# taz.de -- Der junge Modedesigner Pierre Cardin: Lack, Leder, Plexiglas
       
       > Der Düsseldorfer Kunstpalast zelebriert das Frühwerk Pierre Cardins.
       > Darin verbindet der virtuos populistische Designer Futurismus und
       > Fetisch.
       
 (IMG) Bild: Ensembles aus Tunika und Rad-Hose von Pierre Cardin, Jersey, 1971. Archives Pierre Cardin
       
       [1][Pierre Cardin? Macht der nicht Lidl-Unterhosen?“], fragt mich ein
       Freund, als ich ihm von der Ausstellung erzähle, die ich am Wochenende
       besuchen werde. Tatsächlich: Neben Kugelschreibern, Regenschirmen,
       Schlüsselanhängern, Zigarettenschachteln und Intimhygiene-Gels zierten
       die schwungvollen handschriftlichen Lettern des Labels auch den Gummibund
       von Discounter-Unterwäsche.
       
       Mit einem Freimut, der in einem von Markenidentität und Konnotation
       gesteuerten Modezeitalter frappierend wirkt, gibt der französische Designer
       seinen Namen seit Jahrzehnten für die verschiedensten Kleidungsstücke und
       Produkte her. Was bei all den Lizenzgeschäften in den Hintergrund rückt,
       sind Cardins Kreationen der 60er und 70er Jahre, einer Zeit, in der er
       gemeinsam mit André Courrèges und Paco Rabanne die technologieverliebte
       Zukunftseuphorie des Space Age treffsicher in futuristische Kleidungsstücke
       übersetzte.
       
       Im Düsseldorfer Kunstpalast präsentieren aktuell Schaufenster-Mannequins in
       großartig theatralischen Posen, begleitet von intergalaktischen
       Synthesizer-Klängen, Cardins Entwürfe aus jener Zeit. Seine Vision spricht
       konsequent aus jedem der Outfits: Der Designer sah seine Kleidungsstücke
       als bewegte Skulpturen und entwarf seine plastischen Werke aus neuartigen
       Stoffen direkt am Körper seiner Modelle.
       
       Mit exorbitanten Formen, raffinierten Aussparungen und markanten Farben
       schuf Cardin, der seine Karriere als Bühnen- und Filmschneider begann,
       Dramatik ohne die leiseste Spur von Ornament. Dem typischen
       60er-Jahre-Minikleid verpasst er seine persönliche Note, indem er anstelle
       von Taschen Cut-outs oberhalb der Hüftknochen platziert, die Geste der
       Falte erhebt er zur Plastik, etwa indem er ein Cape um die Hüfte seiner
       Trägerin legt und an der Vorderseite ihres Kleids befestigt oder inspiriert
       von den Lüftungsschächten der ersten Computer dreieckige Falten aus den
       Rückseiten seiner Jacken und Mäntel hervorstehen lässt.
       
       Es liegt vielleicht an dieser Geradlinigkeit, dass die meisten Ensembles
       nach wie vor modern wirken, obwohl Stoffe wie Polyester, Kunstpelz und
       Plexiglas ihren Neuheitswert verloren haben und Plastik einen
       Konnotationswandel vom revolutionären Material der Zukunft zum desaströsen
       Auswuchs einer den Planeten zerfressenden Konsumgesellschaft durchlebt hat.
       
       ## Cardin entwarf für die Zukunft – und für die Jugend
       
       Die Glitzer-Spandex-Kleider mit eingenähten Reifringen erinnern heute mehr
       an Karnevalsanzüge als an kosmische Weiten. Outfits wie der durch einen
       asymmetrischen Filzrock ergänzte Woll-Catsuit, der gleichzeitig als
       Strumpfhose und als Oberteil dient, sind hingegen bis in die aktuelle
       Herbstsaison hinein ebenso visionär wie die Neopren-Weste mit Einstecktuch
       und Steckschnallen-Verschluss, die auch aus einer Dior-Männerkollektion von
       Kim Jones stammen könnte.
       
       Cardin entwarf für die Zukunft – und für die Jugend. Obwohl er bei
       Christian Dior lernte, verschwendete er keinen Gedanken daran, die
       eleganten Damen der Rive Droite als Kundinnen zu gewinnen. und gab
       unumwunden zu, dass seine Entwürfe an Frauen über 30 lächerlich aussähen.
       Er versah seine Kleider mit der Zielscheibe der Mods und schuf für die
       Blumenkinder Overalls, deren Brust statt eines Superhelden-Emblems ovale
       Cut-outs zierten.
       
       Und während in den am Eingang der Ausstellung zu sehenden Archivaufnahmen
       aus Mode-Fernsehsehsendungen noch schmierig witzelnd das Klischee des
       Ehemanns bedient wird, der vor den verrückten Modelaunen seiner Frau
       resigniert die Scheckkarte zückt, entwirft Cardin für die moderne
       Karrierefrau pastellfarbene Hosenanzüge, deren geradlinige Beine in zwei
       markanten, den Fuß umhüllenden Kreisformen münden. Luxus bedeutete für ihn
       auch Flexibilität und Bewegungsfreiheit.
       
