# taz.de -- Desinformation: Mauer in Geiselhaft
       
       > Die East Side Gallery ist den Aktivisten von „Mediaspree versenken“
       > herzlich egal. Sie bedienen sich ihrer, um damit ganz andere Ziele
       > durchzusetzen.
       
 (IMG) Bild: Eine Lücke für eine Brücke
       
       Wer tausende Menschen zu einer [1][Demonstration mobilisieren will], der
       muss eine zündende Botschaft haben. Und diese Botschaft lautet: In einer
       Nacht-und-Nebel-Aktion haben Bauarbeiter am Freitag damit begonnen, einen
       der letzten Mauerreste niederzureißen, damit dort Luxuswohnungen entstehen
       können.
       
       An dieser Botschaft stimmt so gut wie nichts. Aber sie zündet. Und sie wird
       von Journalisten inzwischen [2][weltweit weiterverbreitet].
       
       Fakt 1: Die Mauer fällt hier nicht für Luxuswohnungen 
       
       Das Stück der Mauer, das am Freitag von Bauarbeitern herausgerissen wurde,
       fiel für eine Brücke. Nicht für Wohnungen. Zwar soll auch ein Teil der
       Mauer für Wohnungen fallen. Aber erst später und an einer anderen Stelle.
       
       Bei der Brücke, die an dieser Stelle wieder aufgebaut wird, handelt es sich
       um die [3][Brommybrücke], die hier bis 1945 stand. Dann sprengten die Nazis
       die Brücke, um den Vormarsch der Roten Armee aufzuhalten. Heute sieht man
       noch einen [4][Stützpfeiler] in der Spree. Die Idee zum Brückenbau kam nach
       der Wende auf, dann passierte erstmal lange nichts. 2008 schließlich setzte
       die Initiative "Mediaspree versenken" einen Bürgerentscheid durch, bei dem
       sie sich dafür einsetzte, dass keine Straße, sondern "ein
       Rad-/Fußgängersteg über die Brücke gebaut wird" ([5][Abstimmungszettel] als
       PDF). [6][87 Prozent] der Abstimmenden waren dafür.
       
       In einer [7][Broschüre der Initiative "Mediaspree versenken"] steht in der
       PDF-Datei auf Seite 13 oben links eine Grafik, auf der zu sehen ist, dass
       für die Brommybrücke auch eine neue Lücke in der Mauer entstehen soll.
       Nirgendwo in der Broschüre wird dies als Problem beschrieben.
       
       Es ist genau dieses Stück Mauer, das jetzt abgerissen wird - und zwar auf
       22 Metern Breite. Auf Bildern kann man das nachvollziehen. [8][Fotos vom
       Freitag] zeigen: Abgebaut wird ein Mauerteil an der Grenze zweier Bilder.
       Links ein Brandenburger Tor in blau, rechts viele Hände in blautönen. Man
       kann diese Stelle bei [9][Google Street View] finden. Und dann herauszoomen
       und sehen: Es ist genau dort, wo auf Kreuzberger Seite die Brommystraße
       beginnt, wo in der Spree noch ein Brückenpfeiler ist und wo die
       Brommybrücke auf der Friedrichshainer Seite auf die Mühlenstraße treffen
       wird. Der Abriss dieses Teils der Mauer hat ausschließlich mit der Brücke
       zu tun und gar nichts mit Luxuswohnungen.
       
       Fakt 2: Die Mauer hat schon Löcher 
       
       Es ist eine beliebte Forderung in diesen Tagen: Die East Side Gallery muss
       als Mahnmal vollständig erhalten bleiben! Doch die Forderung kommt zu spät.
       Die East Side Gallery hat auf ihrer Länge von gut 1.300 Metern in den gut
       zwei Jahrzehnten seit der Wende bereits fünf Löcher bekommen. Da ist die
       Lücke [10][ganz im Westen], die mit einem Tor verschlossen ist. Dann kommt
       eine [11][Lücke mit dem Zugang zu einer Strandbar]. Gegenüber der großen
       Mehrzweckarena folgt eine [12][besonders breite Lücke]. Es folgt eine
       [13][Lücke mit Bootsanlegestelle] und Souvenirshop und schließlich eine
       Lücke für den [14][Zugang zum Club und Restaurant "Speicher"].
       
