# taz.de -- Bachmann-Preis: Ich bin eine Audiodatei
       
       > Eine fleißige Autorenriege meldete sich in Klagenfurt zu Wort. Doch die
       > Jury schwieg zu oft, als es um die Erweiterung des Literaturbegriffes
       > ging.
       
 (IMG) Bild: Nicht mehr im Paralleluniversum: Bachmann-Preisträger 2007
       
       Klagenfurt 2007, das waren tatsächlich "Tage der deutschsprachigen
       Literatur". Zum einen bot der Vorlesewettbewerb so viele so gut gemachte
       und neugierig machende Texte, dass man - fernab aller Eventrhetorik -
       seinen Nebentitel ruhig ernst nehmen durfte. Das alles gibt es also an
       Schreibansätzen und ehrgeizigen Autoren, denen an weiteren
       Anerkennungsprozessen innerhalb des Literaturbetriebs gelegen ist. Einen
       schönen Rundumblick konnte man hier von Mittwoch bis Sonntag vergangener
       Woche erhalten.
       
       Zum anderen gab es rund um die Jury Vorgänge, die schwer zu fassen sind,
       aber möglicherweise unter dem Stichwort "Das Peter-Licht-Jurorenschweigen"
       in den reichhaltigen Anekdotenschatz rund um das Literaturereignis eingehen
       werden. Diese Jury-Schwierigkeiten waren ebenso interessant wie die
       Lesungen.
       
       Klagenfurt wurde früher vorgeworfen, eine eigene Literatur zu produzieren,
       die nur hier, im literarischen Paralleluniversum, funktioniert. Diese Zeit
       ist vorbei. Inzwischen funktioniert Klagenfurt eher wie ein
       Durchlauferhitzer mit Nachbrennerfunktion. Man schaut sich viele Talente
       und Schreibansätze an und gibt einigen einen Schub. Wer sich dabei dieses
       Jahr die Lesungen im Ganzen ansah - ob am Ort selbst (unterbrochen von
       Badeausflügen zum Wörthersee und bei fleischreicher Kärntner Kost) oder im
       Fernsehen auf 3sat -, der konnte feststellen, dass man sich über die
       Literatur insgesamt wenig Sorgen zu machen braucht. Es gibt viele Autoren
       aus ganz unterschiedlichen Richtungen, die hier derzeit etwas reißen
       wollen. Die deutschsprachige Literatur ist ein Melting-Pot.
       
       Sehr deutlich wurde, dass zum Beispiel der Generationenbegriff zur Zeit
       versagt. Gut illustrieren kann man das an Jörg Albrecht (geb. 1981) und
       Fridolin Schley (geb. 1976), zwei Autoren, die gerade fünf Jahre
       auseinander sind, literarisch aber durch Welten getrennt. Jörg Albrecht
       will die Literatur an Pop anschließen. Mit Kopfhörer, Voice-over,
       elektronischen Instrumenten im Gürtel und Videoprojektionen erzählte er in
       Klagenfurt atemlos, wie man ein Wochenende auf den Berliner Tanzflächen
       überlebt - eine Performance rund um die Frage, inwieweit man zu seinen
       eigenen Audiodateien ich sagen kann. Fridolin Schley dagegen betrieb ein
       literarisch ausgefuchstes Spiel, in dem er eine Rolf-Dieter-Brinkmann-Figur
       seinen Autounfall überleben und 60-jährig im portugiesischen Fischerort
       Salema über sein Leben nachdenken lässt. Die Literatur mit aktuellen
       Wirklichkeitserfahrungen rocken auf der einen Seite; sich einschreiben,
       seinen Platz suchen im langen Fluss der Literatur auf der anderen Seite,
       das stand in Klagenfurt nebeneinander.
       
