# taz.de -- Luftangriffe auf Aleppo: Geruch von Staub und Verwesung
       
       > Ständig Luftangriffe, kein Wasser – die Menschen in Aleppo kämpfen ums
       > Überleben. Drei Stimmen aus einer Stadt, die vor dem Kollaps steht.
       
 (IMG) Bild: Ein Lastwagen mit Hilfsgütern des Roten Halbmonds und Roten Kreuzes wurde durch Luftangriffe nahe der Stadt Aleppo zerstört
       
       Die Waffenruhe in Syrien ist gescheitert. Die Metropole Aleppo erlebt die
       heftigsten Luftangriffe durch die syrische und russische Luftwaffe seit
       Beginn des Krieges. Der Belagerungsring um die Stadt ist geschlossen, die
       Wasserversorgung für Millionen Menschen gekappt. Für Journalisten ist es
       derzeit unmöglich, nach Syrien zu reisen. Ein Arzt, eine Rettungskraft und
       ein Familienvater berichten über Skype und WhatsApp von der verzweifelten
       Lage in der Stadt.
       
       Dr. Mohamed Alhalaby, 43, Arzt: Wir Ärzte arbeiten rund um die Uhr, seit
       das Regime und die Russen die Bombardierungen wieder aufgenommen haben. Wir
       haben keine Möglichkeit, längere Pausen zu machen. Es kommen ja ständig
       neue Verwundete.
       
       Die Fälle gleichen sich. Ich denke an ein achtjähriges Mädchen, das ich
       behandelt habe. Sie heißt Lara. Die Rettungskräfte haben sie unter einem
       Leichnam geborgen, unter dem sie stundenlang gelegen hatet. So sieht ein
       normaler Tag im Moment für mich aus.
       
       Wir verlieren täglich Patienten, weil wir sie nicht angemessen behandeln
       können. Andere müssen wir abweisen, weil unsere Kapazitäten erschöpft sind.
       Unser Gesundheitswesen in Syrien war nicht schlecht vor dem Krieg. Jetzt
       sind die Kliniken in Aleppo alle mehr oder weniger zerstört. Wir arbeiten
       in Ruinen. Die Fenster haben kein Glas, Staub und Rauch zieht durch die
       Gänge, wenn in der Nähe bombardiert wird. Es herrscht Chaos. Die
       Verwundeten liegen auf dem Boden mit ihren offenen Wunden, und wir waten
       durch das Blut.
       
       ## Eine Seuche, die das Fleisch auffrisst
       
       Der ganze Klinikbetrieb hängt von unseren Treibstoffvorräten ab. Nur dank
       der Generatoren laufen die Lampen. Wenn ich das Internet nutze wie jetzt,
       verbrauche ich etwas von unseren Reserven. Wenn sie aufgebraucht sind,
       müssen wir dicht machen. Aber was würde dann?
       
       Neben der unsicheren Stromversorgung ist das Wasser unsere große Sorge. Aus
       den Leitungen fließt nichts mehr. Gottseidank haben wir einen eigenen
       Brunnen. Aber sauber ist das Wasser nicht. Trotzdem müssen wir es unseren
       Patienten zu trinken geben. Viele werden davon krank. Viele Patienten
       leiden deswegen an Leishmaniose. Das ist eine von Mücken übertragene
       Krankheit, die das Fleisch auffrisst. Die Mücken vermehren sich, weil das
       Wasser aus den kaputten Rohren ausgelaufen ist und überall faulige Tümpel
       gebildet hat.
       
       Die größten Probleme bereiten uns die Brandwunden. Seitdem so viele
       Brandbomben abgeworfen werden, haben wir immer mehr Patienten mit schweren
       Verbrennungen. Wir desinfizieren die Wunden mit Salzlösung, aber es
       schwierig, sie steril zu halten. Unsere Vorräte an Schmerz- und
       Narkosemitteln gehen zur Neige. Doch bisher musste ich noch nicht ohne
       Anästhesie operieren wie einige meiner Kollegen in Aleppo.
       
       ## Manche Kollegen operieren ohne Anästhesie
       
       Wenn bombardiert wird, müssen wir die Arbeit unterbrechen. Wir wissen
       natürlich nicht, wann es passiert. Das ist ein Risiko bei Eingriffen. Unser
       Krankenhaus ist mehrmals getroffen worden. Wir können aber unsere Patienten
       nicht auf dem Tisch zurücklassen, um in den Keller zu gehen. Also behandeln
       wir die Wunden und hoffen, dass kein Volltreffer direkt über uns
       einschlägt.
       