       Zur weltweiten Bekanntheit verhalfen Cardin die Jugendikonen schlechthin:
       Auf dem Cover zu ihrer Durchbruchsingle „Love Me Do“ [2][trugen die Beatles
       kragenlose Anzüge,] die sie in Cardins Männerboutique „Adam“ in Paris
       erworben hatten, die auch der junge Karl Lagerfeld frequentierte. Das
       namentliche Zitat der Schöpfungsgeschichte kommt nicht von ungefähr: In
       einer Zeit, in der die Couturiers allein für Frauen entwarfen, erweckte
       Cardin den Mann modisch zum Leben.
       
       Um die eng anliegenden exzentrischen Anzüge seiner ersten
       SciFi-inspirierten Herrenkollektion zu präsentieren, engagierte er junge
       Studenten – der Beruf des Männermodels existierte 1960 noch nicht. Pierre
       Cardin wurde zu einem der wichtigsten Labels der Peacock-Revolution, in
       deren Zuge Männer sich mit Rokoko-Spitzenkragen, glitzernden Stoffen und
       leuchtenden Farben schmückten. David Bowie und Elton John avancierten zu
       androgynen Stilikonen und trugen dabei Anzüge und Accessoires des
       Mode-Futuristen.
       
       ## Seine Zukunftsvisionen waren global
       
       Die Inspiration für den kragenlosen Anzug, der damals alles ins Rollen
       brachte, fand Cardin bezeichnenderweise in den Jacken des indischen
       Premierministers Jawaharlal Nehru. Cardins Zukunftsvisionen waren global:
       Seine flächigen Halsketten erinnern an traditionellen afrikanischen
       Schmuck, das purpurne Kimono-Kleid, eines der spannendsten Exponate der
       Ausstellung, zeugt von seiner Kenntnis der japanischen Schneiderkunst.
       
       Der Tradition gemäß besteht das Gewand aus einer geraden, nicht auf den
       Körper zugeschnittene Stoffbahn, akzentuiert wird die Taille allein durch
       einen Gürtel – in Cardins Fall selbstverständlich aus Lack. Eine markante
       Note erhält das über eine schwarze Ganzkörper-Strumphosen getragene
       Stoffrechteck durch zwei großflächige Cut-outs, die einen Schlitz bis unter
       die Achsel der Trägerin erzeugen. Das notwendige Wissen für den Entwurf
       sammelte Cardin im Rahmen eines Aufenthalts in Tokio Ende der 50er Jahre,
       als er Kenzo und Hanae Mori an der Modeschule Bunka Fukusō Gakuin das
       schnittbogenbefreite Schneidern lehrte.
       
       Zu Cardins Schülern gehörte auch [3][Jean-Paul Gaultier], den er mit seinem
       kleinen Schwarzen mit kegelförmigen Brustaufnähern zu den ikonischen Cone
       Bras inspirierte. Bei einem an die Rave-Mode der 90er erinnernden
       Vinyl-Zweiteiler treibt Cardin die Akzentuierung der Brust noch weiter,
       indem er das knappe Bandeau-Oberteil mit zwei Plexiglas-Halbkugeln
       versieht. Ähnlich wie die Lack-Overknees und die Ledermäntel mit den
       überspitzten Padagonenschultern sind diese Entwürfe überraschend kinky.
       
       Ihre fetischistische Aura rührt auch von Cardins auffälliger Obsession für
       Uniformen. Ein Hauch des Totalitären umweht die Entwürfe, die Cardin 1979
       in China zeigte. Als einer der ersten westlichen Modedesigner nahm er
       Handelsbeziehungen mit der Diktatur auf und verkündete: „Nur Mao ist besser
       als ich – er hat 900 Millionen Menschen angezogen.“ Cardin war Populist,
       seine Mission war ein Luxus für alle. Um diese zu erfüllen, beschritt er
       neue Wege: Er entwarf als Couturier Prêt-á-porter-Kollektionen, als die
       beiden Konzepte noch unvereinbar schienen, und erfand den Stoff Cardinin,
       um Minikleider kostengünstig nach seinen Vorstellungen zu formen.
       
       In Cardin vereinten sich der Zukunftsglaube eines Marinettis mit dem
       Vermarktungssinn eines Warhols. Das erklärt die Intimgels und
       Zigarettenschachteln: Durch seine exzessiven Lizenzgeschäfte erkaufte sich
       Cardin kreative Freiheit. Bis heute hat er sein Label nie verkauft und
       führt es im Alter von 97 eisern weiter.
       
       Sein künstlerisches Erbe leidet jedoch unter der Vielzahl an
       Cardin-Produkten von Billig-Lingerie bis hin zu Burkinis. Umso wichtiger,
       dass im Kunstpalast nun die goldene Ära Cardins heraufbeschworen wird. Denn
       Lidl-Unterwäsche hin oder her: Wenn eines Tages der vollautomatisierte
       Luxuskommunismus kommt, steht definitiv fest, welcher Designer Inspiration
       für das passende Outfit liefert.
       
       4 Nov 2019
       
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