       Beide Autoren blieben am Schluss ohne Preise. Auch sonst fielen während der
       Lesungen Dinge auf, die später in der Preisverleihung keine
       Berücksichtigung fanden - so der Wille zur Unaufgeregtheit. Kathrin Passig,
       die Überraschungssiegerin von 2006, hatte als ein Ziel ihrer Arbeit
       angegeben, "intellektuelle Obsessionen in geschmeidige Kulturformate" zu
       verwandeln. Das war eine der geheim bleibenden Blaupausen dieses Jahres.
       Die Beziehungsarbeit, die Ich-Suche, der Kampf mit den eignen
       Wahrnehmungen, all diese altehrwürdigen Obsessionen der Literatur sind in
       den aktuellen Klagenfurt-Texten auffindbar - aber oft eingebunden in den
       Willen, sie in geschmeidige, literarisch bewährte Formen zu bringen.
       
       Heraus kommen viele Well-made-Kurzgeschichten. Silke Scheuermann las eine
       dieser die eigene Abgründigkeit eher umspielenden als direkt aussprechenden
       Geschichten rund um die Beziehungskonstellationen in einer
       Patchwork-Familie. Jan Böttcher, der sich bislang vor allem als Musiker
       einen Namen gemacht hatte, erzählte schon direkter eine
       Sohn-Vater-Großvater-Geschichte mit DDR-Hintergrund. Und ganz direkt machte
       Ronald Reng eine Familienidylle im Ruhrgebiet der Siebzigerjahre kaputt.
       
       Formkontrolle, Abtasten familiärer Innenräume also bei deutschen Autoren.
       Das Obsessive gab es aber auch ungebrochen inszeniert, diesmal vor allem
       von der österreichischen Literatur - von Thomas Stangls unbedingt moderner
       Inszenierung des Ichs als des prinzipiell anderen und Michael Stavarics
       stakkatohaften Dass-Sätzen. Daneben standen Solitäre wie Kurt Osterle, der
       als Ältester im Wettbewerb (geb. 1955) eine wie aus der Zeit gefallene
       Geschichte vom ersten Einzelkind auf einem Dorf erzählt, oder Jochen
       Schmidt, der seine Lesebühnen-Pointen wunderbar zu einer anrührigen
       Erzählmaschine rund um einen depressiven Kosmonauten im Weltall
       disziplinierte - nicht nur weil er ein taz-Autor ist, kann man es durchaus
       bedauern, dass er ohne Preis blieb; er hätte einen verdient gehabt.
       
       Es ist eine intelligente, fleißige und bewusst an ihren Ausdrucksmitteln
       arbeitende Autorenriege, die sich hier in Klagenfurt zu Wort meldet. Viele
       haben Literatur studiert, sie kennen sich aus in den Erzählstrategien. Nur
       wenige Totalausfälle waren darunter. Ihre literarische Energie ziehen diese
       Autoren von überallher: aus den Traditionen der Formensprachen, thematisch
       aus menschlichen Nähekonstellationen, auch aus medialen Reibungen.
       Literarische Grundsatzdebatten, wie sie etwa über das Neue Erzählen geführt
       wurden, muten einem da fast anachronistisch an - als hilflose Suche nach
       Großbegriffen, mit denen man die Komplexität in den Griff kriegen kann,
       nämlich. Eher gewinnt man in Klagenfurt den Eindruck, dass die
       deutschsprachige Literatur nur als Panaroma in den Griff zu bekommen ist.
       
       In so einer Situation kommt der Jury die Funktion zu, Äpfel mit Birnen zu
       vergleichen und die einzelnen Ansätze zu hierarchisieren. Sie hat diese
       Aufgabe einerseits gut erledigt, paradoxerweise andererseits aber auch
       verweigert. Gut nachvollziehbar waren die Diskussionen dann, wenn es darum
       ging, die einzelnen Geschichten zu beschreiben. Sachlich wurden ihre
       Bedeutungsebenen auseinander genommen, mögliche Beurteilungskriterien
       ausprobiert. Aber seltsam unergiebig war all das auf die Frage hin, wie
       diese einzelnen Ansätze untereinander zu vergleichen wären. Man fand
       jeweils den Text an sich gut oder schlecht, arbeitete aber kaum Stärken und
       Schwächen der Texte gegeneinander heraus.
       
