# taz.de -- Hongkong nach dem Großbrand: „Wer Rechenschaft verlangt, wird verhaftet“
> Nach dem schlimmsten Feuer in Dekaden ist die Zivilgesellschaft zu neuem
> Leben erweckt. Doch die nationale Sicherheitspolizei sitzt am längeren
> Hebel.
(IMG) Bild: Hongkongs Bevölkerung drückt auf Zetteln in der Nähe des Brandortes ihre Betroffenheit und ihr Mitgefühl mit den Opfern aus
Nach Hongkongs verheerendem Großbrand ist Miles Kwan vor die benachbarte
U-Bahnstation Tai Po Market gezogen, ausgerüstet mit einem vollen
Jutebeutel, und hat jedem vorbeigehenden Passanten ein Flugblatt in die
Hand gedrückt. Der 24-jährige Student warb für eine Petition, die bis
Samstagabend bereits über 10.000 Unterstützer gewinnen konnte. Sie fordert
eine unabhängige Untersuchung der Unglücksursache und soll dabei nicht nur
auf die Korruption in der Baubranche eingehen, sondern auch zu möglichen
Verstrickungen politischer Entscheidungsträger ermitteln.
Was in den meisten Demokratien ein selbstverständliches Anliegen wäre, ist
für die von Festlandchina installierte nationale Sicherheitspolizei eine
„rote Linie“: Beamte in Zivil führten den Studenten am Samstagabend ab. Ihm
wird der schwerwiegende Straftatbestand „Aufruhr“ vorgeworfen.
Nur wenige Tage nach dem Großbrand wird die politische Dimension der
Tragödie sichtbarer. In den sieben ausgebrannten Türmen des Wang Fuk Courts
stellten Einsatzkräfte bis Sonntagabend 146 Tote fest, etliche werden noch
vermisst. Darunter sollen 80 Haushaltshilfen aus Indonesien und den
Philippinen sein. Sie wurden überproportional stark getroffen.
Auch wenn die von der Regierung verkündete dreitägige Trauer noch nicht
vorbei ist, wird schon hitzig die Frage nach der Ursache debattiert. Dass
bei Sanierungsarbeiten der 1983 fertiggestellten Wohnanlage von der
Baufirma gepfuscht wurde, scheint gesichert. [1][Doch entgegen ersten
Berichten, wonach die Bambusgerüste ein ausschlaggebender Grund gewesen
seien], begünstigten wohl vor allem die grünen Schutznetze die Ausbreitung
der Flammen. Die Netze waren nämlich entgegen den Bestimmungen aus
einfachem Plastik. Zudem waren Fenster mit leicht entflammbarem Styropor
abgedeckt.
## Warum haben die Behörden die Beschwerden ignoriert?
Polizei und Anti-Korruptionsbehörden haben schon elf Personen aus der
Baubranche verhaftet. Doch die mindestens ebenso wichtige Frage wird von
den Hongkonger Medien nur äußerst zaghaft gestellt: Wie kann es sein, dass
die staatlichen Aufsichtsbehörden die offensichtlichen Missstände trotz
mehrerer gut dokumentierter Beschwerden über einen langen Zeitraum
ignoriert haben?
„Was das Brandunglück betrifft, glaube ich, dass die Hongkonger Regierung
eine große Verantwortung trägt. Aber darüber scheint niemand zu sprechen“,
meint der renommierte chinesische Journalist Wang Zhian. Er lebt
mittlerweile im japanischen Exil und publiziert seine Analysen auf YouTube.
Sein Urteil zu Hongkong fällt ernüchternd aus: Die Medien seien fast zum
Schweigen gebracht, der Legislativrat zum Abnick-Parlament verkommen. So
fehle die Grundlage für einen politischen Rechenschaftsmechanismus. „Ist
das nicht dasselbe tragische Muster, das wir immer wieder auf dem Festland
gesehen haben?“, so Wang: „Dieses Muster breitet sich nun in Hongkong aus“.
Noch sind die Verhältnisse in der Sonderverwaltungszone andere. Die
totgeglaubte Zivilgesellschaft, die seit der [2][Einführung des
drakonischen nationalen Sicherheitsgesetzes 2020] stark gelitten hatte,
zeigt sich nach dem Brand wieder quicklebendig: Etliche Bürgerinnen und
Bürger organisierten sich spontan, um Spenden einzusammeln sowie
Lebensmittel und warme Decken zu verteilen.
## Wird Kritik als „Hass gegen den Regierungschef“ gesehen?
Doch wurde diese Mobilisierung von den Autoritäten misstrauisch beäugt. Die
Polizei verstärkte nicht nur ihre Patrouillen um den Unglücksort. Auch das
nationale Sicherheitsbüro für Hongkong erklärte am Samstag,
„anti-chinesische Unruhestifter“, die „Hass gegen den Regierungschef und
die Sonderverwaltungsregierung schüren“, würden hart bestraft. Der
festgenommene Miles Kwan bekam die staatliche Gewalt als erster zu spüren.
Ob weitere Personen verhaftet wurden, war bis Sonntagabend nicht bekannt.
Für die mittlerweile in den USA lebende Menschenrechtsaktivistin Yaqiu Wang
wiederholt sich in Hongkong, was sie selbst in den Nullerjahren noch in
Festlandchina erlebte: „Bürger, die nach öffentlichen Katastrophen
staatliche Rechenschaft verlangen, erhalten keine Antworten, sondern werden
festgenommen und eingeschüchtert“, schrieb Wang auf X.
30 Nov 2025
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## AUTOREN
(DIR) Fabian Kretschmer
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