# taz.de -- Berliner Ufer: Zu nah am Wasser gebaut
> An vielen Stellen sind Berlins Ufer von Seen und Flüssen privatisiert.
> Ein Spaziergang in Wannsee und Kladow zeigt: Das muss nicht so bleiben.
(IMG) Bild: Umstrittene Exklusivität: die 79-Millionen-Euro-Villa auf Schwanenwerder
Berlin taz | Am Sandwerder, einer ruhigen Wohnstraße direkt am Wannsee, ist
der See selbst nicht zu erreichen. In der Ferne lichtet sich der Himmel
dort, wo das Ufer aufhört und die Wasseroberfläche beginnt. Einen Weg
hinunter gibt es hier nicht. Stattdessen steht man vor Zäunen mit
Überwachungskameras und dicht bepflanzten Vorgärten, dahinter sind die
Umrisse großer Gebäude zu erkennen. Physisch lässt sich nicht näher an sie
oder das Wasser herankommen. Nur von oben, über den Satellitenmodus von
Google Maps, sieht man, wie sich die Privatgrundstücke bis zum Seeufer
erstrecken.
„Das Geld der Reichsten tummelt sich an wenigen Orten in Deutschland, und
das ist auch hier am Wannsee“, sagt Christoph Trautvetter. Er ist Referent
beim Netzwerk Steuergerechtigkeit und beschäftigt sich dort mit
Superreichen und deren Eigentumsverhältnissen. Von rund 20 Billionen Euro
Privatvermögen in Deutschland stecken 11,2 Billionen Euro in Immobilien,
erklärt er. Insbesondere bei Luxusimmobilien sei über die tatsächlichen
Besitzverhältnisse und Immobilienwerte aber wenig bekannt. Im Vorbeilaufen
wirft Trautvetter deshalb immer wieder einen Blick auf Klingelschilder, um
zu sehen, wer hier nun tatsächlich wohnt.
Schon immer zieht es Menschen an die Ufer. Sie sind ein Stück unbebaubare
Weite, schaffen Überblick, sind Zugang zu Abkühlung und Wasserstraßen.
Überall sind diese Grundstücke umkämpft. Während die Ufer immer mehr
erschlossen werden, stellt sich jedoch die Frage, wer eigentlich einen
Anspruch auf sie hat. Denn obwohl die meisten Seen öffentlich sind, sind es
ihre Zugänge oft nicht.
Wem also gehören Berlins Ufer? Und wem sollen sie gehören? Der Frage der
Uferprivatisierung am Wannsee hat sich der Bildungsverein Helle Panke der
Rosa-Luxemburg-Stiftung mit einem politischen Stadtspaziergang gewidmet.
Neben Trautvetter sind auch die Linken-Politikerin Katalin Gennburg und
Uferexperte Manfred Krauß vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) bei
einem politischen Spaziergang am Donnerstagabend dabei. Sie führen rund
zehn Leute entlang des Havelufers, erst am Wannsee im Bezirk
Steglitz-Zehlendorf, später in Kladow auf der westlichen Seite der Havel.
„Allen“, antwortet Katalin Gennburg, wenn man sie fragt, wem die Ufer
gehören sollten. „Die Ufer sollten in ganz Berlin grundsätzlich frei
zugänglich sein“, sagt sie, während sie in ihrer knallgrünen Jacke an den
Einfahrten der Seegrundstücke entlangspaziert. Die gelernte
Stadtbauhistorikerin sitzt seit 2025 im Bundestag und ist Sprecherin für
Bauen und Stadtentwicklung. Zuvor saß Gennburg neun Jahre im
Abgeordnetenhaus und kämpfte hier zwei Jahre lang für ein Uferwegekonzept
für Berlin.
## „Die Gegenwehr ist groß“
Im Jahr 2021 hat der rot-rot-grüne Berliner Senat beschlossen, dass Ufer
und Gewässer der Allgemeinheit zugänglich sein müssen. Eine Uferwegekarte
sollte erstellt, die Bezirke bei Uferwegekonzeptionen unterstützt werden.
Vier Jahre später ist davon aber kaum etwas passiert. „Die Gegenwehr gegen
freie Uferzugänge ist vonseiten der Immobilienbesitzer und Investoren in
Berlin sehr, sehr groß“, weiß Gennburg.
Und das, obwohl „baurechtlich sehr viel möglich ist“, wie sie sagt. Neben
dem großen politischen Besteck wie Enteignung oder Ankauf lasse sich
bereits durch die Änderung von Flächennutzungsplänen, durch
Bodenumlegungsverfahren und schlicht andere Bebauungspläne vieles
verändern. „Es braucht aber den politischen Willen“, so Gennburg. Gerne
zieht sie dabei das Beispiel Brandenburg heran, wo freie Ufer im Grundsatz
für die Allgemeinheit gesichert wurden. „In Brandenburg steht auch die
Uferfreiheit in der Landesverfassung, das braucht es auch für alle anderen
Bundesländer!“, fordert sie.
Im heutigen Berliner Ortsteil Wannsee hat die Uferprivatisierung eine lange
Geschichte: Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts schufen sich reiche Berliner
hier ihren Erholungsort außerhalb der Stadt. Heute werden viele der
Seegrundstücke zwar von Stiftungen genutzt – das Literarische Kolleg und
die American Academy sind hier angesiedelt –, zugänglicher sind sie dadurch
aber nicht geworden. „Durch den Grunewald im Norden und den Düppeler Forst
im Süden mit freien Uferzugängen ist der Druck allerdings vergleichsweise
gering geblieben“, sagt Manfred Krauß vom BUND. Krauß ist in Berlin als
Biberexperte bekannt, aber auch sonst gut mit der Situation der Ufer
vertraut.