       Wir wissen auch, dass viele Menschen uns nicht mehr erreichen, weil die
       Straßen zerstört sind. Es gibt einige Feldlazarette, aber dort können die
       Menschen nur mit beschämend primitiven Methoden behandelt werden. Unter den
       Trümmern liegen viele Leichen, die niemand bergen kann. Überall stinkt es
       nach Verwesung. Das ist auch ein medizinisches Problem, weil sich so
       Seuchen ausbreiten. Mich beunruhigt auch, dass immer mehr Patienten Zeichen
       von Unterernährung zeigen. Daran kann ich nicht ändern. Ich bin einer von
       40 Ärzten, die es noch im belagerten Teil von Aleppo gibt.
       
       ## Pulverisierte Schutzräume
       
       Ismail Abdallah, 29, Rettungskraft und Mitglied der „Weißhelme“: Gestern
       hatte ich einen Einsatz in der Altstadt. Wir waren schon in der Nähe, als
       eine zweite Fassbombe explodierte. Die Leute waren gerade aus dem
       Schutzraum gekommen. Wir konnten nur noch Leichen bergen, fünf Kinder,
       sieben Frauen, darunter eine Schwangere, fünf Männer. Ich erinnere mich an
       ein Baby, dessen kleiner Körper in der Mitte durchtrennt war.
       
       So etwas sehe ich seit drei Jahren immer wieder, aber jetzt hört die
       Bombardierung nicht auf. Ich stehe morgens auf und gehe zu unserem
       Einsatzzentrum. Es ist das einzige von vier Zentren, das noch steht. Dann
       schauen wir in den Himmel, ob wir Flugzeuge und Helikopter sehen. Wir
       versuchen, ihnen zu folgen, damit wir schon in der Nähe sind. Aber immer
       mehr Straßen sind unpassierbar.
       
       Es dauert immer länger zum Einsatzort zu kommen. Wenn die Bomben explodiert
       sind, graben wir nach den Verschütteten, bergen sie und bringen sie ins
       nächste Krankenhaus oder Lazarett. Als wir anfingen, haben wir den Schutt
       mit bloßen Händen weggeräumt. Inzwischen haben wir dank Spenden aus dem
       Ausland etwas Ausrüstung.
       
       ## Plötzlich fallen Bomben
       
       Schützen können wir uns nicht, denn oft folgt auf eine Bombardierung eine
       weitere. So verlieren wir immer wieder Freiwillige. Im Moment gibt es 120
       Männer und Frauen beim Civil Defence Service. Viele nennen uns Weißhelme,
       weil wir wegen unserer weißen Helme erkennbar sind für die Bevölkerung.
       
       Wir freuen uns, dass wir den alternativen Nobelpreis bekommen haben. Aber
       Auswirkungen auf unsere Arbeit hat es nicht. Die Luftwaffe des Regimes
       nimmt deswegen nicht plötzlich Rücksicht auf uns. Dennoch waren unsere
       Chancen, Leben zu retten und selbst am Leben zu bleiben besser, solange uns
       nur das Regime bombardiert hat. Die russischen Bomber fliegen so hoch, dass
       wir sie vom Boden aus kaum erkennen können. Plötzlich fallen Bomben, und du
       weißt gar nicht, woher sie kommen.
       
       Die russischen Bomben sind jetzt andere als vor der Waffenruhe. Einige sind
       so gewaltig, dass sie metertiefe Krater in den Boden sprengen. Es fühlt
       sich wie ein Erdbeben an, wenn sie irgendwo in der Stadt einschlagen. Die
       Menschen sterben jetzt auch in den Kellern, in denen sie Zuflucht suchen.
       Die Bomben pulverisieren sie einfach.
       
       Viele unserer Fahrzeuge sind in den vergangenen Tagen zerstört worden, und
       es wird immer schwieriger, alle Opfer zu erreichen. Ich mache mir keine
       Gedanken mehr, was mit mir passiert. Ich wollte zu den Weißhelmen, weil wir
       Leben retten und nicht zerstören. Uns interessiert nicht, welche Religion
       ein Mensch hat oder was er politisch denkt. Wir holen ihn aus den Trümmern.
       Das ist meine Aufgabe, und ich werde sie erfüllen, solange es geht.
       
       ## Kinderschreie, lauter als Bomben
       
       Mohammed Abdallah, 25, Vater von drei Kindern (Namen geändert): Mein
       jüngster Sohn Laith ist vier Monate alt. Manchmal, wenn ich ihn im Arm
       halte, werde ich traurig. Vielleicht wird mein kleiner Sohn nie etwas
       anderes sehen als die Ruinen in unserer Nachbarschaft. Keine Berge, kein
       Meer, nur die ganze Zerstörung um uns herum.
       
       Ich habe noch zwei weitere Söhne. Habib ist zwei Jahre alt, Salim vier.
       Auch sie kennen nichts als Krieg. Meine Frau und ich haben sie in die Welt
       gesetzt. Jetzt versuchen wir, sie am Leben zu halten. Das wird immer
       schwieriger. Denn die Bomben fallen ohne Unterlass.
       