       Fakt 3: Die Lücke für Luxuswohnungen ist die kleinere Lücke 
       
       Auch für die Luxuswohnungen sollen später einmal Teile der Mauer fallen.
       Und zwar dort, wo schon ein [15][fünf Meter breiter Mauerdurchbruch] ist.
       Bisher wurde diese Lücke in der Mauer benötigt, um zu einer Strandbar zu
       gelangen. Bisher gab es noch keine Proteste gegen die Strandbar. Die
       Luxuswohnungen sollen über eine etwas breitere Lücke an die Straße
       angeschlossen werden. Der Bezirk war dagegen, er hat es nicht erlaubt. Doch
       der Investor ist vor das Verwaltungsgericht gezogen. Die Lücke wird daher
       eines Tages von derzeit 5 Meter auf dann 12,80 Meter vergrößert.
       
       Hätte man den Bau der Luxuswohnungen nicht ganz verhindern können? Wie
       konnten die hier überhaupt erlaubt werden? In den Neunzigerjahren entstand
       die Idee, das ganze brachliegende Gebiet zwischen Ostbahnhof und
       Oberbaumbrücke zu bebauen. Das Schlagwort war "Mediaspree", zahlreiche
       Unternehmen aus der Medien- und Kommunikationsbranche sollten sich hier
       ansiedeln.
       
       Anfang der Neunzigerjahre wurde das Grundstück, auf dem jetzt gebaut wird,
       verkauft. Noch vor der Fusion der Bezirke Friedrichshain und Kreuzberg im
       Jahr 2001 wurde hier ein Bebauungsplan aufgestellt, der eine Bebauung mit
       einem Hochhaus vorsieht. Damit hatte der Eigentümer einen Anspruch auf
       Bebauung. Wer ihm diesen Anspruch wieder wegnimmt, muss ihn entschädigen.
       
       Zuletzt versuchte der inzwischen fusionierte Bezirk
       Friedrichshain-Kreuzberg noch einmal im September 2012, das Hochhaus zu
       verhindern. Stattdessen solle eine Grünfläche entstehen, forderte das
       Bezirksparlament (Drucksache [16][DS/0345/IV]). Der Senat wurde
       aufgefordert, dem Eigentümer des Grundstücks eine Ausweichfläche an anderer
       Stelle zur Verfügung zu stellen. Dadurch sollte eine Entschädigung an den
       Investor verhindert werden.
       
       Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos, für die SPD) lehnte ab. Am 23.
       November 2012 schrieb er an Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne): Es
       gebe kein "gesamtstädtisches Interesse" (hier der Brief [17][Seite 1] und
       [18][Seite 2]). Das ist der Grund, warum jetzt die Luxuswohnunge kommen -
       inklusive Anschluss an die Straße durch eine etwas verbreiterte Mauerlücke.
       
       Fazit 
       
       Und jetzt kommen wieder die Aktivisten aus dem Umfeld von "Mediaspree
       versenken" ins Spiel: Sie waren immer schon gegen die Bebauung der
       Spreeufers. Dass für diese Bebauung auch eine Mauerlücke um 7,80 Meter
       vergrößert werden soll, ist ihnen nun willkommener Anlass, den Untergang
       eines historischen Baudenkmals auszurufen. Und zwar genau des gleichen
       Baudenkmals, bei dem es ihnen herzlich egal ist, wenn es auf 22 Metern für
       eine Brücke fallen soll. Und dann protestieren die Aktivisten auch noch am
       falschen Tag und am falschen Teil der Mauer: Sie verkaufen eine
       Brückenlücke als Luxuswohnungslücke. Und alle fallen darauf rein.
       