„Mit einer Situation wie in Mitte oder Friedrichshain-Kreuzberg ist das
hier nicht zu vergleichen“, meint Krauß. Dort sei der Flächendruck noch
viel höher. Im Berliner Zentrum wird seit Jahrzehnten um die Ufer
gestritten. Vor 17 Jahren stimmte bereits eine Mehrheit der Bürger:innen
mit dem Bürgerentscheid „Spreeufer für alle“ für einen öffentlichen
Uferweg. Heute ist davon im Stadtbild nichts zu sehen. Mit Ausnahme der
Rummelsburger Bucht und einem kurzen Abschnitt an der East Side Gallery
bleibt die Spree für die Öffentlichkeit weitgehend unerreichbar.
Stattdessen wird die Ufergegend [1][im Rahmen des umstrittenen
„Mediaspree“-Projekts] zwischen Kreuzberg, Friedrichshain und Mitte mit
Luxuswohnungen, Hotels und Bürogebäuden bebaut. Die Friedrichshainer Seite
rund um die Uber-Arena ist schon weitgehend von Investoren „entwickelt“
worden. Auf der Kreuzberger Seite wurden in den letzten Jahren immer wieder
Ufergrundstücke an private Investoren verkauft, die Bebauungspläne lassen
hingegen noch auf sich warten.
Zurück zum Wannsee: Die kleine Gruppe sitzt mittlerweile auf der BVG-Fähre
nach Kladow, vom Wannsee fährt man über die Havel an das westliche Ufer. Es
geht [2][vorbei an der Villeninsel Schwanenwerder], auf der einst
NS-Funktionär Joseph Goebbels lebte und zuletzt eine 79 Millionen Euro
teure weiße Villa die Gemüter erregte, die gegen geltendes Baurecht
verstößt. Insbesondere die unbewohnten kleinen Inseln seien Rückzugsorte
für Tiere, erklärt Krauß, hier lebten Biber, Fische, Kormorane und
Graureiher.
## Proaktive Ufergestaltung
In der Dämmerung gehen die Uferinteressierten an Land. In dem zum Bezirk
Spandau gehörende Ortsteil Kladow ist die Situation der Ufer eine ganz
andere. Heute gibt es hier viele zugängliche Uferflächen und einen
Uferradweg, der Bezirk beteiligt sich seit Jahrzehnten proaktiv an der
Ufergestaltung. Das liegt teilweise daran, dass das westliche Havelufer
lange landwirtschaftlich geprägt war und erst viel später von den Städtern
entdeckt wurde. „Es liegt aber auch an klugen politischen Entscheidungen“,
sagt Manfred Krauß.
Nachdem der damalige West-Berliner Bausenator Harry Ristock (SPD) bereits
1978 eine Uferkonzeption erarbeitet hatte, wurde die in Spandau auch
tatsächlich umgesetzt. Das sei vor allem der Leiterin des Spandauer
Grünflächenamts zu verdanken, erzählt der Uferexperte. Der Bezirk kaufte
immer wieder freigewordene Uferflächen an und sicherte sie für die
Öffentlichkeit. „Wie mutig ist die Politik und wie sind die
Eigentumsverhältnisse – das sind die zwei wichtigen Fragen“, sagt Krauß.
Aber sind frei zugängliche Ufer aus Perspektive des Naturschutzes nicht
auch kontraproduktiv? Das sei eine Abwägungsfrage, findet Krauß. „Solange
es für den Naturschutz genügend Freiflächen gibt, ist der freie Zugang der
Menschen an die Ufer auch ein hohes Gut.“ Immer wieder kommt es dabei aber
auch zu Konflikten, wie in der Kladower Laubenkolonie Breitenhorn, an der
die Gruppe nun vorbeiläuft. Wegen Überschwemmungsgefahr sollen die Lauben
abgerissen, die Fläche renaturiert werden. Erst vor zwei Wochen
protestierten rund 1.000 Kleingärtner dagegen mit einer Menschenkette.
Es ist dunkel geworden. Die inzwischen schon kleiner gewordene Gruppe
Stadtspazierender hat sich entlang des Uferwegs versammelt, hin und wieder
schlängeln sich einzelne Fahrradfahrer vorbei, es ist Zeit sich auf den
Rückweg zu machen. Zum Abschluss will Krauß noch eine historische
Perspektive beisteuern: Er deutet auf das mittlerweile schwer erkennbare
gegenüberliegende Ufer, irgendwo dort liegt der Grunewald. Dass der in der
heutigen Form erhalten ist, ist dem sogenannten Dauerwaldvertrag zu
verdanken, durch den die Waldflächen bis heute geschützt und als
Erholungsort für die Allgemeinheit gesichert wurden. „Auch das ist einem
Zusammenschluss engagierter Bürger:innen zu verdanken“, sagt Krauß. Sein
Gesichtsausdruck lässt sich in der Dunkelheit nicht mehr erkennen, aber er
klingt hoffnungsvoll.
21 Sep 2025
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(DIR) Amelie Sittenauer
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