# taz.de -- Hamburg will Gefangene exportieren: Weniger Knast wäre mehr
> Hamburgs Gefängnisse sind voll, jetzt sollen Häftlinge nach Meck-Pomm.
> Dabei ist weniger Haft günstiger und sicherer, zeigen Norwegen und die
> Niederlande.
(IMG) Bild: Voll, teuer und für viele der völlig falsche Ort: Haftanstalt, hier „Santa Fu“ in Hamburg-Fuhlsbüttel
Hamburgs [1][Justizvollzugsanstalten] arbeiten an der Kapazitätsgrenze.
Ende September waren von 2.239 Haftplätzen 2.176 belegt – das ist eine
Auslastung von 97,2 Prozent. Die Zahlen gehen aus der [2][Antwort des
Senats auf eine Anfrage des Abgeordneten Richard Seelmaecker (CDU) aus dem
Oktober] hervor.
Vier der sechs Einrichtungen im Stadtstaat sind überbelegt. In der
Untersuchungshaftanstalt Holstenglacis drängen sich 510 Männer auf 462
Plätzen. Dort sind 43 Zellen doppelt belegt. Das Zentralkrankenhaus für
Untergebrachte ist voll, 20 Patienten wurden in die U-Haft verlegt.
Expert:innen fordern eine Reserve von zehn Prozent für unvorhergesehene
Belastungen. Dieser Standard wird [3][seit der Coronapandemie systematisch
unterschritten].
Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) setzt nach Informationen des Hamburger
Abendblatts nun [4][auf Verhandlungen mit Mecklenburg-Vorpommern über die
Verlegung Hamburger Gefangener]. Dort sind die Gefängnisse nur zu 79,6
Prozent ausgelastet. Die Gespräche laufen, ob es zu einem Abkommen kommt,
ist offen.
Kurzfristig ist das nachvollziehbar, aber die Verlegung von Inhaftierten
kaschiert ein doppeltes Versagen: einmal bei der Planung von Kapazitäten,
aber auch eines des Gefängniswesens selbst.
Denn aus kriminologischer Sicht ist der Strafvollzug ein teures und
ineffizientes Relikt. Studien belegen immer wieder, dass ein
Freiheitsentzug die Rückfallwahrscheinlichkeit [5][um bis zu 20 Prozent
gegenüber nicht-freiheitsentziehenden Sanktionen erhöht]. Er zerstört
soziale Netzwerke, verschärft psychische Belastungen und reproduziert
Abweichung.
Eine Verlegung nach Mecklenburg-Vorpommern würde genau jene Bindungen noch
weiter brechen, die [6][eine Resozialisierung möglich machen]: zu Familie,
Anwält:innen, Therapeut:innen. [7][Eine räumliche Distanz steht
nachweislich mit höheren Rückfallraten in Verbindung].
Ein besonders absurder Belastungsfaktor für die Gefängnisse sind
[8][Ersatzfreiheitsstrafen wegen unbezahlter Geldstrafen]. Zwischen
November 2024 und Mai 2025 setzte die Justizbehörde die Vollstreckung der
Ersatzfreiheitsstrafen aus – 517 Verurteilte mussten ihre Haft nicht
antreten. Seit Juni 2025 wurden nur 34 Fälle vollstreckt. Selbst wenn
Ersatzfreiheitsstrafen nur vier bis fünf Prozent der Belegung ausmachen,
sind sie der einfachste sofort lösbare Hebel – die Aussetzung hat das ohne
Sicherheitsverlust bewiesen.
Das ist ein klassisches Beispiel für die [9][Kriminalisierung von Armut] –
eingeführt haben [10][den Strafgesetz-Paragrafen 265a die Nazis 1935]: Wer
keine 1.000 Euro Bußgeld zahlen kann, erhält 100 Tage Haft – Kosten pro Tag
für die Stadt: etwa 220 Euro.
## Langfristig günstiger
Dass es auch ganz anders geht, zeigen Beispiele aus Norwegen und den
Niederlanden. [11][In Norwegen gibt es keine Ersatzfreiheitsstrafen].
