# taz.de -- Antje Boetius über Tiefsee: „Es gibt Methoden, das Unbekannte zu quantifizieren“
       
       > Beim kommerziellen Tiefseebergbau seien wichtige Fragen ungeklärt, warnt
       > die Tiefseeforscherin Antje Boetius.
       
 (IMG) Bild: In der Tiefsee vor dem chilensichen Valparaiso wurden neue Arten entdeckt
       
       taz: Die Barbie-Firma Mattel hat extra für Sie eine Boetius-Barbie
       entworfen. Ist die mit Ihnen nach Kalifornien gereist? 
       
       Antje Boetius: Nicht nur diese Polar-Barbie. Es gibt ja mehrere Barbies,
       die forschen, tauchen, schnorcheln und am Strand Müll sammeln. Die stehen
       alle hier in meiner Bibliothek.
       
       taz: Sie arbeiten am Monterey Bay Aquarium Research Institute (MBARI) an
       der Pazifikküste in Zentralkalifornien. Das Institut ist berühmt für seine
       Robotikforschung. Warum sind Roboter für die Meeresforschung so wichtig? 
       
       Boetius: Weil man damit schneller zu Wissen kommt und auch überhaupt
       irgendwohin. Die Ozeanfläche ist riesig, und es gibt nur wenige
       Forschungsschiffe. Besonders Tiefseeroboter mit bildgebenden Verfahren
       machen laufend große Fortschritte. Und die Unterwasserfahrzeuge messen
       nicht nur, sie senden Videos von bisher unbekannten Tierarten. Mit dem
       Fahrzeug wurde zum Beispiel gerade der bucklige Schneckenfisch entdeckt.
       
       taz: Es gibt eine Aussage, die man immer wieder hört: Der Ozean muss
       geschützt werden vor Ausbeutung wie dem Tiefseebergbau, weil wir 90 Prozent
       der Arten darin noch nicht kennen. Wie kann man das behaupten, wenn riesige
       Bereiche der Tiefsee noch gar nicht erforscht sind? 
       
       Boetius: Es gibt Methoden, das Unbekannte zu quantifizieren. Sie fahren
       irgendwo hin, nehmen eine Probe, sequenzieren sie, dann wissen Sie, was da
       lebt und auch, wie viele Tiere oder Bakterien noch nicht bekannt waren.
       Dann wiederholen Sie die Messung in 100 Metern Entfernung, 10 Kilometern,
       100 Kilometern und so weiter, und schauen, wie viele neue Arten jedes Mal
       dazukommen. Mit diesen Methoden lässt sich hochrechnen, wie viel
       unbekanntes Leben es gibt. Die Zahl ist riesig: Wir gehen von Millionen von
       Arten aus.
       
       taz: Im Juni gab es einen Durchbruch beim [1][internationalen
       Hochseeschutzabkommen] (BBNJ). Es wurde von über 60 Ländern ratifiziert und
       kann Mitte Januar in Kraft treten. Deutschland hat es bisher nicht
       ratifiziert, es wurden diese Woche gerade mal die notwendigen
       Gesetzentwürfe vom Kabinett beschlossen. Können Sie sich das erklären?
       
       Boetius: Ja, eine solche Ratifizierung ist bei uns ein langer Prozess, der
       viele Stationen durchlaufen muss: Bundestag, Bundesrat, Bundespräsident.
       Deutschland wird dennoch kräftig mithelfen. Es wird noch dauern, bis das
       alles zu konkretem Schutz der Tiefsee führt, aber dieses Abkommen schließt
       eine Lücke. Denn mit dem Hochseeschutzabkommen haben wir uns als Menschheit
       darauf geeinigt, dass das Leben im Ozean selbst ein riesiger Schatz ist,
       und dass wir lernen wollen, darauf aufzupassen. Das ist ein großer
       Fortschritt.
       
       taz: Gleichzeitig hat man es auf der Konferenz der Meeresbodenbehörde ISA
       in diesem Sommer nicht geschafft, sich auf einen Kodex für den
       Tiefseebergbau zu einigen. Der Kodex hätte die kommerzielle Ausbeutung
       mineralischer Ressourcen in der internationalen Tiefsee geregelt. Das passt
       nicht zusammen mit dem BBNJ. 
       
