# taz.de -- „Bau-Turbo“-Gesetz tritt in Kraft: Wohnraum um jeden Preis
       
       > Das „Bau-Turbo“-Gesetz ist in Kraft. Wohnungen sollen schneller gebaut
       > werden. Im Zweifel auch gegen das Interesse von Bürger:innen und
       > Umwelt.
       
 (IMG) Bild: Mehr bauen mit dem Bau-Turbo. Aber für wen?
       
       Berlin taz | Der Name soll Programm sein: Der sogenannte „Bau-Turbo“ ist am
       Donnerstag in Kraft getreten. Das Bundesgesetz, das eigentlich die sperrige
       Bezeichnung „Gesetz zur Beschleunigung des Wohnungsbaus und zur
       Wohnraumsicherung“ trägt, ändert Teile des Baugesetzbuches. Statt wirklich
       für mehr bezahlbaren Wohnraum zu sorgen, befürchten Kritiker:innen, dass
       das Gesetz Vorgaben zu Umweltschutz und demokratischer Beteiligung
       aushebele.
       
       Im Grunde geht es beim „[1][Bau-Turbo]“ um drei Gesetzesänderungen: Erstens
       kann nun von mehreren Bebauungsplänen in vergleichbaren Fällen abgewichen
       werden – bisher war das nur im Einzelfall möglich gewesen (§ 31 Abs. 3
       BauGB). Das beudeutet, dass ganze Straßenzüge nachverdichtet werden können,
       ohne mehrere aufwendige Bebauungsplanverfahren einleiten zu müssen.
       
       Zweitens erhalten Kommunen die Möglichkeit, Wohngebäude auch dann zu
       genehmigen, wenn sie sich nicht exakt in die Umgebung einfügen (§ 34
       BauGB). Die dritte Änderung ist der wohl meistdiskutierte Punkt: Vorerst
       bis 2030 können Kommunen weitreichend vom bestehenden Bauplanungsrecht
       abweichen (§ 246e BauGB). Diese Abweichung des Bauplanungsrechts ermöglicht
       die Genehmigung von Projekten, die entweder keinen Bebauungsplan haben oder
       nicht in bestehende Planungen passen.
       
       Wie der „Bau-Turbo“ angewendet wird, liegt allerdings in der
       Entscheidungsmacht der Kommunen. Das sind in Berlin die Bezirke. Der Senat
       veröffentlichte am Donnerstagmorgen entsprechend einen 37-seitigen
       Leitfaden für die Verwaltungen, indem die Umsetzung des neuen Gesetzes
       geregelt ist. Der Senat wünscht sich berlinweit eine möglichst einheitliche
       Vorgehensweise.
       
       ## Auch gegen das Interesse von Bürger:innen und Umwelt
       
       „Letztlich hebelt das Gesetz demokratische Prozesse aus“, kritisiert
       Theresa Keilhacker, Architektin und Mitglied beim Berliner Klimaschutzrat
       und beim Bündnis Klimaschutzstadt Berlin 2030, der taz. Denn, wenn kein
       Bebauungsplan benötigt wird, kann die Beteiligung von Bürger:innen bei
       der Planung von Großprojekten umgangen werden.
       
       Zudem fürchtet die Architektin Keilhacker, dass die Bezirke überlastet
       werden könnten. Denn die Änderung sieht vor, dass Gemeinden innerhalb von
       drei Monaten einem Bauvorhaben widersprechen müssen. Ansonsten gilt das
       Projekt als beschlossen, eine sogenannte Genehmigungsfiktion. Diese
       Zeitspanne hält die Architektin für unrealistisch. „Wir müssen anerkennen,
       dass Bauen komplex ist“, sagt sie. Viele Belange träfen aufeinander, von
       sozialen Fragen bis zur Umwelt. Es brauche Zeit, diese Aspekte abzuwägen.
       Der „Bau-Turbo“ würde vor allem dazu führen, dass die letzten Berliner
       Grünflächen auch noch bebaut würden.
       
       Eine Sorge, die Umweltverbände teilen. Ebenso wie die
       Bürger:innenbeteiligung umgeht der „Bau-Turbo“ auch
       planungsrechtliche Verfahren bei der Umweltprüfung. [2][Ohne Erfolg warnte
       der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) gemeinsam mit anderen Verbänden]
       bereits im Vorhinein vor den ökologischen Schäden, die das Gesetz
       begünstige.
       