Unbezahlte Geldstrafen werden in Ratenzahlung, Lohnpfändung oder – bei
nachgewiesener Zahlungsunfähigkeit – in gemeinnützige Arbeit umgewandelt.
Im Ergebnis liegt die Haftquote dort bei 54 pro 100.000 Einwohner – in
Deutschland sind es 76. Die Rückfallquote nach zwei Jahren liegt [12][bei
20 Prozent gegenüber 46 Prozent in Deutschland].
[13][Als eine Musteranstalt gilt die Haftanstalt Halden], Norwegens
zweitgrößtes Gefängnis. Sie hat Einzelzellen mit Bad und Küche, bietet
Arbeits- und Bildungsangebote und ein Personal-Gefangenen-Verhältnis von 1
zu 1,3. Ein Platz dort kostet den Staat 120.000 Euro pro Jahr, mehr als in
Deutschland. Langfristig ist es aber durch geringere Rückfallkosten
günstiger, wenn man 50.000 Euro pro Rückfall ansetzt.
Zudem investiert Norwegen viel in Prävention: Bei Schulabbruch wird früh
interveniert, es gibt flächendeckend Suchttherapien und Wohnungsprogramme
für Ex-Häftlinge. Elektronische Fußfesseln ersetzen Kurzstrafen bis sechs
Monate. 2010 reduzierte die Justizreform die Haftplätze um 15 Prozent – die
[14][Kriminalität stieg nicht an].
## Weniger Knäste, weniger Kriminalität
Auch die Niederlande zeigen, [15][wie man erfolgreich Haftzahlen senkt,
ohne dass die Sicherheit darunter leidet]. Seit 2005 wurden 33 von 65
Gefängnissen geschlossen; die Haftquote fiel von 111 (2005) auf 57 pro
100.000 Einwohner im Jahr 2024.
[16][Ersatzfreiheitsstrafen wurden 2011 abgeschafft]. Unbezahlte
Geldstrafen führen zu Lohnpfändung, Ratenzahlung oder gemeinnütziger
Arbeit. Im Ergebnis gibt es keine Haft wegen Zahlungsunfähigkeit. Seit 2000
ersetzt elektronische Überwachung Strafen bis sechs Monate. 2023 war die
Rückfallquote dabei zehn Prozent niedriger als bei Haft. Kurzstrafen werden
in den Niederlanden vermieden: Strafen unter drei Monate gibt es nur bei
Gewaltdelikten. Stattdessen setzt man auf Täter-Opfer-Ausgleich oder
Verhaltensauflagen.
Auch die Niederlande setzen konsequent auf Prävention statt Repression.
Zentral sind die [17][Veiligheidshuizen] – regionale Zentren, in denen
Polizei, Sozialarbeit und Psychiatrie zusammen Risiken wie Schulabbruch,
Sucht oder häusliche Gewalt früh erkennen und gemeinsam lösen. Die
Prävention kostet rund 1,2 Milliarden Euro pro Jahr, spart aber laut dem
[18][Netherlands Bureau for Economic Policy Analysis] 2,5 Milliarden Euro
[19][durch deutlich geringere Haftkosten].
Rund 60 Prozent aller Freiheitsstrafen werden in den Niederlanden offen
oder halboffen vollzogen – bei geeigneten Täter:innen mit niedriger
Flucht- und Rückfallgefahr. In der [20][Anstalt Heerhugowaard arbeiten die
Insassen tagsüber draußen und leben abends in Wohngruppen] – mit einer
[21][Rückfallquote von nur 25 Prozent]. Die Kriminalitätsrate ist seit
Jahren rückläufig.
## Konzept statt Ausweichmanöver
Die Verlegung von Hamburger Haftplätzen ist ein pragmatisches
Ausweichmanöver, kein Konzept. Sie setzt ein System fort, das Strafe als
Selbstzweck versteht, statt Kriminalität zu verhindern.
Hamburg hat fast alles in der Hand, um ein skandinavisch-niederländisches
Modell umzusetzen. Der Bund müsste nur bei der endgültigen Abschaffung der
Ersatzfreiheitsstrafe nachziehen. Aktuell [22][setzt sich die Linke mit
einem Gesetzentwurf dafür ein]. Am Donnerstag vergangener Woche wurde er
[23][im Bundestag debattiert und an die Ausschüsse verwiesen].
