# taz.de -- Chemiefabrik im Verdacht: Die klimaschädliche Abgasfahne aus Bad Wimpfen
> Forscher weisen in der Luft im Raum Frankfurt extreme Werte der
> Chemikalie SF6 nach. Ihre Erklärung: Das Gas muss aus einem Leck bei
> einer Firma nahe Heilbronn stammen.
(IMG) Bild: Die Idylle trügt: Aus Bad Wimpfen stammt laut dem Institut für Atmosphäre und Umwelt ein Drittel der jährlichen deutschen SF6-Emissionen
Im Raum Frankfurt steigen die Konzentrationen des Treibhausgases
Schwefelhexafluorid (SF6) bei bestimmten Wetterlagen. Das fanden Forscher
vom Institut für Atmosphäre und Umwelt der Goethe-Universität Frankfurt
heraus.
Die Fluorsubstanz steht so sehr im Fokus, weil sie als das stärkste derzeit
bekannte Treibhausgas gilt. Sie sei 23.500-mal schädlicher als CO2 und habe
in der Atmosphäre eine Lebensdauer von 3200 Jahren, berichtet das
Umweltbundesamt. Die einzige derzeit plausible Erklärung für die Herkunft
des Gases: ein Leck bei einer Chemiefirma in der Nähe von Heilbronn.
Genau genommen ist es die Kleinstadt Bad Wimpfen am Neckar, die nun im
Fokus steht. Dort verarbeitet und recycelt die Firma Solvay das Gas SF6.
Die Uni Frankfurt, die seit einigen Jahren eine SF6-Messstation am Taunus
Observatorium betreibt, teilte jetzt mit, sie registriere dort die höchsten
Konzentrationen unter allen europäischen Stationen eines internationalen
Messnetzes.
„Das hat uns stutzig gemacht“, sagt Professor Andreas Engel vom Institut
für Atmosphäre und Umwelt, „besonders, weil die höchsten Werte bei
südlicher Anströmung auftreten“.
Das ist ein entscheidendes Indiz: Rund 100 Kilometer Luftlinie von der
Messstation entfernt in südsüdöstlicher Richtung befindet sich nämlich das
betreffende Unternehmen. Mithilfe atmosphärischer Transportmodelle habe man
die Emissionen räumlich zuordnen können: Rund 30 Tonnen SF6 würden jährlich
in der Region Heilbronn emittiert. Das entspreche etwa einem Drittel der
gesamten deutschen SF6-Emissionen.
## Grund für Ausstoß stellt Forscherin vor Rätsel
Laut Medienberichten hat das Unternehmen zuletzt offiziell einen jährlichen
Ausstoß von lediglich 56 Kilogramm SF6 angegeben, nur etwa ein
Fünfhundertstel des gemessenen Ausstoßes. Von der Firma selbst war keine
Stellungnahme zu bekommen.
Auch das baden-württembergische Umweltministerium zeigt sich noch
zurückhaltend; dem ZDF teilte es mit, die Studie sei „nicht geeignet,
anlagenscharf den Nachweis über die Verursachung der Emissionen zu führen“.
Katharina Meixner, Hauptautorin der Studie, sagt, bislang habe man
angenommen, dass das SF6 in der Atmosphäre hauptsächlich aus der Entsorgung
alter Schallschutzfenster stamme. Das Gas durfte bis 2008 in
Schallschutzfenstern eingesetzt werden. Doch angesichts der hohen Messwerte
bei einer bestimmten Windrichtung ist diese Vermutung kaum mehr plausibel.
## Gas wurde 2024 häufiger verkauft als im Vorjahr
SF6 ist geruchlos, nicht brennbar und sehr reaktionsträge, weshalb es für
eine Vielzahl von Anwendungen infrage kommt. Rund 60 Prozent des Absatzes
gehen heute in die Elektroindustrie und den Apparatebau, speziell zur
Isolierung in Schaltanlagen für Mittel- und Hochspannung.
Auch in der Halbleiterindustrie wird es zum Ätzen und Reinigen verwendet.
Da sich das Gas [1][typischerweise in geschlossenen Systemen befindet],
kann es nach Ende der Lebensdauer der Anlagen zu einem großen Teil
zurückgewonnen werden. Allerdings sind Leckagen unvermeidbar.
Nach Zahlen des Statistischen Bundesamts stieg der Absatz des Gases in
Deutschland im Jahr 2024 im Vergleich zum Vorjahr sogar noch um 14,9
Prozent; 813,3 Tonnen seien hierzulande an verschiedene Branchen abgegeben
worden.
## Bad Wimpfen war schon FCKW-Sünder
Die Umweltgefahren durch SF6 erinnern an eine Debatte aus den 1980er
Jahren: Damals waren es die Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW), die zum
Beispiel als Treibgase in Spraydosen und zum Aufschäumen von Kunststoffen
genutzt wurden. Nachdem sie als Hauptverursacher des Ozonlochs in der
Stratosphäre ausgemacht wurden, reduzierte man die Produktion durch das
Montrealer Protokoll von 1987 [2][über die Jahre hinweg drastisch].
SF6 und FCKW sind beide sehr stabile, in der Atmosphäre langlebige
Fluorverbindungen. Aber nicht nur das: Auch bei der Firma in Bad Wimpfen
handelt es sich um eine alte Bekannte. Sie produzierte nämlich damals –
noch unter dem Namen Kali-Chemie – FCKW und war damit neben Hoechst der
zweite Hersteller in Deutschland.
Dies führte dazu, dass Greenpeace das Gelände [3][im Februar 1990 besetzte
und an Chemikalientanks ein Banner aufhing]: „Hier zerstört die Kali-Chemie
Ozonschicht und Klima“. Es ist also für den Standort Bad Wimpfen keine neue
Erfahrung, mit Kritikern aus dem Umweltschutz konfrontiert zu sein.
6 Dec 2025
## LINKS
(DIR) [1] /Recycling-von-Kuehlschraenken/!5977994
(DIR) [2] /Politologin-ueber-soziale-Kipppunkte/!5944360
(DIR) [3] /Die-Welt-damals-und-heute/!5870690
## AUTOREN
(DIR) Bernward Janzing
## TAGS
(DIR) Schwerpunkt Klimawandel
(DIR) Treibhausgase
(DIR) FCKW
(DIR) Chemiekonzern
(DIR) Baden-Württemberg
(DIR) GNS
(DIR) Berlin autofrei
(DIR) Schwerpunkt Klimawandel
(DIR) Weltraum
## ARTIKEL ZUM THEMA
(DIR) Ozonloch wird kleiner: Mehr Verbote, bitte!
Seit FCKW verboten wurde, schließt sich das Ozonloch deutlich. Würde es
mehr Restriktionen geben, würde das Klima besser geschützt.
(DIR) Ozonloch wird kleiner: Glück und Verstand
Wenn es beim Ozon so gut klappt, sollte es mit der Erderwärmung doch auch
gehen. Nur, ganz so einfach ist es leider nicht.
(DIR) Immer mehr Satelliten: Gefahr für die Ozonschicht?
Immer mehr Satelliten fliegen um die Erde. Forschende haben nun simuliert:
Bei ihrem Absturz entstehen Stoffe, die wohl der Ozonschicht schaden.