslos
       
       Als Erstes eine knifflige Quizfrage aus dem Bereich der
       Fußball-Weltmeisterschaften: Welcher Spieler war 1982 Kapitän der deutschen
       Nationalmannschaft im Halbfinale der WM in Spanien gegen Frankreich?
       Karl-Heinz Rummenigge damals bester Stürmer Europas? Falsch, er war
       verletzt und wurde erst in der 97. Minute eingewechselt, nachdem er seinen
       lädierten Oberschenkel so lange mit Eis bearbeitet hatte, bis er nicht mehr
       schmerzte. Wer aber trug die Kapitänsbinde im Team von Bundestrainer Jupp
       Derwall? Richtig, es war Mister Bananenflanke Manfred Kaltz.
       
       Er und zwölf weitere deutsche Spieler erlebten in einer andalusischen
       Julinacht ein Fußballdrama, das die deutsche Mannschaft, die in der
       Verlängerung schon mit 1:3 zurückgelegen hatte, schließlich mit 5:4 im
       Elfmeterschießen gewann.
       
       Dieser einen WM-Begegnung hat Stephan Klemm, Sportredakteur beim Kölner
       Stadt-Anzeiger, [1][ein 192 Seiten starkes Buch mit dem Titel „Die Nacht
       von Sevilla“ gewidmet], das im Oktober erschienen ist. Im Grunde neun
       Monate zu früh, denn das 40-jährige Jubiläum der Partie steht erst am 8.
       Juli 2022 an. Aber warum nicht früher sein als alle anderen?
       
       Es ist ein Buch mit einem hohen Anspruch an sich selbst. Klemm, studierter
       Historiker und Germanist, hat mit wissenschaftlicher Akribie und viel Fleiß
       gearbeitet. Mit allen 13 deutschen Spielern, die in Sevilla im Estadio
       Sánchez Pizjuán auf dem Platz standen, hat er Interviews geführt, von
       Rummenigge, der nach seiner Einwechslung zum 2:3 traf, über Pierre
       Littbarski, Horst Hrubesch, der den entscheidenden Elfmeter verwandelte,
       den Förster-Brüdern bis zu Klaus Fischer, dem in Sevilla in der
       Verlängerung mit einem seiner berühmten Fallrückzieher das 3:3 gelang.
       
       Klemm ist quer durch Deutschland gereist – und im Hochsommer ins heiße
       Sevilla, um sich besser vorstellen zu können, wie hitzig es damals zuging.
       Auch die wichtigsten Präliminarien des Halbfinals werden thematisiert,
       unter anderem die sogenannte „Schande von Gijón“, der legendär-peinliche
       deutsch-österreichische Nichtangriffspakt im letzten Gruppenspiel, der
       beiden Mannschaften das Weiterkommen ermöglichte. Und natürlich auch das
       Nachspiel: Die Chancenlosigkeit der erschöpften deutschen Profis, die das
       Endspiel gegen Italien mit 1:3 verloren.
       
       Zudem sprach der Autor mit französischen Akteuren und mit Historikern.
       Klemm stellt heraus, dass dieses Halbfinale mehr als ein Fußballspiel war
       und besonders in Frankreich bis heute Spuren hinterlassen hat. „Sie
       verzweifeln weiterhin daran, trotz ihrer Fußballkunst doch noch verloren zu
       haben. Gegen die Kraft der Deutschen“, heißt es in der Einleitung.
       
       Und hier ist man sofort bei Harald „Toni“ Schumacher, Patrick Battiston und
       dem Bild des hässlichen Deutschen, [2][das durch die Aktion des Kölner
       Torhüters] in der 57. Minute gefüttert wurde, als er den französischen
       Verteidiger brutal niedermähte, wobei der Vorderzähne verlor und bewusstlos
       mit Gehirnerschütterung und einem Haarriss im Halswirbel vom Platz getragen
       werden musste. Schumachers Reuelosigkeit („Ich zahl ihm die
       Jackettkronen“), die Tatenlosigkeit des niederländischen Schiedsrichters
       Charles Corver, sodass Schumacher später zwei Elfmeter parieren konnte –
       die Ungerechtigkeiten hätten fast eine politische Krise ausgelöst.
       
       Im Kapitel „Das Monster von Sevilla“ analysiert Klemm ausführlich die
       Implikationen der Affäre. Und natürlich ist auch die heutige Sichtweise der
       längst geläuterten Schumacher ein großes Thema.
       
       Die „Nacht von Sevilla“, schön aufgemacht mit vielen historischen Fotos,
       ist ein Buch, das detailverliebte Fußball-Liebhaber begeistern wird.
       Diejenigen, die das Halbfinale am Fernseher verfolgten, werden sich an
       vieles erinnern und einiges dazulernen. Wer noch nicht lebte oder zu jung
       war, um das Spiel zu sehen, wird sich fast so fühlen, als habe er damals
       mitgefiebert.
       
       2 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://eriksbuchregal.de/
 (DIR) [2] /Fussballfouls-vor-Gericht/!5078528
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christiane Mitatselis
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Sevilla
 (DIR) Fußball-WM
 (DIR) Rezension
 (DIR) Fußballweltmeisterschaft
 (DIR) Kolumne Kulturbeutel
 (DIR) Fußball
 (DIR) Fußball
 (DIR) Gericht
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) (Aus)gezeichnete Fußballtore als Buch: Das Tor des Lebens
       
       Der Autor Javier Cáceres hat internationale Fußballgrößen ihr größtes Tor
       zeichnen und besprechen lassen. Eine Rezension.
       
 (DIR) Die Bratwurst und der Sport: Fußball ist nur der Senf dazu
       
       Ob Stadionwurst oder ein Metzger als Sponsor: Wichtig wird der Fußball
       immer, wenn's um die Wurst geht. Warum eigentlich?
       
 (DIR) Buch über Fußballprofi im Lockdown: In Zeiten des Stillstands
       
       Paul Lasne, Fußballprofi bei Stade Brest, hat über seine Erfahrungen mit
       dem Lockdown geschrieben. Sein Bericht ist poetisch und intim, fast frei
       von Fußball.
       
 (DIR) Fußballfouls vor Gericht: Tritte und Tränen
       
       Der Fußballplatz ist kein rechtsfreier Raum. Spieler können sich gegen üble
       Fouls wehren. So sieht es zumindest das Oberlandesgericht Hamm.