# taz.de -- das wird: „Ein nicht nachvollziehbares Grauen“
       
       > Psychoanalytiker Klaus Loebell erläutert den Film „Zone of Interest“ über
       > die Familie des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß
       
       Interview Karoline Gebhardt
       
       taz: Herr Loebell, was hat der Film „The Zone of Interest“ mit Ihnen
       gemacht? 
       
       Klaus Loebell: Der Film beginnt mit einer dunklen Leinwand und
       anschwellendem Ton. Das zog mich in ihn hinein. Dann wird das erschütternde
       Nebeneinander von Grauen und Familienalltag erzählt. Ich habe mich gefragt,
       ob es dem Film gelingt, diese psychische Spaltung beim Zuschauer infrage zu
       stellen.
       
       taz: Kann Kino psychische Prozesse wie Verdrängung oder Schuld erfahrbar
       machen? 
       
       Loebell: Ich glaube schon. Man sieht das am Film „Holocaust – die
       Geschichte der Familie Weiss“. Ein Spielfilm über die Schoah am Beispiel
       von drei fiktiven Familien. Bei der Ausstrahlung gab es eine große
       Erschütterung. „The Zone of Interest“ ist noch mal ganz anders, weil er am
       Beispiel der Familie Höß auf eine nüchterne Art die Verleugnung oder
       Spaltung sehr deutlich werden lässt. Sich damit auseinanderzusetzen, ist
       nicht leicht.
       
       taz: Warum schien es damals akzeptabel, ein Leben im Grünen in
       unmittelbarer Nähe des Konzentrationslagers Auschwitz zu führen? 
       
       Loebell: Es gibt auf manche Fragen keine Antwort. Es ist schwer, sich
       vorzustellen, dass Menschen dazu in der Lage sind, ihre Realität in diesem
       Haus und in diesem Garten zu leben und gleichzeitig so zu tun, als gäbe es
       das KZ neben ihnen nicht. Das ist ja eine psychische „Leistung“ – natürlich
       in Anführungszeichen! –, die kaum erklärlich ist. Selbst wenn man weiß,
       dass in jedem Menschen Lebens- und Todestriebe, wie Freud das genannt hat,
       von Anfang an nebeneinander existieren und immer wieder ins Gleichgewicht
       gebracht werden müssen.
       
       taz: Das heißt, es gibt psychische Mechanismen, die erklären, wie Menschen
       eine solche Normalisierung des Bösen vollziehen können? 
       
       Loebell: Ansätze gibt es. Aber gründlich verstehen kann man das nicht, weil
       das, was während der Shoah in Deutschland passiert ist, ein nicht
       nachvollziehbares Grauen ist. Jeder, der versucht, es zu erklären, stößt
       auf ein offenes Geheimnis.
       
       taz: Welche Rolle spielt Verdrängung, wenn es um Schuld und Verantwortung
       geht? 
       
       Loebell: Eine große. Wenn man Verdrängung etwas genauer mit den Begriffen
       Verleugnung oder Spaltung beschreibt, kann man sich dem nähern. Sie sehen
       die Familie Höß, die so lebt und gewissermaßen nicht weiß, was neben ihnen
       geschieht. Natürlich würde jetzt jeder Mensch sagen: „Das stimmt doch
       nicht, die wissen doch genau, was da passiert.“ Das ist auch richtig. Aber
       ich glaube, es gibt unbewusst Möglichkeiten, wirklich zu verleugnen, dass
       der Schrecken in mir ist oder neben mir existiert. Das bringt der Mensch
       mit.
       
       taz: Der Film verzichtet weitgehend auf Darstellungen von Gewalt. Man hört
       aber sehr viel. Schüsse und Schreie erzeugen eine bedrückende Atmosphäre.
       Welche Wirkung hat so ein Stilmittel auf unser Unterbewusstsein? 
       
       Loebell: Mitte der 60er Jahre erschien „Die Unfähigkeit zu trauern“ von
       Margarete Mitscherlich und ihrem Mann. Das Buch beleuchtet, wie die
       Nazizeit zwar eine bewusste Erinnerung ist, aber nicht wirklich zu einer
       starken Berührung und Erschütterung in deutschen Familien geführt hat. Und
       ich glaube, der Film von Jonathan Glazer macht das, was Menschen
       normalerweise von sich fernhalten, für einen Moment emotional erlebbar.
       
       taz: Was erwartet das Publikum? 
       
       Loebell: Es gibt in der Psychoanalyse inzwischen eine Tradition, sich mit
       Film auseinanderzusetzen. PsychoanalytikerInnen stellen immer wieder Filme
       vor, um dann mit dem Publikum darüber zu sprechen.
       
       taz: Weil es ein nahbares Medium ist? 
       
       Loebell: Ja. Da es ein Medium ist, das mit Bildern arbeitet und Bilder
       ungeheuer reizvoll sind und Menschen unbewusst erreichen können. Filme
       haben oft etwas sehr Suggestives. Der Weg über die Träume und Bilder ist
       der Königsweg zum Unbewussten. Dieses bildhafte Erleben ist der
       unmittelbare Reiz, den Filme darstellen.
       
       4 Apr 2025
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Karoline Gebhardt
       
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