# taz.de -- Friedenspreis für Karl Schlögel: Aller Kriegserschöpfung zum Trotz
       
       > Viel Beifall für Karl Schlögel, als ihm in der Paulskirche der
       > Friedenspreis zuerkannt wurde. Der Historiker widmete die Auszeichnung
       > der Ukraine.
       
 (IMG) Bild: Friedenspreisträger Karl Schlögel in der Frankfurter Paulskirche
       
       Ein Stuhl musste frei bleiben. 719 Menschen hatten am Sonntag um elf Uhr am
       Vormittag Platz genommen, frei blieb der Platz vom vormaligen
       [1][Friedenspreisträger Boualem Sansal], festgehalten aus nichtigen,
       jedenfalls außenpolitisch, aus Perspektive der islamistischen Machthaber in
       Algier gewichtigen Gründen in einem algerischen Gefängnis.
       
       Heute galt es, den vielleicht wichtigsten deutschsprachigen Menschen
       auszuzeichnen, Karl Schlögel, Historiker und Essayist. Er sollte in diesen
       fünf Viertelstunden noch viel, nicht immer rauschenden Beifall bekommen,
       aber jetzt zum Gang in die erste Reihe prasselte es tüchtig.
       
       So viele waren da, auch Kulturstaatsminister Wolfram Weimer, [2][Schlögels
       Freund Gerd Koenen], Thea Dorn und Deniz Yücel vom PEN Berlin, Raphael
       Gross vom Deutschen Historischen Museum.
       
       Eine Friedenspreisverleihung ist immer auch Teil des politisch-kulturellen
       Protokolls des Jahres, am Schlusstag der Buchmesse, diesmal im 75. Jahr:
       Der Preis ist ein Prädikat bundesdeutscher Selbstverständigung – hier steht
       unsere Republik, es wird justiert, aber Völkisches, so das eiserne
       Selbstverständnis, hat keinen Platz. Von den politischen Parteien sind alle
       zugegen, die AfD offiziell jedoch nicht.
       
       ## Hinschauen will gelernt sein
       
       Mit Karl Schlögel erhält ein Historiker den Preis, der sich als Autor und
       Historiker gegen alle bundesdeutschen Umstände bis zum Fall des Eisernen
       Vorhangs für einen Kontinent, für eine Landschaft interessierte, sie zu
       erkunden und beschreiben wusste, wie dies nicht üblich war: Hier, auch in
       Frankfurt am Main, hörte die kulturelle Wahrnehmung im Mainstream an den
       Sicherheitslinien des Kalten Kriegs auf.
       
       Schlögel, sagte seine Laudatorin [3][Katja Petrowskaja], habe unsere Augen
       geöffnet. Und zwar weil er seinen Schreibtisch jeweils verließ, als
       Professor an der Nachwendegründung der Viadrina in Frankfurt (Oder)
       ermunterte, die östlichen Landschaften zu bereisen, dort zu „lesen“, was zu
       entziffern ist.
       
       Er meinte: hingucken und erkennen können – das will auch gelernt sein, das
       ist nicht auf den Oberflächen zu finden, diese müssten, so Petrowskaja, nur
       ein wenig aufgekratzt werden, um andere Universen, andere Geschichten,
       andere „Materialien“ des Gewesenen lesen, aufspüren, deuten zu können.
       
       Beifall für sie alle, schließlich Karl Schlögel selbst, sichtlich bewegt
       von der Ehre, ohnehin kein lauter Charakter, am Redepult schien er in
       Schüchternheit zu versinken – ehe er dann vorzutragen begann: Dass es immer
       noch viel zu viel Sprechen gebe über die möglicherweise diplomatisch
       einzuhegenden Kriegsdirigate Wladimir Putins, dass die Grauen, die Putins
       Truppen über die Ukraine bringen, unverstanden, sinnlich unbegriffen
       bleiben, weil man eigentlich in Ruhe gelassen werden möchte, im Westen, wo
       der Angriff des putinschen Regimes auf die Ukraine oft als
       innerpostsowjetische Angelegenheit missverstanden werde.
       
       ## Erheblicher Beifall
       
       Schlögel bekam Beifall für die Passage, dass in den dreißiger Jahren
       Autoren wie Fraenkel, Neumann, Adorno und Horkheimer und später Arendt
       darum rangen, das Nationalsozialstistische (wie auch das Stalinistische)
       diskursiv zu begreifen – und doch, notgedrungen, immer auch ein wenig
       scheiterten. Er widmete seinen Preis im Übrigen der Ukraine, den
       ukrainischen SoldatInnen. „Sie bringen uns bei, dass Landesverteidigung
       nichts mit Militarismus zu tun hat.“
       
       Beifall, erheblicher. Und weil er die Ukraine und ihre Leute kennt, bei
       Reisen kennengelernt, sagt er: „Stoische Gelassenheit ist für sie ein
       Luxus. […] Auszuhalten, durchzuhalten, der unsäglichen Erschöpfung zum
       Trotz – das ist die Revolution in Permanenz.“
       
       Und zum Ende appelliert er: „Uns Europäern bleibt, so unwahrscheinlich es
       klingen mag: Von der Ukraine lernen heißt, furchtlos und tapfer zu sein,
       vielleicht auch siegen lernen.“ Starker Applaus, sehr starker.
       
       19 Oct 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Algerischer-Schriftsteller-in-Haft/!6054808
 (DIR) [2] /Friedenspreis-fuer-Osteuropa-Historiker/!6116256
 (DIR) [3] /Texte-aus-dem-Krieg/!6075477
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan Feddersen
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 
 (DIR) Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
 (DIR) Russland
 (DIR) Ukraine
 (DIR) Krieg
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Social-Auswahl
 (DIR) Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
 (DIR) Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Friedenspreis für Osteuropa-Historiker: Die Zeichen der Zeiten lesen
       
       Jahrzehntelang erforschte er die russische Gedankenwelt: Der Historiker
       Karl Schlögel erhält zu Recht den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
       
 (DIR) Friedenspreis an Historiker Schlögel: Dialektiker des Ostens
       
       Der Historiker Karl Schlögel erhält den Friedenspreis des deutschen
       Buchhandels. Für die Ukraine geht er auch auf die Straße.
       
 (DIR) Friedenspreis des Deutschen Buchhandels: Kämpfen für den Frieden
       
       Pazifisten, die Zhadan als Militaristen und Völkerhasser bezeichnen, haben
       ihn nicht verstanden. Eine Replik auf den Kommentar von Franz Alt.