# taz.de -- Theaterstück über Fußballspieler: Der Nazi und der Erdoğan-Claqueur
       
       > Ein-Mann-Stück über die Kicker Trautmann und Özil im Bremer Weserstadion:
       > Der eine war mal Nazi, der andere wurde Erdoğan-Claqueur.
       
 (IMG) Bild: Geehrt: Briefmarke für Trautmann
       
       „Dilemma“ steht auf seinem T-Shirt, es ist der Name des komplett schwarz
       gewandeten Kerls. Eine reizvolle Aufgabe für einen Darsteller, sich zwei
       gegensätzliche Möglichkeiten gleich leidenschaftlich zu erspielen und
       überzeugend rational zu behaupten.
       
       Robin Sondermann, jahrelang prägendes Ensemblemitglied am Theater Bremen,
       kommt da argumentativ und schauspielerisch richtig in Fahrt. Er gibt den
       Diskurs-Entertainer für die Lecture Performance „Laut oder leise – ein
       Abschiedsspiel für Trautmann Özil oder nicht“, die dem rohen Charme des
       Ostkurvensaals im Bremer Weserstadion ausgesetzt ist, wo sonst Werder-Fans
       Fußball gucken und feiern.
       
       Um ein Dilemma zu erkennen, sind erst mal einseitige Haltungen zu
       relativieren. Was in der heutigen Meinungs-Bubble-Welt wenig interessiert,
       weswegen sich das Dilemma kaum noch gesehen fühlt. Für mehr Aufmerksamkeit
       überklebt Sondermann erst mal Plakate, Aufkleber, Kritzeleien an den Wänden
       und Säulen, die Position beziehen gegen Nazis, Antisemitismus, Homophobie,
       den HSV und alles, was sonst noch böse ist.
       
       Im Publikum regen sich Buhs. „Wir halten das aus, gemeinsam“, sagt der
       Darsteller. Gegen scheinbare Eindeutigkeiten fordert er: „Mehr Kontext
       wagen.“ Und stellt seine Nummer eins aus Dilemmasicht vor: [1][Bert
       Trautmann.] Der aus Bremen stammende Fußballtorwart wurde in 508 Spielen
       für Manchester City zur Kickerlegende in England, seine Eisenhärte lebte er
       auch in einem Pokal-Endspiel, in dem er trotz eines Genickbruchs bis zum
       Abpfiff im Tor blieb.
       
       ## Blond-blauäugige Ikone der HJ
       
       Sondermann zeigt den Fußballgott Trautmann genauso begeistert wie den Nazi
       Trautmann, gestaltete der beide Lebensphasen doch aus der gleichen
       Unbedingtheit heraus. Er wurde in englischer Kriegsgefangenschaft nicht als
       Mitläufer, sondern als überzeugter Nationalsozialist und Antisemit
       eingestuft. Blond-blauäugige Ikone der HJ und Träger des Eisernen Kreuzes
       1. Klasse.
       
       Wie gut ist dann die Integration im Königreich verlaufen, dass Trautmann
       zum Helden eines jüdisch geprägten Fußballklubs wurde! Trotzdem sei er
       keines Abschiedsspiels würdig gewesen, da er seine Schuld in der NS-Zeit
       nie benannt habe, so das Dilemma.
       
       Sondermanns zweites Beispiel: [2][Mesut Özil]. Der feinfüßige Kicker war
       ein von Angela Merkel hofierter Integrationsheld, sang dann die
       Nationalhymne nicht mit, spielte immer phlegmatischer, freundete sich mit
       Türkei-Präsident [3][Erdoğan] an. Heute sitzt er im Vorstand von dessen
       islamisch-konservativer [4][AKP], bekundete mit einem Tattoo seine
       Solidarität mit den rechtsextremen Grauen Wölfen und will einem Post
       zufolge den Staat Israel auslöschen.
       
       Eine Tragödie – ohne Abschiedsspiel. Oder wie schlecht ist die Integration
       gelaufen, dass sich ein Deutscher mit türkischen Wurzeln dermaßen gegen
       westliche Werte radikalisiert?
       
       Dilemma! Daran Mitschuld hätten seine Kritiker, meint das Dilemma, zeigt
       Mitleid mit Özil und fordert ein Abschiedsspiel für den Ex-Nationalspieler
       – in Bremen. Das wäre ein versöhnliches Zeichen.
       
       Sondermann steigert sich mit humanistischem Furor in diese Botschaft
       hinein, womit er seine Rolle verrät, nicht mehr achtungsvoll zwischen
       Perspektiven hin und her springt, sondern Dilemmata lösen, sich auflösen
       will. Nichtsdestotrotz ist das rhetorisch gewandte Spiel mit aktuellen
       Ausgrenzungsdiskursen ein mitreißend vitales Denkabenteuer.
       
       16 Mar 2025
       
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