# taz.de -- Die Wahrheit: Schneeblind im Lichtermeer
       
       > Das unterfränkische Oberelsbach bietet den mit Abstand hellsten
       > Weihnachtsweiler Bayerns​.
       
 (IMG) Bild: Die größten Glühmittelfetischisten kommen aus Unterfranken
       
       Auf der Nachtfahrt nach Oberelsbach können wir das Navigationssystem 20
       Kilometer vor dem Ziel getrost ausschalten. Stattdessen brauchen wir nur
       der weithin sichtbaren Lichtglocke über dem unterfränkischen
       Zweitausend-Seelen-Ort zu folgen. In Sachen Helligkeit kann es die einstige
       Dark-Sky-Perle im Sternenpark Rhön dank Carina Edelbachers Weihnachtshaus
       locker mit dem großen New Yorker Time Square aufnehmen. Die
       Adventsschmuck-Enthusiastin begrüßt uns vor ihrem schneeblind machenden
       Domizil.
       
       „Hereinspaziert in den mit Abstand hellsten Weiler Bayerns“, strahlt die
       Landwirtin mit ihrem leuchtenden Bauernhof um die Wette. Wie uns Edelbacher
       verrät, sorgen insgesamt 170.000 Hochleistungsglühbirnen, 49.000
       Lichterketten und 8.000 selbstleuchtende Klinkersteine aus funkelndem
       Bergkristall für adventlichen Glamour. Ihr Lametta-verseuchtes Inventar aus
       schlohweißen Weihnachtsengeln, Lavalampen-Rentieren und Schlitten mit
       eingebautem Fernlicht gefalle aber längst nicht jedem.
       
       „Dass die Anlage auch noch aus mehreren Richtungen von Flak-Scheinwerfern
       angestrahlt wird, ist den Deppen von der Astronomischen Gesellschaft
       Nordbayern seit Langem ein Dorn im Auge. Passen Sie bitte auf, wo Sie
       hintreten, ja?“ Edelbacher lenkt uns über einen leitungsfreien
       Isolierteppich Richtung Fassade. „Abseits davon herrscht aufgrund des
       Starkstroms akute Lebensgefahr“, mahnt unsere Gastgeberin.
       
       Kummer und Harm drohen auch in den Innenräumen. Wegen der vielen
       Brandfallen und bedenklicher Elektrosmogwerte im Haus wohnt die 42-Jährige
       mit ihrem Mann und den vier Kindern derzeit lieber im Kuhstall. Dass unsere
       Haare sich in der knisternden Luft aufrichten, wundert uns nicht. Über dem
       Heim der Familie Edelbacher thront nämlich ein bedrohlich summender
       Hochspannungsmast. „Die bayerische Landesregierung hat beim Bau der
       Fulda-Main-Leitung netterweise einen Schlenker gemacht und uns wegen der
       hohen Nachfrage direkt an die Trasse angeschlossen“, quietscht Edelbacher
       begeistert. Ein Kurzschluss sei dadurch so gut wie ausgeschlossen. „Für den
       unwahrscheinlichen Fall eines Blackouts qualmt im Garten sicherheitshalber
       ein riesiger Dieselgenerator. Kommen Sie!“
       
       ## Elektrostatische Funken
       
       Die Viehzüchterin führt uns in den casinoartig beleuchteten Geburtsstall.
       Das sonst übliche Rascheln beim Betreten der Strohunterlage bleibt
       überraschenderweise aus. „Damit das Heu sich nicht spontan an
       elektrostatischen Funken entzündet, ist hier sicherheitshalber alles aus
       Plastik“, klärt die Bauersfrau auf. Sie deutet entzückt auf das lebensgroße
       Krippenensemble. „Schauˈn Sie nur: Der Heiland ist da!“
       
       Inmitten von Ochs und Esel liegt in der Kinderbettstatt mit weit
       heraushängenden Beinen eine selig lächelnde Friedrich-Merz-Kopie. Während
       die Hirten ihre Gesichter in den Händen vergraben und sich Maria und Josef
       mit Grausen abwenden, scheinen die rückwärtsgewandten Könige einem
       Fluchtimpuls nachzugeben.
       
       Mittlerweile hat sich auf dem Gelände ein tonnenschwerer Turmdrehkran in
       Position gebracht. Als an dessen Stahlseil vorsichtig ein monströser
       Uran-Weihnachtsstern nach oben gezogen wird, klatscht die Agronomin
       euphorisch in die Hände. „Das neue Leuchtfeuer bajuwarischer
       Atomgläubigkeit hat eine Leistung von 900 Megawatt und wird nach dem
       Netzanschluss weit über Bayern hinaus sichtbar sein“, sprudelt es aus
       Edelbacher hervor. „Für den integrierten Kleinreaktor haben wir von Markus
       Söder eine Sondergenehmigung bekommen. Der Ministerpräsident hofft, dass
       von unserem Gestirn ein Impuls für die Kernenergie ausgeht. Außerdem fließt
       alles, was wir an Power nicht benötigen, via Exklusivleitung sofort in die
       Staatskanzlei nach München.“
       
       Die Glühmittelfetischistin hält uns eine Fernsteuerung mit Antenne und
       überdimensioniertem Knopf hin. „Die Ehre der Inbetriebnahme gebührt Ihnen.
       Bitte!“ Mit Gratis-Atomstrom für den CSU-Strahlemann wollen wir eigentlich
       nichts zu tun haben. Aber es kommt, wie es kommen musste: Ein großer Knall
       erschüttert den Weiler. Weil das Stromnetz wegen Überladung implodiert ist,
       sind auf Edelbachers Hof sämtliche Lichter ausgegangen. Beim Gedanken an
       den plötzlich im Finstern sitzenden Söder kommt zum ersten Mal
       Weihnachtsstimmung auf.
       
       Auf unserer Rückfahrt durch den tiefschwarzen Sternenpark Rhön summen wir
       leise vor uns hin. „Dunkle Nacht. Herrliche Nacht.“ Ist das Leben nicht
       schön?
       
       10 Dec 2025
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Patric Hemgesberg
       
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