# taz.de -- DFB-Team vor dem EM-Halbfinale: Tugendhaft deutsch
       
       > Die Tugenddebatte ist zurück in Fußballdeutschland. Mit einer weiteren
       > Kampfsportvorstellung wollen die Deutschen ins EM-Finale einziehen. Oh
       > je!
       
 (IMG) Bild: Viel Wille, wenig Fußball: Elisa Senß und Jule Brand kämpfen gegen Frankreich
       
       Berlin taz | Es ist das Unwort dieses Turniers: Mentalität. Mit einer
       kollektiven charakterlichen Prädisposition gewinnen die Deutschen ihre
       Partien. „Mentalität schlägt Talent.“ Mit diesem Satz hat Bundestrainer
       Christian Wück seine Spielerinnen gegen Frankreich auf den Platz geschickt,
       wie er nach [1][diesem unfassbaren Kick im Viertelfinale] der Presse
       verriet. Er hat recht behalten. Das hat dem deutschen Fanvolk einen
       emotionalen Vollrausch beschert. Und doch kann einem angst und bange werden
       bei dieser neuen deutschen Tugendhuberei, die sich da gerade breitmacht.
       
       Denn genau jene viel zu oft besungenen deutschen Tugenden sind gemeint,
       wenn das Wort Mentalität in die Runde geworfen wird, jenes deutsche Beißen,
       Kratzen, Grätschen, jenes unermüdliche Rennen, diese kampfsporttaugliche
       Zweikampfhärte und der Glaube daran, dass man ein Fußballspiel auch dann
       gewinnen kann, wenn man zum Spiel selbst nicht wirklich viel beizutragen
       hat. Denn genau diese fußballerische Kapitulation steckt in jenem
       schrecklichen Satz des Bundestrainers: Wir können es nicht, lass uns
       trotzdem gewinnen!
       
       Längst sind sie aus ihren Löchern gekrochen, all jene, die den
       spielzerstörerischen Wadlbeißerinnenfußball feiern, als hätte es wirklich
       etwas mit Fußball zu tun, wenn man den Fußball zerstört. Feinfüßlerinnen
       wie Jule Brand, deren Drang, immer eine kreative Lösung für das Spiel nach
       vorne zu finden, auch im Abnutzungskampf gegen Frankreich immer zu spüren
       war, wird nicht für ihre Dribblings gefeiert, sondern für die weiten Wege,
       die sie gegangen ist, um eine Gegenspielerin an der eigenen Grundlinie zu
       stellen. Dass sie für ein Land spielen muss, in dem die notorischen
       Fußballverachter, jene Mentalitätsanbeter, gerade die Oberhand gewinnen,
       hat die Hochbegabte nun wirklich nicht verdient.
       
       Lothar Matthäus, jenen omnipräsenten Männerweltmeister von 1990, wird wohl
       kaum einer als Experten für das Spiel der Frauen bezeichnen. Dennoch wird
       landauf, landab zitiert, was er [2][in seiner Kolumne für dem Pay-TV-Sender
       Sky] geschrieben hat. Es seien „die berühmten deutschen Tugenden des
       Fußballs: der Teamgeist, Leistungs- und Mentalitätswille“, die den Erfolg
       gegen Frankreich ermöglicht hätten. „Mentalitätswille“, was soll das
       überhaupt sein? Egal. Man muss in diesen Tagen wohl nur irgendwas mit
       Mentalität sagen und die Fußballnation bekommt leuchtende Augen.
       
       ## Mit Kampf zum Sieg
       
       Das hat Tradition. Dass einer der beliebtesten Anfeuerungsrufe deutscher
       Fans „Kämpfen und Siegen!“ lautet, ist Teil dieser spielfeindlichen
       Fußballkultur. Wie wäre es stattdessen mit „Spielen und siegen!“? Undenkbar
       in einem Land, in dem Franziska Kett nach einem Spiel, in dem sie die Linie
       wie ein Hochgeschwindigkeitstraktor beackert und ihre Gegenspielerinnen
       abgeräumt hat wie ein Mähdrescher das Getreide, zur Superheldin
       hochstilisiert hat. Wie gut sie mit dem Ball umgehen kann? Wen interessiert
       das schon?
       
       Voll des Lobes ist Fußballdeutschland auch über Stürmerin Giovanna
       Hoffmann. Es war die „Körperlichkeit“ (Christian Wück) der Leipziger
       Rasenballsportlerin, die gefeiert wurde. In der zweiten Hälfte wurde
       beinahe jeder ihrer Zweikämpfe abgepfiffen. Ihr zupackendes Wesen gilt als
       Ausweis jener spielzerstörerischen Mentalität, von der die Deutschen bisher
       durchs Turnier getragen werden.
       
