# taz.de -- Debatte Grüne: Trittins Platz an der Sonne
       
       > Warum machen sich die Grünen für Gauck stark? Weil sie Anschluss ans
       > bürgerliche Lager wollen. Dafür kann der taz auch gerne mal
       > „Schweinejournalismus“ vorgeworfen werden.
       
 (IMG) Bild: Schwarz bald mehr als nur ein Schatten? Jürgen Trittin kalkuliert mit einem schwarz-grünen Bündnis.
       
       Wenn der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag die Chefredakteurin
       der keineswegs als grünenfeindlich bekannten taz des „Schweinejournalismus“
       zeiht, ist dies für sich genommen eigentlich nicht weiter interessant. Wenn
       es sich beim Auslöser des Vorgangs um einen kritischen Kommentar eines
       taz-Kollegen zu Joachim Gauck handelt, wird die Sache schon interessanter.
       Und wenn dies öffentlich und vor Millionen Zuschauern geschieht, nämlich in
       der Talkshow von Maybrit Illner, wird der Vorfall zu einem Politikum.
       
       Man kann ganz sicher sein: Ein Stratege wie Jürgen Trittin betreibt
       dergleichen nicht aus dem hohlen Bauch, sondern klar kalkuliert. Die
       Abkanzlung der taz war ein Bewerbungsschreiben Jürgen Trittins – und zwar
       in Richtung Kanzlerin.
       
       Denn das ist es doch, worum es in der Causa Wulff parteipolitisch wirklich
       geht – den Platz an der Sonne, sprich: neben Angela Merkel. Fest steht:
       Solange Rot-Grün keine eigene Mehrheit erlangt – und durch den Verzicht auf
       Rot-Rot-Grün wie das Erstarken der Piraten wird es schwerlich dazu kommen
       –, bleiben alle echten Regierungsoptionen im Bund mit der Union verbunden.
       
       Im Jahr 2013 aber wollen Jürgen Trittin, Renate Künast und Claudia Roth vor
       allem eins: in der kommenden Regierung unbedingt dabei sein, schon weil es
       ihre letzte Chance sein könnte angesichts des Aufstiegs jüngerer Talente.
       Auch deshalb lässt sich Jürgen Trittin in seiner staatstragenden Haltung
       schon lange allenfalls noch von Cem Özdemir überbieten.
       
       Tatsächlich könnte sich die Präsidentschaft Joachim Gaucks als der
       entscheidende Schritt zu Schwarz-Grün erweisen. Von Beginn an war der
       Kandidat wesentlich mehr die Idee Jürgen Trittins als die Sigmar Gabriels.
       Als Trittin dem SPD-Parteivorsitzenden, eng vertraut aus Hannoveraner
       Zeiten, den Kandidaten Gauck vorschlug, soll Gabriel vor Begeisterung mit
       lauten „Trittiiiiin“-Rufen durchs Willy-Brandt-Haus gesprungen sein.
       
       ## -Herausgeber ist Trittins Spindoktor
       
       Was Gabriel nicht gewusst haben mag: Auch Trittin hatte seinen Spindoktor.
       Der aber ist niemand anderes als Thomas Schmid, lange Jahre Vordenker der
       sogenannten Ökolibertären in den Grünen, denen unter anderem auch der
       heutige baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann
       entstammt. Heute ist Schmid Herausgeber von Springers Welt; als solcher hat
       er von Beginn an mit aller Macht für Joachim Gauck getrommelt. Wenn einem
       der Ruhm des Präsidentenmachers daher wirklich gebührt, dann Thomas Schmid.
       
       Anfang der 80er Jahre machte Schmid noch den entfesselten Kapitalismus für
       die ökologische Krise mitverantwortlich, heute wirkt er an der Entfesselung
       des Kapitalismus lieber selbst mit. Immerhin ist Die Welt das Hausblatt der
       sogenannten Klimaskeptiker, die die menschgemachte Klimaerwärmung schlicht
       leugnen. Und wofür Schmid – wie auch Kretschmann – seit Langem streitet,
       ist die Wiedervereinigung des bürgerlichen Lagers, sprich: Schwarz-Grün.
       