       Boetius: Der Kodex muss viele Faktoren abdecken, da bleibt es kompliziert,
       sich international zu einigen. Mit dem BBNJ wird die Aufgabe verstärkt,
       Regeln zu finden, wie man die Tiefsee schützen und gleichzeitig nutzen
       kann. Eins ist klar: Tiefseebergbau würde wie der Bergbau an Land auch
       immer Schaden anrichten. Es geht darum, keine irreparablen Schäden wie den
       Verlust von Arten hinzunehmen. An Land wissen wir, wie man eine
       Bergbaulandschaft heilt, und wie lange das dauert. Am Meeresboden wissen
       wir das noch nicht. Da sind die einfachsten Fragen nicht geklärt. Könnte
       die Schlammwolke, die sich beim [2][Abbau von Manganknollen] verteilt,
       anderswo den Fischfang beeinträchtigen? Wie lange braucht es, bis sich ein
       Gebiet erholt, auf dem man Knollen geerntet hat, die zwei Millionen Jahre
       gewachsen sind? Da fehlt noch viel Forschung und viel Regulierung, und das
       müssen die beteiligten Nationen einschließlich ihrer Industrien aushandeln.
       
       taz: Welche Konsequenzen hat es, dass dieser Kodex nicht vereinbart wird? 
       
       Boetius: Dass sich der [3][Bergbau in nationale Gewässer verlagert]. Zum
       Beispiel in Norwegen gibt es Diskussionen um den Abbau von seltenen
       Metallen im Nordmeer. Und es laufen Erkundungen im Südpazifik, bei Nauru,
       den Cook-Inseln, Samoa oder den Marshall-Inseln. Gerade Insel-Regierungen
       wollen wissen, welche Schätze sich am Meeresboden befinden. Sie möchten
       sich nicht von anderen reinreden lassen, sondern direkt mit Investoren
       Deals machen. Die USA haben derzeit die Nationale Ozean und
       Atmosphärenbehörde (NOAA) beauftragt, Meeresbodenkarten anzufertigen und
       über den Bergbau zu beraten. Es soll eine neue Abschätzung der möglichen
       Gewinne und Verluste geben. Dabei ist die Entsorgung der giftigen Schlämme
       nach Extraktion der Wertstoffe noch gar nicht geklärt.
       
       taz: Sie wirken sehr geduldig angesichts der Dringlichkeit dieser Fragen. 
       
       Boetius: Es ist wie bei allen Konflikten um Ressourcen, und es können auch
       Lösungen gefunden werden. In Norwegen hatte die Regierung 2024 geplant,
       Bodenschätze kommerziell in der norwegischen Tiefsee abzubauen. Dann hat
       die Bevölkerung protestiert und diese Pläne wurden für ungewisse Zeit
       gestoppt. Denn es gibt grundsätzliche Fragen: Gibt es überhaupt ein
       Geschäftsmodell für den Tiefseebergbau? Warum sind wir abhängig von diesen
       Metallen? Brauchen wir die in Zukunft, oder können andere Materialien
       genutzt werden?
       
       taz: Haben wir so viel Zeit? Nicht nur der Bergbau, auch der Klimawandel
       gefährdet das Leben im Ozean. 
       
       Boetius: Bei mehr als 200 verschiedenen Nationen und den
       unterschiedlichsten Regierungen treffen sehr viele verschiedene Konzepte
       darüber aufeinander, was Sicherheit und Wohlstand eigentlich sind, und
       inwiefern auch kommende Generationen berücksichtigt werden. Um eine
       Einigung hinzubekommen, braucht es Abkommen wie die der Vereinten Nationen
       oder den Antarktischen Vertrag. Ich finde es schade, dass
       Aushandlungsprozesse wie die der Klimakonferenz oft so negativ dargestellt
       werden. Wie soll es Menschheitsfortschritt geben, wenn nicht durch
       internationale Verträge?
       
       taz: Auf der anderen Seite betonen Sie als bekannte Tiefseeforscherin immer
       wieder, wie viel wir gerade verlieren durch unsere Lebensweise. 
       
       Boetius: Die Wissenschaft wird immer vor gesellschaftlichen Risiken warnen,
       aber auch zu Lösungen beitragen. Und ja, wir messen, wie schnell das
       Meereis schmilzt und die Korallenriffe ausbleichen. Es gibt riesige
       Verluste in der Natur. Das ist ungerecht gegenüber denjenigen, die das
       weder verursachen noch das Konzept teilen, dass die Natur uns untertan
       wäre. Es gibt sehr altes Kulturwissen, dem zufolge wir Teil eines ewigen
       Kreislaufs sind und unser Überleben davon abhängt, im Gleichgewicht mit den
       Elementen der Natur zu sein. Es ist auch möglich und notwendig, dieses
       Gleichgewicht mit Hightech-Lösungen zu erreichen.
       
       6 Dec 2025
       
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