       Afra Heil, Sprecherin beim BUND, fürchtet, dass das Gesetz vor allem
       Zersiedelung und weitere Flächenversieglung mit sich bringe. „Die Gefahr
       besteht, dass weitere Grünflächen und Bäume dem planlosen Neubau zum Opfer
       fallen, die es dringend für eine lebenswerte und resiliente Stadt braucht“,
       sagt Heil der taz. All das, ohne dabei tatsächlich die zentralen Ursachen
       der Wohnungskrise zu bekämpfen.
       
       ## Kurze Fristen lösen keine Probleme
       
       Auch der Grünen-Abgeordnete Julian Schwarze sieht den „Bau-Turbo“ kritisch:
       „Fristen zu verkürzen, löst unsere Probleme auch nicht“, sagt er der taz.
       Stattdessen riskiere man Planungsqualität. Ein solches Vorgehen hält
       Schwarz für kurzsichtig. Man baue ja nicht nur für die nächsten zehn Jahre,
       sondern hoffentlich für die nächsten hundert, sagt Schwarz der taz.
       
       Ob der „Bau-Turbo“ tatsächlich etwas an der Wohnkrise in Berlin ändern
       wird, bezweifelt Schwarz. Denn der „Bau-Turbo“ denke bezahlbaren Wohnraum
       nicht mit. „Es gibt diese Theorie, dass jede Wohnung hilft – egal ob teuer
       oder günstig. Aber das stimmt nicht“, sagt Schwarz. Zumal bei einer
       Abweichung von einem Bebauungsplan auch nicht mehr die Bestimmung gelten
       würde, dass mindestens 30 Prozent für bezahlbare Wohnungen vorgesehen sein
       müssten. Das gelte bisher für Neubauten. Er befürchtet zudem, dass der
       Senat ab jetzt noch häufiger Bezirken das Planungsrecht entziehen wird.
       
       In den Bezirken selbst muss man sich erst noch mit den genauen
       Implikationen des „Bau-Turbos“ auseinandersetzen. „Wir schauen dem Gesetz
       mit einem lachenden und einem weinenden Auge entgegen“, sagt Florian
       Schmidt, Baustadtrat in Friedrichshain-Kreuzberg. Es könne durchaus eine
       Chance sein. Bisher plane der Bezirk den „Bau-Turbo“ insbesondere dann
       einzusetzen, wenn damit bezahlbare Wohnungen im Innenstadtbezirk geschaffen
       werden könnten, erklärt Schmidt. Gleichzeitig sieht auch er mehrere Punkte
       kritisch: sowohl, dass Bürger:inneninteressen übergangen werden
       können als auch die knappen Fristen der Genehmigungsfiktion. Der hier
       aufgebaute Druck bedrohe rechtssichere Prozesse, sagt Schmidt der taz.
       
       31 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.bmwsb.bund.de/DE/bauen/baurecht/bau-turbo/bau-turbo.html
 (DIR) [2] https://www.bund.net/service/presse/pressemitteilungen/detail/news/bauturbo-fatale-folgen-fuer-die-umwelt/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Clara Dünkler
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Wohnraum
 (DIR) Wohnungsbau
 (DIR) Bürgerbeteiligung
 (DIR) Bauen
 (DIR) Stadtentwicklung
 (DIR) Bauen
 (DIR) Wohnen
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Austausch über neues Baugesetz: Bauturbo in der Praxis
       
       Der Bauturbo wird begleitet von einem Umsetzungslabor. Kommunen und
       Zivilgesellschaft sollen sich über Probleme in der Praxis austauschen
       können.
       
 (DIR) Kritik am „Bau-Turbo“: Weniger Neubau, mehr Bestandserhalt
       
       Klimaschädlicher Abriss und Neubau seien auch bei landeseigenen Unternehmen
       gängige Praxis, kritisiert das Bündnis Klimastadt Berlin 2030.
       
 (DIR) Deutsche Umwelthilfe über Bauturbo: „Wir brauchen einen Fokus auf den Umbau“
       
       Dem Bau-Turbo fehlen soziale Vorgaben, kritisiert Barbara Metz,
       Geschäftsführerin der Deutschen Umwelthilfe. Er konterkariere zudem die
       Klimaziele.
       
 (DIR) Bundestag beschließt Baugesetz: Turbo mit zweifelhafter Wirkung
       
       Mit dem Bau-Turbo sollen Planungsprozesse beschleunigt werden. Grüne und
       Linke befürchten, dass das die Bodenspekulation anheizen wird.