# taz.de -- Was sorgt für Frieden?: Pazifismus im Kreuzfeuer
       
       > Abrüstungsbefürworter sind innerlich zerrissen. Einige zweifeln, ob ihre
       > Ideen noch zeitgemäß sind, andere protestieren gegen die Wehrpflicht.
       
 (IMG) Bild: Rund 50 Jugendliche von der „Jugendkommune Berlin“ protestieren 2024 in Kreuzberg gegen die Wiedereinführung des Wehrdienstes
       
       „Wozu [1][sind Kriege] da?“ Diese naive Frage war der Refrain eines
       Rocksongs von Udo Lindenberg und des zehnjährigen Pascal Kravetz, der 1981
       zur Hymne der westdeutschen [2][Friedensbewegung] werden sollte. Über 45
       Jahre später zweifelt Lindenberg am Pazifismus. „In dieser verirrten
       Schwachmaten-Welt stellt man sich plötzlich die bange Frage: Brauchen wir
       doch ein starkes Militär?“, sagte der 78-jährige Künstler in einem
       Interview dem Stern.
       
       Dabei ist Lindenberg auch im Alter keineswegs zum Militaristen geworden.
       „Die Frage, wie wir unsere freie Welt noch retten können und ob Worte und
       Songs und Kunst und Demos dafür ausreichen, oder ob wir uns tatsächlich
       auch militärisch wappnen müssten, tut meiner Pazifistenseele sehr weh und
       lässt mich manchmal gar nicht schlafen“, sagt Lindenberg. Es ist eine
       innere Zerrissenheit, die viele Menschen umtreibt, die über Jahrzehnte für
       Abrüstung und Antimilitarismus eingetreten sind und sich nach dem
       russischen Angriff auf die Ukraine fragen, ob [3][ihre pazifistischen
       Ideale] noch zeitgemäß sind.
       
       Doch es melden sich auch verstärkt Menschen zu Wort, die in Zeiten, in
       denen massive Aufrüstung und gar die Wiedereinführung der Wehrpflicht
       gefordert wird, zivile Alternativen einfordern. Dazu gehört Wolfram Beyer
       von der Internationale der Kriegsdienstgegner*innen (IDK). Beyer wurde
       Anfang der 1970er Jahre auf die vielen jungen Männer aufmerksam, die nach
       Westberlin zogen, um der Wehrpflicht in der alten BRD zu entkommen.
       
       Auch sein Cousin gehörte dazu. „Dieser Wehrpflichtentzug erschien mir
       menschlich plausibel und politisch gerechtfertigt. Erst später festigte
       sich dies in meiner politischen Haltung, nämlich der Ablehnung von
       sämtlichen Kriegsdiensten, und ich wurde aktiv in der Westberliner Beratung
       für Wehrpflicht-Flüchtlinge aus der alten BRD“, sagt Beyer der taz.
       
       Seine antimilitaristische Sozialisation ist für ihn aktuell um so
       wichtiger. „Mit der Erklärung der „Zeitenwende“ und den Diskussionen um die
       Kriegsfähigkeit haben wir in der IDK verstärkt unsere Beratungsstrukturen
       aufgebaut. Allein in Berlin berät die IDK an vier Standorten und an einigen
       anderen Orten in der Republik“, betont Beyer. Bei der Verteidigung der
       Rechte von Kriegsdienstverweiger*innen kooperiert die IDK mit der
       Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner*innen
       (DFG-VK).
       
       ## Vorsichtig optimistisch
       
       Die älteste Friedensorganisation Deutschlands stellte ihren Bundeskongress
       im Juni 2025 in Kassel unter das Motto „Verweigert“. „Auf unserem
       Kriegsdienstverweigerungs-Kongress haben wir den neuen Wehrdienst als Teil
       der Gesamtaufrüstung eingeordnet und diskutiert, wie wir dem politisch aber
       auch direkt in Form von Verweigerungsarbeit begegnen“, sagt der politische
       Geschäftsführer der DFG-VK, Michael Schulze von Glaßer, der taz. Er betont,
       dass die Rechte der Verweiger*innen global unterstützt werden müssten.
       
