# taz.de -- Die Wahrheit: Mein Leben in der Verschenkebox
       
       > Will Berlin optimieren, wird es interessant bis lustig – so etwa beim
       > Kieztag der Stadtreinigung, wo das Prinzip der fröhlichen Umverteilung
       > herrscht.
       
       Ich nehme an einer großen Umverteilungsaktion teil. In Berlin ist es seit
       jeher Sitte, überdrüssig gewordene Besitztümer in der Nachbarschaft
       weiterzugeben. Getarnt als Geschenk stellt man sie einfach auf den Gehweg.
       Der zukunftsorientierte Berliner Senat will diese Tradition nun unter
       Strafe stellen – bloß weil manch Matratze Jahre braucht, um neue Eigentümer
       zu finden. Zur Prozessoptimierung hat die Stadtreinigung den [1][„Kieztag“]
       ins Leben gerufen. Das ist Sperrmüllentsorgung und Tauschmarkt in einem,
       eine begehbare Zu-Verschenken-Box.
       
       Endlich werde ich also den alten Drucker und die formschöne, leider nicht
       mehr mit Strom beladbare Bluetoothbox los! Beides in eine Tasche gepackt,
       mache ich mich auf den kurzen Weg. Mir kommen diverse Menschen mit prallen
       Beuteln entgegen. Jemand trägt irgendwas Korbgeflochtenes. Allen gemein die
       ernsten Gesichter. War der Kampf um den Müll anderer Leute so hart? Eine
       Art Schrottwichteln ohne Würfel, dafür mit härteren Bandagen?
       
       Erst an der Ecke lächelt mich eine Frau an. „Hallo! Darf ich mal in deine
       Tasche gucken?“ – „Das ist nur Elektroschrott!“ – „Trotzdem!“ Sie greift
       zielsicher nach der Bluetoothbox. „Die ist kaputt. Der Akku ist fertig.“ –
       „Egal. Ich nehm sie!“
       
       Beim Weitergehen frage ich mich, ob ich zu blöd gewesen bin, die Box wieder
       aufzuladen. Die war wirklich schick! Hätte ich damit nicht was anderes
       anfangen können? Sie als Briefbeschwerer nutzen? Meine Gedanken schwinden
       angesichts der vielen Leute, die sackkarrenweise Zeug zu den zwei Müllwagen
       der Stadtreinigung bringen. Dazwischen abgewohnte Möbel und Tische mit
       allerlei Kleinkram. Irgendjemand zerrt an einem Fahrrad. Das sieht sogar
       richtig gut aus. Im Gegensatz zu den Speichenleichen in unserer Straße, die
       seit Jahren nicht bewegt worden sind.
       
       Auf den Gepäckträger des Rades vor meinem Haus hatte wer vorletzten Winter
       ein Paar Schuhe geklemmt. Dieses Frühjahr sind an all diese Rostobjekte
       Aufforderungen geklebt worden, sie zu entfernen, sonst würde dies das
       Ordnungsamt übernehmen. Außer, dass die Zettel als Aufforderung genommen
       wurden, die Räder auszuschlachten und ihnen Sattel und Räder abzuschrauben,
       ist nichts geschehen. Die Schuhe klemmen noch immer auf dem Gepäckträger.
       
       ## „Hey, mein Rad!“
       
       Auch das Rad auf dem „Kieztag“ bleibt an Ort und Stelle. Es ist
       abgeschlossen. Gerade zückt ein Mann einen Schraubschlüssel, da kommt ein
       Langhaariger angeschlurft. „Hey, mein Rad!“ –„Jetzt nicht mehr!“
       
       Zwei Müllmänner treten hinzu und klären wohl über das Prinzip der
       fröhlichen Umverteilung auf. Ich gebe derweil lieber einer anderen
       Müllperson meinen Drucker. „Ist da noch der Toner drin?“, fragt sie.
       „Bestimmt“, sage ich. „Den nehmen wir nicht.“ Sie drückt mir die Kartusche
       in die Hand. „Wir können ja nicht alles nehmen.“ – „Klar, alles geht
       natürlich nicht.“
       
       Ratlos stehe ich auf der Straße.
       
       16 Dec 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.bsr.de/meinkieztag
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thilo Bock
       
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