       Siehe auch: [19][Antwort der Piraten Fabio Reinhardt und Ralf Gerlich zu
       diesem Artikel]
       
       3 Mar 2013
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Protest/!112123/
 (DIR) [2] http://news.google.com/news?hl=en&ned=us&ie=UTF-8&q=east%20side%20gallery&btnG=Search+News
 (DIR) [3] http://www.luise-berlin.de/bms/bmstxt97/9709deta.htm
 (DIR) [4] http://www.stadtangler.de/images/artikel/Brommybruecke.jpg
 (DIR) [5] http://www.berlin.de/imperia/md/content/bafriedrichshain-kreuzberg/buergerdienste/wahlamt/stimmzettel_be_spree_muster_final.pdf?start&ts=1213014432&file=stimmzettel_be_spree_muster_final.pdf
 (DIR) [6] http://www.berlin.de/ba-friedrichshain-kreuzberg/verwaltung/org/wahlamt/be_spree2.html
 (DIR) [7] http://www.ms-versenken.org/images/endfassungbrosch.pdf
 (DIR) [8] http://bc03.rp-online.de/polopoly_fs/bauarbeiter-heben-01032013-east-side-gallery-1.3229902.1362165250!/httpImage/2939965.jpg_gen/derivatives/rpo54_400/2939965.jpg
 (DIR) [9] http://goo.gl/maps/9XAOE
 (DIR) [10] http://goo.gl/maps/6HfCS
 (DIR) [11] http://goo.gl/maps/lRYaR
 (DIR) [12] http://goo.gl/maps/X850N
 (DIR) [13] http://goo.gl/maps/gZpQK
 (DIR) [14] http://goo.gl/maps/xotXb
 (DIR) [15] http://goo.gl/maps/lRYaR
 (DIR) [16] http://www.berlin.de/ba-friedrichshain-kreuzberg/bvv-online/vo020.asp?VOLFDNR=5094&options=4
 (DIR) [17] http://www2.frieke.de/uploads/brief_von_nussbaum_seite_1.jpg
 (DIR) [18] http://www2.frieke.de/uploads/brief_von_nussbaum_seite_2.jpg
 (DIR) [19] /East-Side-Gallery-I/!112629/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sebastian Heiser
       
       ## TAGS
       
 (DIR) East Side Gallery
 (DIR) East Side Gallery
 (DIR) East Side Gallery
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Abriss der East Side Gallery: Überraschung zum Frühstück
       
       An der East Side Gallery sind am Mittwoch vier Teile der Berliner Mauer
       entfernt worden. Die Polizei war mit 250 Beamten vor Ort, aber es gab kaum
       Proteste.
       
 (DIR) East Side Gallery: Andere Ufer an der Spree
       
       Der Investor des umstrittenen Wohnturms zeigt sich für einen
       Grundstückstausch offen. Die Suche nach einer Lösung gestaltet sich
       trotzdem schwierig.
       
 (DIR) Streit um East Side Galery: Berlin, die Mauer und das Mittelmeer
       
       Die East Side Gallery bleibt erst mal stehen, doch weiterhin wird heftig um
       die Zukunft des Spreeufers gestritten. Die Polizei hat den Investor nicht
       gewarnt.
       
 (DIR) EAST SIDE GALLERY: Mauerkampf geht weiter
       
       Investor bereitet den Bau seines Luxuswohnhauses vor. Die Mauerreste
       bleiben bis auf Weiteres unangetastet.
       
 (DIR) EAST SIDE GALLERY II: Mauer frei zur Adoption
       
       Weitere Schuldzuweisungen wegen Abriss im Kulturausschuss. Stiftung
       Berliner Mauer soll die East Side Gallery übernehmen.
       
 (DIR) East Side Gallery I: Geiselhaft aus Notwehr
       
       Es ist legitim, die Diskussion über die East Side Gallery zu nutzen, um auf
       den Konflikt am Spreeufer hinzuweisen. Eine Antwort zweier Piraten auf
       einen Beitrag der taz.
       
 (DIR) SPREEUFER: Bezirk mit dem Rücken zur Mauer
       
       Der Senat kritisiert Friedrichshain-Kreuzberg und dessen
       Bezirksbürgermeister Franz Schulz für den gestoppten Teilabriss der East
       Side Gallery. Doch die Investoren will Rot-Schwarz weiterbauen lassen.
       
 (DIR) East Side Gallery in Berlin: Aufschub um zwei Wochen
       
       Die Demonstranten feiern bei ihrem Protest gegen den Teilabriss der East
       Side Gallery einen ersten Erfolg. Jetzt will auch Wowereit handeln.
       
 (DIR) EAST SIDE GALLERY: Zwei Wochen Abrisspause
       
       Bis 18. März soll die Versetzung von Teilen der East Side Gallery
       pausieren. Investor macht grünen Bezirksbürgermeister verantwortlich.