       In der Videogalerie zum EM-Turnier auf sportschau.de feiert die ARD
       Kapitänin Janina Minge [3][mit einem Clip], auf dem zu sehen ist, wie sie
       zweimal hintereinander für ein Tackling auf den Hosenboden geht.
       „Monstergrätsche – Kapitänin Minge geht voran“, steht über dem Video.
       Monster scheint demnach das größte Kompliment zu sein, das man sich als
       Fußballerin in Deutschland erarbeiten kann.
       
       Da liegt der Gedanke an das griesgrämige Gespenst aus der Geisterbahn des
       deutschen Fußballs nicht fern. Jener Matthias Sammer hatte dem deutschen
       Fußball kürzlich ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt. „Der deutsche
       Fußball hat seine grundsätzliche Identität und damit wesentliche Stärken
       verloren“, hatte der ehemalige Sportdirektor des Deutschen Fußball-Bunds
       [4][dem Fachmagazin Kicker] gesagt.
       
       Und er stellte die Frage: „Wofür steht der deutsche Fußball heute
       eigentlich?“ Die Auftritte der Deutschen in der Schweiz müssten ihm
       gefallen haben, diese „Jetzt-erst-recht-Mentalität“ (Stürmerin Klara Bühl),
       die Janina Minge im Überschwang nach dem Spiel als „geisteskrank“
       bezeichnet hat.
       
       Mit Mentalität wollen die Deutschen nun Spanien im Halbfinale bezwingen.
       „Wir wollen jetzt das Ding nach Hause holen“, sagte die am Mittwoch
       gelbgesperrte Sjoeke Nüsken nach dem Frankreichspiel. Sollte es gelingen,
       es wäre keine gute Nachricht für alle, die am Fußball vor allem das Spiel
       lieben.
       
       23 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /DFB-Team-erreicht-Halbfinale/!6101232
 (DIR) [2] https://sport.sky.de/fussball/artikel/lothar-matthaeus-ueber-dfb-frauen-gegen-frankreich-und-ann-katrin-berger/13399598/34942
 (DIR) [3] https://www.sportschau.de/fussball/frauen-em/monstergraetsche-kapitaenin-minge-geht-voran,fussball-frauen-em-einzelkritik-deutschland-102.html
 (DIR) [4] https://www.kicker.de/sammer-der-deutsche-fussball-muss-wieder-lernen-durchschnitt-nicht-als-weltklasse-zu-verkaufen-1131146/artikel
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Rüttenauer
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Fußball-EM der Frauen 2025
 (DIR) Deutscher Fußballbund (DFB)
 (DIR) Deutsche Fußball-Nationalmannschaft
 (DIR) GNS
 (DIR) Frauenfußball
 (DIR) Fußball-EM der Frauen 2025
 (DIR) Fußball-EM der Frauen 2025
 (DIR) Fußball-EM der Frauen 2025
 (DIR) Fußball-EM der Frauen 2025
 (DIR) Fußball-EM der Frauen 2025
 (DIR) Fußball-EM der Frauen 2025
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Nationalspielerin Sjoeke Nüsken: Die Verlässliche
       
       Nach dem Ausfall von Lena Oberdorf wird Sjoeke Nüsken eine der wichtigsten
       Kräfte im DFB-Team. Gegen Frankreich soll sie in der Zentrale glänzen.
       
 (DIR) Deutsche EM-Bilanz: Zehnkampf, wenig Spiel, ein Wolle-Orakel
       
       Der Auftritt der deutschen Fußballerinnen hat besondere Momente für die
       Ewigkeit hinterlassen. Manche aber sollte man lieber schnellstens
       vergessen.
       
 (DIR) Spanien vor EM-Halbfinale: Schuften für die Schönheit
       
       Die Spanierinnen spielen bei dieser EM wieder bezaubernden
       Ballbesitzfußball. Abgesehen von der Partie gegen die Schweiz ist auch die
       Effizienz gut.
       
 (DIR) Frauenfußball-EM: Können oder wollen sie nicht?
       
       Es ist Frauenfußball-EM und das deutsche Team steht unerwartet im
       Halbfinale. Denn das Spiel der Deutschen sieht oft aus, als sei es 2010
       eingefroren.
       
 (DIR) DFB-Team erreicht Halbfinale: Die wahnsinnige Spielwende der Wück-Elf
       
       Nach der 13. Minute schien das Schicksal des bis dahin eher haarig
       auftretenden DFB-Teams besiegelt. Doch dann passierte was Unpackbares.
       
 (DIR) Riskantes Spiel von DFB-Trainer Wück: Nur die Idee zählt
       
       Christian Wück versucht, mit seinem Spielansatz aus dem Männerbereich den
       DFB-Frauen neue Impulse zu geben. Funktioniert hat das nie wirklich.
       
 (DIR) Nach Rot und Elfmeter: Mehr als ein Pfiff im Walde
       
       Das deutliche 1:4 der Deutschen gegen Schweden war mehr als ein
       Ausrutscher: Es zeigte erhebliche Defizite vor allem im defensiven System.