# taz.de -- Saxofonistin Theresia Philipp: Die Chance, es anders zu machen
       
       > Das Bundesjazzorchester wird erstmals von einer ostdeutschen
       > Künstlerin geleitet. Ein Porträt der in Köln lebenden Saxofonistin
       > Theresia Philipp.
       
 (IMG) Bild: Die Kölner Saxofonistin Theresia Philipp ist mittendrin als Co-Leiterin des BuJazzO, als Solistin und in diversen Bandprojekten
       
       Was im Sport die U21-Auswahlmannschaft ist, das heißt in der Musik
       Bundesjazzorchester, oder kurz: BuJazzO. Hüben wie drüben kommt in jedem
       Jahrgang der talentierteste und auffälligste Nachwuchskader zusammen,
       glänzt als Team und in wohldosierten Soli, zeigt ein paar Tricks und spielt
       gemeinsam zum großen Vergnügen der Zuschauer*innen. Jugend forscht! In
       gewisser Weise zollte das BuJazzO dieser Ähnlichkeit im vergangenen Jahr
       Respekt, als es während der Fußball-Europameisterschaft der Männer in
       Deutschland eine Tour organisierte und auf den Fanmeilen der Republik
       Konzerte gab und Stimmung machte. Als Gast an Bord: Der deutsche
       Swing-Crooner Tom Gaebel, selbst Alumnus des BuJazzO.
       
       Ins Leben gerufen wurde das Bundesjazzorchester 1987 von dem Bigbandleader
       Peter Herbolzheimer; seitdem gilt es als bedeutende Station für viele junge
       Musikstudierende, die an bundesdeutschen Hochschulen von der Trompete über
       Schlagzeug bis zum Gesang Jazz studieren. Neben Tom Gaebel lauten die
       bekanntesten Absolvent:Innen dieser Talentschmiede Till Brönner, Roger
       Cicero und Johanna Summer, dieser Tage eine zu Recht umschwärmte
       Pianistin.
       
       Stets umfasst das Orchester 19 Köpfe, die Jahr für Jahr neu besetzt werden;
       die Leitung hingegen blieb größtenteils und über lange Zeiträume konstant.
       Gründungsleiter Herbolzheimer stand dem BuJazzO fast 20 Jahre, bis 2006,
       vor. Auf ihn folgte eine Phase mit wechselnden Dirigitent*innen, bis 2011
       eine Doppelspitze eingesetzt wurde: Jiggs Whigham und Niels Klein wurden
       die neuen Leiter, luden immer wieder Gastdirigent*innen hinzu.
       
       Wie so oft, wenn Institutionen eine personelle Kontinuität an den Tag
       legen, sagte man auch dem BuJazzO eine gewisse Behäbigkeit nach. Für
       Avantgardisten und Freigeister wirkte das Material bisweilen aus der Zeit
       gefallen, altbacken sogar. Bis zuletzt suchte man auf den Konzerten des
       Orchesters vergeblich nach Sounds von gegenwärtigen Jazz-Zentren wie
       Chicago, [1][Los Angeles] und London. Dabei ist das, was dort geschieht
       nicht nur jung, aufregend, erfrischend und ständig unterwegs Richtung
       Brückenschlagen nach HipHop, Electronica und Ambient, es ist zudem
       international und in Deutschland gefragt wie erfolgreich.
       
       ## „Wir Frauen waren auf uns selbst gestellt“
       
       Eine aktuelle Neubesetzung in der Leitung verspricht nun lang
       herbeigesehnte Erneuerungen: Seit Anfang des Jahres ist die Kölner
       Saxofonistin, Komponistin und Arrangeurin Theresia Philipp designierte
       Co-Leiterin des BuJazzO – als erste Frau in dieser Position. Und als erste
       Ostdeutsche, denn Philipp, geboren 1991 im sächsischen Großröhrsdorf (30
       Kilometer nordöstlich von Dresden), wuchs in der ostdeutschen Provinz auf.
       
       Dort machte sie erste Schritte am Keyboard, wechselte mit zehn Jahren zum
       Saxofon und wurde Mitglied des örtlichen Spielmannszugs. Was ihr aus dieser
       Zeit jedoch besonders im Gedächtnis blieb, ist jene Gleichberechtigung, die
       man als Überbleibsel der DDR noch bis weit in die 1990 Jahre hinein
       pflegte: „Als Instrumentalistin wurde ich genauso behandelt wie meine
       Kollegen.“
       
       Keine Selbstverständlichkeit, wie sie später im Westen erfahren musste. Zum
       Beispiel 2010, als Philipp zum Studium an die Kölner Hochschule für Musik
       und Tanz am Rhein umzog, wo – wie auch in anderen westdeutschen
       Jazz-Hochburgen – Instrumentalistinnen nämlich eine Seltenheit waren. Aber:
       „Da bewegt und ändert sich gerade viel. Die Ergebnisse der jährlichen
       Jazzstudie 2016 und 2018 im Auftrag der Deutschen Jazz Union haben zu einem
       allgemeinen Umdenken geführt, jedoch sind wir weiterhin entfernt von equal
       opportunities“, attestiert Philipp.
       