       Nachts schreien unserer Kinder so laut, dass sie die Detonationen
       übertönen. Wir können sie nicht beruhigen. Unser ganzes Leben dreht sich
       darum, Essen zu organisieren. Wenn einer von uns nach draußen geht weiß der
       andere nicht, ob er zurückkehrt. Meist kommen meine Frau oder ich wütend
       vom Einkaufen. Es gibt immer weniger Lebensmittel, die Preise sind
       astronomisch hoch.
       
       ## Das Wasser aus dem Brunnen macht krank
       
       Obst haben unsere Kinder lange nicht mehr gegessen, auch kaum Gemüse. Ich
       pflanze auf einem einer kleinen Parzelle vor unserem Haus Auberginen und
       Petersilie an. Das sind unsere Grundnahrungsmittel.
       
       Das Wasser holen wir aus einem Brunnen und versuchen es, von Hand zu
       filtern. Es bleibt aber schmutzig. Ich bin davon krank geworden. Wir haben
       einen kleinen Stromgenerator. Aber wir müssen sehr sparsam damit umgehen.
       Wahrscheinlich haben wir bald keine Möglichkeit mehr, Treibstoff zu kaufen.
       
       In unserer Gegend fallen viele Bomben. Wir sind oft stundenlang im
       Schutzraum. Am schlimmsten ist, dass die Bomben, die jetzt von den Russen
       eingesetzt werden, wie aus dem Nichts fallen. Wir wissen nicht, wo wir
       hingehen sollten, wenn eins der Kinder verletzt würde. Die Krankenhäuser
       sind weit weg. Wir denken selten darüber nach. Wir sind zu beschäftigt,
       etwas zum Essen aufzutreiben.
       
       6 Oct 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Cedric Rehmann
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Weißhelme
 (DIR) Aleppo
 (DIR) Syrischer Bürgerkrieg
 (DIR) Schwerpunkt Syrien
 (DIR) USA
 (DIR) Krieg
 (DIR) Schwerpunkt Syrien
 (DIR) Wladimir Putin
 (DIR) Schwerpunkt Syrien
 (DIR) USA
 (DIR) Schwerpunkt Syrien
 (DIR) Russland
 (DIR) Russland
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) UN-Bericht zu Syrien: Mehr als fünf Millionen auf der Flucht
       
       Nach sechs Jahren Bürgerkrieg in Syrien hat die Zahl der Flüchtlinge nach
       Angaben der Vereinten Nationen die Schwelle von fünf Millionen Menschen
       überschritten.
       
 (DIR) Bürgerkrieg in Syrien: Lawrow kündigt neue Gespräche an
       
       Erstmals wollen Russland und die USA wieder über Syrien sprechen. Vertreter
       wichtiger Länder in der Region sollen dazukommen.
       
 (DIR) Bericht der Welthungerhilfe: 800 Millionen Menschen unterernährt
       
       Es gibt „wichtige Erfolge in der Hungerbekämpfung“. Trotzdem ist jedes
       vierte Kind wegen Hunger in seinem Wachstum beeinträchtigt.
       
 (DIR) Bericht von Ärzte ohne Grenzen: 23 Angriffe auf Kliniken in Ost-Aleppo
       
       Die verbliebenen Kliniken in den Rebellengebieten Aleppos sind einem
       Bericht zufolge seit Juli mindestens 23-Mal angegriffen worden.
       
 (DIR) Krieg in Syrien: Offenbar neue Chance für Diplomatie
       
       Die syrische Armee gewinnt Gelände, die Menschen in Aleppo sterben. Jetzt
       bietet der UN-Sondergesandte den Rebellen Geleit an – Russland findet das
       interessant.
       
 (DIR) Anschlag in syrischer Grenzstadt: Ruhe in Aleppo
       
       Der Grenzübergang Atmah ist wichtig für die Versorgung der Rebellen. Er
       wird immer wieder Ziel von Anschlägen. Aleppo erlebt erstmals seit langem
       keine Luftangriffe.
       
 (DIR) USA und Russland: Streit über Syrien eskaliert
       
       Washington hat die gemeinsamen Gespräche über Syrien beendet. Die russische
       Regierung fühlt sich nicht mehr an Abrüstungsabkommen gebunden.
       
 (DIR) Waffenstillstand im Syrienkrieg: USA beenden Gespräche mit Russland
       
       Die Vereinigten Staaten stellen die Verhandlungen mit Russland über eine
       Feuerpause in Syrien ein. Grund sind die zunehmenden Angriffe auf zivile
       Ziele.
       
 (DIR) Krieg in Syrien: „Höhlen-Klinik“ bombardiert
       
       Ein in einen Berg hineingebautes Krankenhaus wurde von russischen Kampfjets
       bombardiert. Das meldet die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte.
       
 (DIR) Krieg in Syrien: Aleppo vor dem Zusammenbruch
       
       Im Syrien-Konflikt droht der vollständige Bruch zwischen den USA und
       Russland. Merkel und Obama verurteilen die „barbarischen“ Angriffe auf
       Aleppo.