# taz.de -- Fernsehdebatte um den „Brexit“: Der Showdown vor dem Showdown
       
       > Im Fernsehen kämpfen prominente Gegner und Befürworter eines britischen
       > EU-Ausstiegs um die Stimmen der Wähler. Ausgerechnet Regierungschef
       > Cameron fehlt.
       
 (IMG) Bild: Bürgermeister gegen Bürgermeister: Sadiq Khan (hinten, m.) und Boris Johnson (vorne) bei der Debatte
       
       London dpa | Kurz vor der Öffnung der Wahllokale in Großbritannien liefern
       sich die Fürsprecher und Gegner eines Brexit im Live-Fernsehen noch einmal
       heftige Wortgefechte. Sie tragen die letzte große Schlacht um noch
       unentschlossene Wähler vor der historischen Entscheidung aus. Umfragen
       zufolge hat womöglich bis zu ein Drittel der Wahlberechtigten noch keine
       Wahlentscheidung getroffen.
       
       Doch ausgerechnet Regierungschef David Cameron ist bei der TV-Debatte nicht
       dabei. Der britische Premierminister überlässt das Feld am Dienstagabend
       dem Labour-Politiker und neuen Londoner Bürgermeister Sadiq Khan sowie
       anderen prominenten Brexit-Gegnern. Camerons Abwesenheit lässt Raum für
       Spekulationen: Hat er Angst vor einer Niederlage gegen Boris Johnson? Oder
       befürchtet er, die Wähler könnten seiner Wortmeldungen überdrüssig sein?
       
       An Schärfe fehlt es der Debatte jedenfalls nicht: Während Johnson, der ewig
       verstrubbelte Ex-Bürgermeister von London, der Gegenseite lauthals
       vorwirft, sie habe nichts als Furcht verbreitet, bezichtigt ihn Sadiq Khan
       einer Hass-Kampagne gegen Zuwanderer. Johnson sei sich auch für „große,
       dicke Lügen“ nicht zu schade. Und das, obwohl nach dem grausigen Mord an
       der Labour-Abgeordneten Jo Cox in der vergangenen Woche beide Seiten zur
       Mäßigung aufgerufen hatten.
       
       Doch von Zurückhaltung ist bei der Debatte im BBC-Fernsehen wenig zu
       spüren. Dazu trägt auch das Publikum von mehreren Tausend Menschen in der
       Londoner Wembley-Arena bei. Sie klatschen, pfeifen und buhen so laut, dass
       Moderator David Dimbleby mehrmals zur Ruhe auffordern muss.
       
       ## Mit der Antarktis argumentieren
       
       Und so reden sich die Brexit-Befürworter in Rage: Ein ökonomisches Desaster
       sei die EU, eine Maschine, die Arbeitsplätze vernichte, der Euro ein
       gescheitertes Projekt. Die deutschstämmige Labour-Abgeordnete Gisela Stuart
       behauptet gar, nur die Antarktis habe ein geringeres Wirtschaftswachstum
       als Europa.
       
       Auch von Handelshemmnissen nach einem Brexit will Boris Johnson nichts
       wissen. Jeder wisse schließlich, dass etwa ein Fünftel der deutschen
       Autoproduktion für den britischen Markt bestimmt sei. „Glauben Sie
       wirklich, die wären so verrückt und würden Zölle zwischen Deutschland und
       Großbritannien einführen?“, fragt er.
       
       Die Gegner eines Austritts verweisen auf die zahlreichen Experten und
       Institutionen, die vor einem wirtschaftlichen Schock im Falle eines Brexit
       warnen. „Nennen Sie mir ein Land, das uns ein besseres Freihandelsabkommen
       anbietet, wenn wir die EU verlassen“, fordert Ruth Davidson,
       Brexit-Gegnerin und Vorsitzende der schottischen Konservativen, ihren
       Parteifreund Johnson auf.
       
       ## Wahlkampf für das „Projekt Hass“
       
       Der zweite große Zankapfel heißt Immigration: Wohnungsnot, ein
       überstrapaziertes Gesundheitssystem, Druck auf dem Arbeitsmarkt – an all
       dem sei die unkontrollierte Einwanderung von EU-Ausländern maßgeblich
       schuld, sagen die Brexit-Befürworter. Und es komme noch schlimmer, denn die
       EU sei ja im Begriff die Türkei aufzunehmen.
       
       Da platzt Sadiq Khan der Kragen: „Was das Thema Zuwanderung angeht, war Ihr
       Wahlkampf nicht das „Projekt Angst“, sondern das „Projekt Hass““,
       schleudert er den Brexit-Befürwortern entgegen.
       
       Die letzten Worte der Debatte gehören Johnson. In seinem Schlussplädoyer
       platziert er eine versteckte Drohung an die EU und zeichnet das Bild einer
       Kettenreaktion: Würden die Briten für einen Austritt stimmen, gäben sie all
       jenen eine Stimme, die in Europa genau so denken wie sie. Und: Der Tag der
       Abstimmung könnte Großbritanniens Unabhängigkeitstag werden – tosender
       Beifall. Würde das Referendumsergebnis am Donnerstag von der
       Applaus-Lautstärke bei der TV-Debatte abhängen, ginge Johnson als Sieger
       hervor.
       
       22 Jun 2016
       
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