In Hamburg könnte die Landesjustizverwaltung per Erlass anweisen,
Ersatzfreiheitsstrafen flächendeckend auszusetzen. Hamburg könnte jede
Geldstrafe, die nicht bezahlt werden kann, sofort in gemeinnützige Arbeit
umwandeln und per Landesvollzugsgesetz festlegen, dass Strafen bis zwei
Jahre grundsätzlich offen vollzogen werden. Und Hamburg könnte Fußfesseln
als Ersatz für eine Haftstrafe deutlich häufiger einsetzen.
Justizsenatorin Gallina hat also die Gelegenheit, den Strafvollzug als Teil
sozialer Infrastruktur zu reformieren. Die Verlegung von Häftlingen ist nur
ein Aufschub.
18 Nov 2025
## LINKS
(DIR) [1] /Gefaengnis/!t5010475
(DIR) [2] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/96940/23_01703_ueberfuellte_gefaengnisse_und_fehlendes_personal_wie_sah_es_im_3_quartal_2025_aus#search=%22seelmaecker+gef-ngnisse%22%23navpanes=0
(DIR) [3] https://www.zeit.de/news/2025-07/27/bericht-viele-gefaengnisse-an-der-belastungsgrenze
(DIR) [4] https://login.funkemedien.de/realms/funke-hao/protocol/openid-connect/auth?client_id=spark-fe-hao&scope=openid%20profile%20email&response_type=id_token%20token&response_mode=form_post&nonce=82c24f34-a104-4dbf-9d92-410aa982f107&redirect_uri=https%3A%2F%2Fwww.abendblatt.de%2Fredirect.html%3Fo%3D%2Fhamburg%2Fpolitik%2Farticle410440530%2Fhamburgs-gefaengnisse-zu-voll-haeftlinge-sollen-verlegt-werden-1.html
(DIR) [5] https://univerlag.uni-goettingen.de/bitstream/handle/3/isbn-978-3-86395-652-3/GSK47_Legalbewaehrung.pdf
(DIR) [6] /Podcast-Unter-Moerdern/!6054292
(DIR) [7] https://www.justiz.nrw.de/sites/default/files/2024-12/2.62%20-%202019_09_26%20EVALiS%20Report%20Gesamtbericht%20DEFINITIV.pdf
(DIR) [8] /Paragraf-265a-abschaffen/!6129146
(DIR) [9] /Fahren-ohne-Fahrschein/!6063157
(DIR) [10] https://www.servat.unibe.ch/dns/RGBl_1935_I_839_G_Strafgesetzbuch.pdf
(DIR) [11] https://lovdata.no/dokument/NLE/lov/2001-05-18-21
(DIR) [12] https://wp.unil.ch/space/files/2025/07/250715_key-findings-space-i_prisons-europe-2024_full.pdf
(DIR) [13] https://www.liberties.eu/de/stories/halden-the-world-s-most-humane-prison/11089
(DIR) [14] https://papers.ssrn.com/sol3/Papers.cfm?abstract_id=2883512
(DIR) [15] https://www.dw.com/de/warum-in-den-niederlanden-gef%C3%A4ngnisse-geschlossen-werden/a-70506387
(DIR) [16] https://www.nomos-elibrary.de/de/document/view/pdf/uuid/a2740757-954e-3078-9f80-3a6f3af89104?page=1
(DIR) [17] https://www.zorgenveiligheidshuizen.nl/
(DIR) [18] https://www.cpb.nl/en/about-cpb
(DIR) [19] https://repository.wodc.nl/bitstream/handle/20.500.12832/1531/volledige-tekst_tcm28-68564.pdf
(DIR) [20] https://www.strafrechtadvocaten.nl/de/info/justizvollzugsanstalten-jva/pi-heerhugowaard/
(DIR) [21] https://www.universiteitleiden.nl/en/research/research-projects/law/imprisonment
(DIR) [22] https://dserver.bundestag.de/btd/21/017/2101757.pdf
(DIR) [23] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2025/kw46-de-fahrschein-1123150
## AUTOREN
(DIR) Robert Matthies
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