# taz.de -- Ein Algorithmus für bessere Integration
       
       > Wie kann man Schutzsuchende so in Kommunen verteilen, dass sie dort
       > Angebote finden, die zu ihren Bedürfnissen passen? Seit drei Jahren
       > erprobt das Projekt „Match‘In“ in vier Bundesländern dafür ein
       > Algorithmus-gestütztes Verfahren
       
 (IMG) Bild: Algorithmen verteilen humaner: Modell des Matching-Systems
       
       Von Robert Matthies
       
       Am Montag vergangener Woche schlug Hamburgs Finanzsenator Andreas Dressel
       (SPD) Alarm: Noch bekomme die Stadt die Unterbringung Geflüchteter hin,
       sagte er der Mopo. Derzeit versorge sie rund 47.000 Menschen, die
       Auslastung liege bei 97 Prozent. Für Unterbringung, Betreuung, Beschulung
       und Integration gebe Hamburg 2024 rund eine Milliarde Euro aus, 390
       Millionen Euro mehr als geplant. Lange sei das nicht mehr finanzierbar.
       
       Dressel fordert eine Reform des Königsteiner Schlüssels, der die
       Aufnahmequoten der Länder festlegt. „Es kann doch nicht sein, dass wir
       deutlich mehr Menschen unterbringen müssen, für die wir gar keinen Platz
       haben, als das Flächenland Mecklenburg-Vorpommern“, sagte er. Maßgeblich
       sind für den Schlüssel zu zwei Dritteln die Steuereinnahmen, die
       Bevölkerungszahl fließt zu einem Drittel ein. Hamburg nimmt aktuell rund
       2,6 Prozent aller Asylsuchenden auf, Mecklenburg-Vorpommern rund zwei
       Prozent. Indirekt beeinflusst der Königsteiner Schlüssel auch die
       Verteilung auf die Kommunen. Die meisten Länder verteilen proportional zur
       Bevölkerung, was zur Überlastung von Ballungsräumen führen kann. Vor allem
       die Stadtstaaten kritisieren das.
       
       Als „herausfordernd, aber (noch) machbar“ beschreiben bundesweit etwa 60
       Prozent der Kommunen ihre Lage bei der Unterbringung von Geflüchteten, rund
       40 Prozent berichten von einer Überlastung. Das hat im Herbst 2023 die
       Forschungsgruppe Migrationspolitik der Uni Hildesheim mit dem Mediendienst
       Integration ermittelt. Sie hatten Kommunen im ganzen Land befragt, mehr als
       600 hatten an der Online-Befragung teilgenommen.
       
       ## Für beide Seiten besser
       
       Mit dem Pilotprojekt „Match’In“ haben die Hildesheimer:innen auch
       einen Vorschlag, wie sich die Situation sowohl für die Kommunen als auch
       für die Schutzsuchenden verbessern ließe. Das Projekt erforscht und erprobt
       seit 2021, wie man das System der Verteilung auf die Kommunen so verbessern
       kann, dass sowohl auf die Bedürfnisse der Geflüchteten als auch auf die
       Bedingungen in den Kommunen mehr Rücksicht genommen werden kann. Beteiligt
       sind neben der Uni Hildesheim die Uni Erlangen-Nürnberg, die vier
       Bundesländer Niedersachsen, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und
       Nordrhein-Westfalen und je fünf oder sechs Kommunen sowie
       Vertreter:innen von Geflüchteten.
       
       Ein Ersatz für den Königsteiner Schlüssel soll das Projekt nicht
       konzipiert, sondern als ergänzender Mechanismus für eine flexiblere und
       bedarfsgerechtere Verteilung auf die Kommunen. Denn das Problem sei, dass
       Menschen im bisherigen System nur selten systematisch bedarfsgerecht Orten
       zugewiesen würden, sagt die Politikwissenschaftlerin Danielle Kasparick.
       Deshalb fänden sie dort oft nicht die passenden Angebote vor oder hätten
       nicht die Chance, ihre Kompetenzen einzubringen. Nur in Ausnahmefällen
       werden individuelle Bedürfnisse berücksichtigt, etwa wenn ein:e
       Ehepartner:in schon in einer Kommune lebt oder bei besonderen
       gesundheitlichen Bedarfen.
       
       Kasparick leitet die Forschungs- und Transferstelle Migrationspolitik an
       der Uni Hildesheim und führt das Projekt dort mit den
       Politikwissenschaftler:innen Hannes Schammann und Katharina Euler durch.
       An der Uni Erlangen-Nürnberg forschen Petra Bendel und Sonja Reinhold vom
       Forschungsbereich Migration, Flucht und Integration. Beteiligt ist außerdem
       die Hildesheimer Arbeitsgruppe Software Systems Engineering.
       