       Diese Erhebungen wiesen jeweils mehrere geschlechtsspezifische Schieflagen
       aus: 80 Prozent der Berufsmusiker*innen waren männlich; Mädchen war
       der Zugang zu Instrumenten erschwert; Jazzerinnen stellten ihren
       Kinderwunsch weitaus häufiger hintenan als ihre Kollegen, die auf
       wundersame Weise (und dank unbezahlter Care-Arbeit) Beruf und
       Kindererziehung besser unter einen Hut bekommen.
       
       Umso bedeutender ist die Besetzung der Leitung des BuJazzO mit Theresia
       Philipp, die selbst ihre Erfahrungen innerhalb der Strukturen machen
       durfte: „Ich war 2012 zwei Jahre Künstlerin des BuJazzO. In jener Zeit
       musste ich mir einige Male Kommentare anhören à la: ich sei nur wegen der
       Frauenquote mit an Bord. Eine Ansprechperson, der ich mein Leid hätte
       klagen können, gab es damals jedoch nicht. Wir Frauen waren auf uns selbst
       gestellt.“
       
       Das wird sich nun ändern, denn für Philipp beginnt die Arbeit bereits bei
       der Atmosphäre und beim Verständnis für positive Gruppendynamiken. Damit
       stehe sie aber keinesfalls im Konkurrenzverhältnis zu ihrem Co-Leiter Niels
       Klein, der durchaus sehr sensibel für atmosphärische Änderungen und
       Entwicklungen im Orchester sei. Klein, wie sie noch aus ihrer Zeit beim
       BuJazzO wisse, moderiere sehr gut und sei diplomatisch.
       
       Philipp sieht sich entsprechend nicht als Revolutionärin, sondern als
       wichtige Weiterentwicklung: „Ich werde Entscheidungen nicht besser als
       meine Vorgänger auf dem Posten treffen, aber anders. Das kommt ganz
       automatisch: Ich bin eine weiße Frau und in Sachsen aufgewachsen.
       Selbstverständlich habe ich einen unterschiedlichen Zugang.“
       
       ## Aktivposten der Kölner Jazzszene
       
       Theresia Philipp möchte Vorbild sein, eines, das ihr selbst gefehlt hat. In
       ihrer Jugend suchte sie vergeblich nach starken Jazz-Musiker*innen, vor
       allem am Saxofon: „Ich kannte die holländische Künstlerin Candy Dulfer,
       später erfuhr ich von Karolina Strassmayer – das war’s dann aber auch. Erst
       in den letzten Jahren wurde mir klar, dass es schon immer
       Jazzsaxofonistinnen gab, die aber eben nicht (oder kaum) sichtbar waren. So
       funktioniert Marginalisierung nämlich: über Unsichtbarmachung.“
       
       Philipp setzt sich bereits länger mit feministischen Themen auseinander.
       2021 reüssierte sie mit dem Soloprogramm „Ain’t I“, das die gleichnamige
       Rede der US-Abolitionistin und Frauenrechtlerin Sojouner Truth (1797–1883)
       als Ausgangspunkt einer Reflexion über intersektionalen Feminismus nahm.
       Drei Jahre später, bei der Cologne Jazzweek, stellte sie „Seeds of Sweat“
       vor; ein herausforderndes Bandprojekt, das auf „Ain’t I“ aufbaut. Daneben
       wirkt die Künstlerin in verschiedenen Formationen und Trios mit, ist
       Aktivposten der Kölner Jazzszene, was ihr 2020 das „Horst und Gretl
       Will“-Stipendium der Stadt, den WDR-Jazzpreis (2022) und den Deutschen
       Jazzpreis für ihr Ko-Komposition mit und für den MDR Rundfunkchor (2023)
       bescherte.
       
       Angesichts solcher Meriten gerät fast in Vergessenheit, dass Theresia
       Philipp seit 2021 unter Long Covid leidet, was in den letzten drei Jahren
       zu längeren Episoden ohne Auftritte führte, sie in der Folge sogar ihr
       Saxofonspiel umstellen musste. Ob sie denn unter diesen Bedingungen keine
       Sorge vor dem neuen Amt als Leiterin des BuJazzO habe? „Zwischendurch
       kommen Zweifel auf. Dann aber sehe ich das BuJazzO auch als Segen: Hier
       habe ich die Chance zu gestalten, es anders zu machen. Hier kann ich nicht
       nur meine Erfahrung als Musikerin, Komponistin und als Ostdeutsche
       weitergeben, sondern auch als Person mit einer chronischen Erkrankung.“
       
       9 May 2025
       
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