       Dabei kann er sich des Einverständnisses Jürgen Trittins aus den genannten
       Gründen absolut gewiss sein – wie auch jenes der Kanzlerin. Dass die
       Bereitschaft Merkels zu Schwarz-Grün – schon aus machttaktischen
       Überlegungen – längst vorhanden ist, zeigte der Kampf um das
       Präsidentenamt, der sich hinter den Kulissen abspielte.
       
       Eiskalt setzte Merkel der FDP den Exchef des UN-Umweltprogramms, Klaus
       Töpfer, als Kandidaten vor – eindeutig ein Vorgriff auf Schwarz-Grün und
       eine Absage an das neue „Wachstumscredo“ der FDP. Auch deshalb ergriff der
       ohnehin am Abgrund stehende Philipp Rösler die „Flucht nach vorn“. Was hat
       eine Partei bei drei Prozent schließlich noch zu verlieren? Zumal vor
       existenziellen Wahlen im Saarland und in Schleswig-Holstein.
       
       ## Grüne Gründe für Gauck
       
       Nur die Angst vor einem Koalitionsende zur Unzeit zwang die Kanzlerin zum
       Einlenken. Doch auch mit einem Präsidenten Joachim Gauck können die
       Protagonisten von Schwarz-Grün gut leben. Ihr bürgerlicher Kandidat Gauck
       bedeutet für die Grünen einen weiteren Schritt zur Anschlussfähigkeit ans
       bürgerliche Lager. Das Gauck’sche Credo der „Freiheit in Verantwortung“
       passt zudem wesentlich besser zum libertären Charakter der Grünen als zur
       Sozialdemokratie. Bereits nach seiner ersten Nominierung wurde es denn auch
       von den Grünen, etwa Renate Künast, gefeiert.
       
       Schließlich war Gauck bei den letzten Volkskammerwahlen vom 18. März 1990
       Kandidat von Bündnis 90. Insofern steckt in der Tatsache, dass die
       Präsidentenwahl just an einem 18. März stattfinden wird, ein höchst
       symbolischer Fingerzeig.
       
       Joschka Fischer weist zu Recht darauf hin, dass die Wahl des
       Bundespräsidenten keinesfalls eine Angelegenheit minderen machtpolitischen
       Ranges ist, sondern hochpolitisch. In der Tat: Als am 5. März 1969 der
       Sozialdemokrat Gustav Heinemann zum dritten Bundespräsidenten der
       Bundesrepublik Deutschland gewählt wurde, sprach er alsbald von einem
       „Stück Machtwechsel“.
       
       Völlig zu Recht, denn nur ein gutes halbes Jahr später wurde Willy Brandt
       mit den Stimmen von SPD und FDP zum ersten Bundeskanzler der Republik
       gewählt, der nicht der Union angehörte. Zwanzig Jahre nach Gründung der
       Republik war der Machtwechsel vollbracht.
       
       Ein derartiger Machtwechsel ist diesmal allerdings nicht in Sicht: Joschka
       Fischer hat Unrecht, wenn er in der Koalition für Gauck bereits den
       Vorschein einer neuen Ampel erkennen will. Was sollte Grüne und SPD mit der
       Pro-Wachstums-FDP des Philipp Rösler denn auch inhaltlich verbinden?
       
       Bei der Wahl am 18. März wird es sich um etwas völlig anderes handeln: um
       ein Stück Machterhalt – nämlich für Angela Merkel. Offen scheint derzeit
       nur, wen die Kanzlerin in eineinhalb Jahren gegen die FDP eintauschen wird
       – die Grünen, wenn’s reicht, oder die SPD, wenn’s sein muss?
       
       Mit einem Präsidenten Gauck gibt es jedenfalls viele Argumente für die
       Grünen und wenige für die SPD. Fest steht: Sollte es für die Grünen
       tatsächlich prozentual reichen, wofür derzeit vieles spricht, dürfte Jürgen
       Trittin an der neuen Koalition maßgeblich beteiligt sein.
       
       28 Feb 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Albrecht von Lucke
       
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