       „Wir setzen uns dafür ein, dass niemand die Waffe gegen einen anderen
       Menschen erhebt – ganz nach dem Motto ‚Stell dir vor es ist Krieg und
       keiner geht hin‘. Die DFG-VK unterstützt bereits jetzt Menschen in
       Deutschland, die den Kriegsdienst verweigern, setzen sich aber auch für
       Verweiger*innen und Deserteur*innen aus Russland, der Ukraine und
       vielen anderen Ländern ein“, beschreibt von Glaßer die Aktivitäten seiner
       Organisation.
       
       Dabei äußert er sich vorsichtig optimistisch über die antimilitaristische
       Perspektive. Er verweist darauf, dass mit der Interventionistischen Linken
       eine der größeren Bündnisorganisationen in der außerparlamentarischen
       Linken den Antimilitarismus zu ihrem neuen Hauptthema gemacht habe. „Zudem
       gründen sich gerade viele kleine, lokale Gruppen gegen die Reaktivierung
       der Wehrpflicht – vor allem junge Menschen sind dort organisiert“, so
       Schulze von Glaßer.
       
       Das Argument, dass man mit der Aufrüstung das Putin-Regime von weiteren
       Angriffen abhalten wolle, überzeugt den Antimilitaristen nicht. „Wir
       befinden uns in einer Rüstungsspirale, die uns im besten Fall in die Armut
       treibt, im schlechtesten Fall in einen Weltkrieg“, so seine Befürchtung.
       
       ## Gewaltfreier Widerstand in der Ukraine
       
       Er verweist darauf, dass selbst zur Hochzeit des Kalten Krieges
       internationale Abrüstungsverhandlungen geführt wurden und in den 1980er
       Jahren der INF-Vertrag beschlossen wurde, der atomare Kurz- und
       Mittelstreckenwaffen aus Europa verbannte.
       
       „Wir haben es eben schon mal geschafft, solche Verträge zu schließen –
       machen wir es wieder“, setzt sich von Glaßer für eine neue
       Entspannungspolitik ein. Er beklagt, dass in Deutschland kaum bekannt sei,
       dass es in der Ukraine auch gewaltfreien, zivile Widerstand gegen den
       russischen Einmarsch gab.
       
       Auch Lou Marin betont im Gespräch mit der taz, dass die Rolle des zivilen
       Widerstands gegen den russischen Einmarsch in der Ukraine weitgehend
       unterschätzt werde. „Der große Panzerkonvoi nach Kyjiw zu Beginn des
       russischen Einmarsches kam auch aufgrund von Sabotageaktionen russischer
       Soldaten in den Panzern und Transportern und wegen des unbewaffneten
       Widerstands der ukrainischen Bevölkerung zum Stehen“, betont Marin. Erst
       nach dem Scheitern des Marsches auf Kyjiw sei der russische Angriff auf die
       Ostukraine erfolgt.
       
       Marin gibt im Verlag Graswurzelrevolution Schriften zur Theorie und
       Geschichte der zivilen gewaltfreien Verteidigung heraus. Im letzten Jahr
       hat er unter dem Titel „Menschen retten“ zusammen mit Barbara Pfeiffer ein
       Buch veröffentlicht, in dem Beispiele von zivilem Widerstand während des
       Nationalsozialismus dokumentiert sind.
       
       Damit wurde in Bulgarien, Dänemark und Frankreich die Deportation jüdischer
       Menschen in die NS-Vernichtungslager verhindert. Marin sieht die
       Propagierung und die Umsetzung von Konzepten des zivilen Widerstands als
       Alternative zu immer mehr Waffenlieferungen in die Ukraine. Er ist
       überzeugt, dass damit auf beiden Seiten Menschenleben gerettet würden.
       
       23 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Peter Nowak
       
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