       Das rächte sich folgenschwer bei dem Auftritt von Peter Licht, des
       Musikers, der sein Gesicht nicht im Fernsehen zeigen will und das bislang
       auch noch stets geschafft hat - diesmal war dafür oft sein Hinterkopf auf
       dem Bildschirm zu sehen. Drei Juroren - Iris Radisch, Klaus Nüchtern und
       Ijoma Mangold - konnten sich über dieses geschickt gebaute und großartig
       vorgetragene Sprachspiel aus kunstvoll zurückgenommenen Behauptungen vor
       Freude nicht mehr einkriegen. Drei andere Juroren - Ursula März, Kurt
       Oesterle und Ilma Rakusa - sagten gar nichts zu dem Text, ließen aber
       später durchblicken, dass sie ihn längst nicht so hoch einschätzen wie ihre
       Kollegen. Eine von keinem Argument überbrückte Kluft zwischen haltloser
       Begeisterung und verschwiegenen Gegenargumenten - Schlimmeres kann es für
       eine Debatte kaum geben.
       
       Dabei hatte diese Episode etwas Symptomatisches. Diese Jury konnte gut über
       einzelne Bücher diskutieren, über die Literatur als ganze aber nicht. Das
       mag ein Standardvorwurf gegen Klagenfurt-Jurys sein (und geht es nicht,
       beiseite, der Literaturkritik insgesamt ein bisschen so?). Diesmal war es
       aber besonders schade, weil er durchaus Ansatzpunkte für fruchtbare
       Kontroversen gegeben hätte. So hatte sich Ijoma Mangold, Literaturredakteur
       der SZ und neu in der Jury, offenbar vorgenommen, intelligent gebaute, in
       sich geschlossene Erzählformen gegen noch kursierende Avantgardeansprüche
       ins Recht zu setzen. Mit ihm auf der einen und Iris Radisch als
       Protagonistin der Kunstfraktion auf der anderen Seite hätte man gut darüber
       streiten können, ob Büchnersches Pathos wirklich noch als Referenzpunkt
       taugt.
       
       Dass der Hauptpreis an Lutz Seiler ging, verdeckte diese Debatten
       endgültig. So beeindruckend sein Text über eine allmählich ins Mythische
       driftende Reise mit einer russischen Eisenbahn auch ist: Seiler ist ein
       Kandidat, auf den man sich im Literaturbetrieb immer einigen kann. Zu wohl
       fühlt man sich in diesen Beschreibungssätzen, diesen Wallungswörtern wie
       "Heizer" oder "schwankendes Dunkel", zu gut kennt man sich in diesen
       literarischen Reisen ins Unübersichtliche aus. Man gönnt Lutz Seiler den
       Preis durchaus (siehe Portrait auf Seite 2), aber im Hinblick auf
       anstehende literarische Diskussionen bringt er wenig.
       
       Auch die Debatte um die Autorin Silke Scheuermann hätte sich zur Frage
       ausbauen lassen, ob es nicht längst an der Zeit wäre, den Literaturbegriff
       insgesamt herunterzuhängen, und wieder wurde die Gelegenheit verpasst. Aber
       vielleicht ist es auch eine Überforderung, die Erörterung solcher Fragen
       von einer Wettbewerbsjury zu erwarten.
       
       Allerdings: Das Jurorenschweigen, dieser Fehler im sonst wie geschmierten
       Ablauf der Diskussionen, wird von Klagenfurt 2007 mindestens ebenso bleiben
       wie die runden Aufkleber mit dem Hinweis "Bachmannpreisträger 2007", den
       der Suhrkamp-Verlag nun auf die Bücher von Lutz Seiler pappen wird. Der
       Fehler war das eigentlich Interessante; er verweist darauf, dass wir zwar
       viel über Bücher zu reden wissen - aber nicht mehr recht darüber, welche
       Bücher unserer Zeit angemessen sind.
       
       2 Jul 2007
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dirk Knipphals
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Inhaftierung
       
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 (DIR) Autor wird in Abu Dhabi festgehalten: Eingesperrt im Emirat
       
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 (DIR) Bachmannpreis in Klagenfurt: Der Autorenkampf ist deine Party
       
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       Gemeinschaftsstifter und Einsammacher: eine Einstimmung auf den
       Bachmannpreis.