       Die Idee: Mithilfe eines Algorithmus sollen die Voraussetzungen und
       Bedürfnisse der Schutzsuchenden und die Strukturen und Ressourcen der
       Kommunen besser erfasst und in eine stärkere Übereinstimmung gebracht
       werden. Durch dieses „Matching“ sollen zum einen die Bedürfnisse von
       Schutzsuchenden besser berücksichtigt werden. Dazu gehören etwa
       gesundheitliche Bedarfe, Bildungsabschlüsse, Sprachkenntnisse und
       Arbeitserfahrungen, aber auch familiäre Beziehungen und persönliche
       Präferenzen wie Hobbys. 
       
       Zum anderen soll das Potenzial von Migration für kommunale Entwicklung
       besser genutzt und Integration und Teilhabe verbessert werden. „Je besser
       die Menschen ankommen“, sagt Kasparick, „desto mehr können sie zur lokalen
       Gemeinschaft beitragen, über Teilhabe am Arbeitsmarkt und am
       zivilgesellschaftlichen Leben.“
       
       Schon in der Antragsphase haben die Wissenschaftler:innen mit den
       Ministerien auf Landesebene zusammengearbeitet. „Wir haben gefragt: Halten
       Sie das für realistisch und sinnvoll? Und wenn ja: Wie müsste man das Ganze
       umsetzen, damit es funktioniert?“, erzählt Kasparick. „Auch in den
       Ministerien gab es zum Teil bereits Überlegungen zu einer
       algorithmengestützten Verteilung und so haben wir das Projekt von Anfang an
       gemeinsam entwickelt und durchgeführt.“
       
       ## Praktisch erfolgreich
       
       In einem ersten Schritt hätten die Forschenden Literatur zur Integration
       gesichtet, sagt Kasparick. „Was wissen wir über Integration? Was muss
       erfüllt sein, damit ein Mensch vor Ort gut ankommen kann?“ Dann seien die
       Erkenntnisse in konkrete Indikatoren übersetzt worden. Dabei seien von
       Beginn an Expert:innen für Unterbringung und besondere Schutzbedarfe
       sowie Interessenvertreter:innen und Praxispartner:innen in
       Ministerien, Behörden und Kommunen miteinbezogen worden, aber auch
       Schutzsuchende selbst.
       
       Die Ergebnisse wurden in ein Wissensmodell übersetzt, eine Software gleicht
       dieses Modell ab. Das Lernverfahren, das der Algorithmus dabei anwendet,
       ist das fallbasierte Schließen (Cased-Based Reasoning): Das Problem wird
       durch Analogieschluss gelöst. „Das heißt, der Algorithmus nimmt die Daten,
       die er für eine Person bekommt, und schaut, was sie mitbringt und welche
       Bedarfe sie hat. Dann errechnet er dafür eine fiktive ideale Kommune“,
       erklärt Kasparick. 
       
       In einem zweiten Schritt wird diese ideale Kommune mit tatsächlichen
       Kommunen abgeglichen und ermittelt, wie ähnlich eine Kommune der idealen
       ist. Je höher die Passung ist, desto höher wird diese Kommune im
       Zuweisungsvorschlag gerankt, den die Software am Ende ausgibt. Die
       Entscheidung, in welche Kommune ein Schutzsuchender zugewiesen wird, trifft
       dann immer noch der oder die Sachbearbeiterin.
       
       Seit ein paar Monaten werde die Software praktisch erprobt und sei
       erfolgreich, sagt Kasparick. „Wir können jetzt zeigen: Es gibt tatsächlich
       eine unterschiedlich gute Passung. Es gibt für jede Person eine Varianz bei
       der Passung der Kommunen, und es gibt für jede Kommune eine
       unterschiedliche Passung für Personen, die zugewiesen werden.“ In einem
       nächsten Schritt soll nun der Algorithmus noch einmal angepasst werden. 
       
       Ende des Jahres geht das Projekt erst mal zu Ende. Aus der begleitenden
       Forschung sei von allen Beteiligten ein sehr positives Feedback gekommen,
       sagt Kasparick. „Man verspricht sich viel davon, das auch in die
       Regelverteilung zu übernehmen“, sagt sie. „Auch unsere direkten Partner in
       den Landesministerien sagen, wir haben schon viel erreicht und könnten noch
       mehr erreichen, wir sollten da dranbleiben.“ Man sei im Gespräch, wie sich
       das finanzieren ließe.
       
       7 Oct 2024
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Robert Matthies
       
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