# taz.de -- Die Wahrheit: Digitale Pest zum Fest
       
       > Früher waren die Iren fleißige Weihnachtskartenschreiber, heute schicken
       > sie bloß noch lärmende Elektropost zum Fest.
       
       Unser Briefträger ist seit Wochen gut gelaunt. Das ist im Dezember
       ungewöhnlich, denn normalerweise schickt die halbe Nation der anderen
       Hälfte eine Weihnachtskarte – und umgekehrt. Doch der Trend zur
       Elektropost, der in anderen Ländern längst um sich gegriffen hat, macht
       inzwischen auch vor Irland nicht halt.
       
       „Voriges Jahr waren es fast doppelt so viele Karten“, frohlockte der
       Postbote. „Und weil die Schreibfaulen ein schlechtes Gewissen haben, sind
       sie beim Trinkgeld in diesem Jahr umso großzügiger.“
       
       Elektronische Weihnachtskarten sind die Pest. Ich habe vorsichtshalber den
       Ton am Computer ausgeschaltet, denn wenn man unbedacht eine Mail öffnet,
       dschingelbellt es womöglich aus den Lautsprechern, während ein
       rotbemantelter Weißhaariger mit einem rotnasigen Rentier eine Polonaise
       tanzt. Weihnachtskarten hingegen konnte man auf den Kaminsims stellen und
       damit prahlen, wie viele Freunde man hatte. Aus und vorbei: Die Karten vom
       Weinhändler meines Vertrauens und von der analogen alten Tante Elfriede
       deuten eher auf soziale Isolation hin.
       
       Vorbei ist es auch mit dem festlichen Wettbewerb, den der Buchladen Kenny
       im westirischen Galway jedes Jahr ausgerufen hatte: Prämiert wurde die
       geschmackloseste Weihnachtskarte. Bisweilen gewann der Belfaster
       Schriftsteller John McGuffin. Einmal war auf seiner Karte ein kleiner Junge
       abgebildet, der am Fuß der Treppe den Weihnachtsmann beobachtet, wie er
       Geschenke in die Strümpfe stopft. „Es tut mir so leid, dass du mich gesehen
       hast, Timmy“, sagt der gutmütige Alte, „denn jetzt muss ich dich töten.“
       
       ## Aufruhr mit Flechtmustern
       
       Früher waren die Iren die fleißigsten Weihnachtskartenschreiber der Welt.
       Vor etwas mehr als hundert Jahren verschickten sie fast ausschließlich in
       Deutschland hergestellte Karten. Dann kam der Erste Weltkrieg, und die
       deutschen Karten wurden durch englische ersetzt. Das passte wiederum der
       Gräfin Constance Markievicz nicht. Sie machte sich sofort daran, eine Reihe
       „irischer“ Karten zu entwerfen. Als Weihnachten kam, saß sie jedoch im
       Gefängnis, und die Karten sind bis heute unauffindbar. Die Gräfin hatte
       1916 am Osteraufstand gegen die englische Herrschaft teilgenommen und war
       von einem Gericht zum Tode verurteilt worden, aber weil sie eine Frau war,
       ließ man sie am Leben.
       
       Vermutlich hätten die Engländer ihre Karten ohnehin zensiert. So ging es
       der Gaelic Press mit ihren nationalistischen Karten ständig. Die Verwendung
       von grüner Farbe, Kleeblattmotiven und keltischen Flechtmustern war den
       Besatzern wegen der angeblich aufrührerischen Symbole suspekt.
       Möglicherweise lag es aber eher am Text, den der Anführer des
       Osteraufstands, Patrick Pearse, verfasst hatte. Er begann folgendermaßen:
       „Kein Mann soll an England gebunden sein, noch Freundschaft mit schofeligen
       Schotten halten …“
       
       In diesem Sinne, liebe Leserinnen und Leser: Fröhliche Weihnachten!
       
       22 Dec 2025
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Sotscheck
       
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