# taz.de -- die sache ist: Schnitt ins Ganze
       
       > Einst gab es noch Kreuzungen, Berührungspunkte und Steckkontakte. Heute
       > sind sie allesamt Schnittstellen geworden
       
 (IMG) Bild: Foto: Raimond Spekking/Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)
       
       Früher war nicht nur [1][mehr Lametta], sondern auch mehr „Kreuzung“,
       „Berührungspunkt“ und mehr (gedachter) Zaun zwischen diesem und jenem
       Genre, um den sich irgendwelche Kunst- und Kulturbetriebs-Mavericks aber
       natürlich nicht scherten: Munter sprangen sie darüber, spielten doch
       tatsächlich [2][Country UND Western]! Noch früher fand ständig irgendetwas
       an einer gedachten Kreuzung statt ([3][an der auch der Teufel Seelen
       eintauschte gegen zum Beispiel musikalisches Talent] …). Und heute? Gelangt
       kaum ein Produkt-Waschzettel oder Tagungs-„Impuls“, kaum eine
       Pressemitteilung oder Preisträger:innen-Vita mehr an sein Publikum, ohne
       dass eine Schnittstelle dabei ist.
       
       Auf der [4][„von kreativem Schreiben und Fotografie“] hat das Hamburger
       Literaturhaus einen Sommerworkshop veranstaltet. „Trubeligen Alltag“ mit
       „Ruhepolen zum Durchatmen und Träumen“ verband eine andere, als neulich,
       ebenfalls in Hamburg, [5][die Sängerin Lissa Meybohm auftrat]. Und der
       Düsseldorfer Musiker und Komponist Raffael Seyfried, klar, arbeitet [6][„an
       der Schnittstelle von akustischem und elektronischem Material“].
       
       Das [7][„Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache“ (DWDS)] weiß, wie
       häufig das Wort „Schnittstelle“ benutzt wird – ganz genau: der
       „DWDS-Zeitungskorpus“, „eine Vielzahl bedeutender überregional verbreiteter
       Tages- und Wochenzeitungen“. Es zeigt sich: Genutzt wurde das Wort ab den
       1960er-Jahren, stabil, aber überschaubar war seine Häufigkeit ab Mitte der
       1970er- und die 1980er-Jahre hindurch: Da hielt der Heimcomputer Einzug in
       vielen auch deutschen Haushalten.
       
       Mit dem GSM-Standard begann [8][1990/91 das Zeitalter der digitalen
       Mobiltelefonie], auch die Entwicklung des offenen Betriebssystems Linux
       ging los – und es explodierte geradezu die Popularität des Wortes. 2021 war
       der vorläufige Höhepunkt erreicht, seither bröckelt [9][die Kurve]; andere
       Datensätze liefern ähnliche Bilder. Mit dem Einzug von Computertechnik in
       private Haushalte, beschleunigt noch mal durch das World Wide Web, scheint
       das Interesse an Schnittstellen gewachsen zu sein, der Bedarf sich damit zu
       beschäftigen. Musste erst am Anschließen des neuen Druckers kurz vor dem
       Verzweifeln gewesen sein, wer die Metapher wirklich verstehen wollte?
       
       „Die Beschreibung der Grenze ist Teil ihrer selbst“,
       [10][beinahe-heideggert es im Wikipedia-Artikel]: In ihren ältesten,
       technischen Kontexten stand die Schnittstelle gerade nicht fürs Verbinden
       von eigentlich nicht Zusammengehörigem. Zumal, wenn sie sich von ihren
       technischen Anfängen entfernt, geht es bald um (unterstellt)
       Gegensätzliches, das doch miteinander kann; nicht von selbst sich
       erklärende Begegnungen, verblüffende Kombinationen – als wäre sie
       [11][Geschöpf des Surrealismus!] Dabei setzt die Rede von der Schnittstelle
       zwischen, sagen wir: Kunst und Wissenschaft gerade voraus, dass beide Teil
       ein- und desselben Systems sind, dass in ein Ganzes geschnitten wird. Klar:
       Sprache wandelt sich, warum sollte es der Schnittstelle besser ergehen,
       sagen wir, [12][als Shakespeares gewitterter Morgenluft]?
       
       Im Zusammenhang mit den so mächtigen, das alte WWW vielfach abzulösen
       versprechenden Social-Media-Plattformen ist das [13][„application
       programming interface“], kurz: API, zu Deutsch
       „Anwendungsprogrammierschnittstelle“, enorm wichtig, also die Protokolle
       und Regeln, mittels derer Anwendungen miteinander kommunizieren – diese
       Kommunikation entscheidet über den Erfolg einer Plattform, einer Software.
       Solche nicht mehr anfassbaren, ganz realen Schnittstellen ermöglichen die
       Beforschung von Nutzer:innenverhalten und Debattenverläufen, [14][ein
       etwas weniger nerviges Marketing] – und genauso die gezielte Unterstützung
       des Trump’schen Wahlkampfs durch Daten-Neugier-Dienstleister wie
       [15][Cambridge Analytica]. Alexander Diehl
       
       28 Aug 2025
       
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