# taz.de -- Kämpfe mit Assad-Anhängern: Blutige Unruhen um Latakia
       
       > In Syriens alawitisch geprägter Küste wurden Zivilist*innen bei
       > Kämpfen zwischen Sicherheitskräften, Milizionären und Assad-Anhängern
       > getötet.
       
 (IMG) Bild: Beerdigung einer jungen Medizinstudentin aus Latakia am 9. März
       
       „Seit drei Tagen sitze ich nur zu Hause – ohne Strom, ohne Wasser“,
       berichtet Ali Fedda der taz. Er ist 20 Jahre alt, lebt in der syrischen
       Küstenstadt Latakia – und ist Alawit. „Vor die Tür zu gehen, ist momentan
       zu gefährlich. Es wird auf der Straße geschossen, wir hören die Schüsse.
       Und die Explosionen, vielleicht von Panzerabwehrraketen – das ganze Haus
       wackelt.“ Seit Donnerstagabend wird in der Küstenstadt, im benachbarten
       Tartus und in einigen Dörfern der insgesamt alawitisch geprägten Region
       gekämpft. Was bisher geschah, lässt sich nach Gesprächen der taz mit
       Augenzeugen und Experten sowie Onlinequellen so rekonstruieren: Am
       Donnerstag griffen wohl Ex-Militärs des alten Regimes und alawitische
       aufständische Sicherheitskräfte der neuen Regierung an. Mehr als zwei
       Dutzend Soldaten wurden so bei Überfällen und durch Hinterhalte in Dörfern
       und entlang großer Straßen getötet.
       
       [1][Nach Angaben des Institute for the Study of War (ISW)] bekannte sich
       die Syrian Popular Resistance, eine weiter zum gestürzten Machthaber
       Baschar al-Assad loyale Gruppe, zu einigen Angriffen auf die neuen
       Staatssicherheitskräfte, in einigen Ortschaften sowie entlang der Autobahn
       M4 nördlich von Latakia. Laut ISW soll es aber keine zentrale
       Kommandostruktur unter den Aufständischen geben. Nach den Angriffen
       verhängte das Militär eine Ausgangssperre – und schickte schwere Artillerie
       und Truppen in die Region.
       
       [2][Bis zum Sonntag sollen schließlich mindestens 745 Zivilist*innen
       getötet worden sein], die meisten von ihnen Alawit*innen, berichtet die
       Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Unter den Toten sollen auch
       viele Frauen und Kinder sein. Mindestens 148 Kämpfer des alten Regimes und
       125 Soldaten der neuen Regierung sollen außerdem umgekommen sein.
       
       [3][Konfliktforscher Armenak Tokmajyan], der unter anderem für das Carnegie
       Middle East Center arbeitet, sagt der taz: Ehemalige Offiziere des Regimes
       Assads hätten sehr wahrscheinlich eine Rolle als Anführer gespielt, in
       dieser ersten koordinierten und bewaffneten Aktion gegen die neue
       Regierung. Er würde jedoch nicht alle von ihnen als „Pro-Assad“
       beschreiben, erklärt Tokmajyan. Einige hegten ebenso einen Groll gegenüber
       dem einstigen Autokraten. Als mögliche Gründe für die Angriffe sieht er
       eher die Menschenrechtsverletzungen gegen Alawit*innen in den
       vergangenen Wochen und den Mangel an einem echten, nationalen Dialog.
       
       ## Es gibt eine Vorgeschichte zu den Angriffen
       
       Wie von Tokmajyan angesprochen, gibt es zu den Angriffen eine
       Vorgeschichte: Schon seit Mitte Januar ist die Lage an der Küste und in den
       alawitischen Dörfern angespannt. [4][Der Anfang Dezember gestürzte Diktator
       Assad gehörte der religiösen Minderheit der Alawit*innen an]. Die
       Bevölkerungsgruppe wurde im alten Regime bevorzugt – im Militär, in den
       Geheimdiensten und in der Verwaltung. Das Assad-Regime beging viele
       Verbrechen an seinen Bürgerinnen und Bürgern, vor allem während des Krieges
       ab 2011. Besonders brutal waren etwa die Befehlshaber der [5][berüchtigten
       vierten Division der Armee] – und laut ISW könnte das von einem Ex-Mitglied
       gegründete Military Council for the Liberation of Syria an den Angriffen
       auf die Regierungssoldaten beteiligt gewesen sein. Mit dem Fall des Regimes
       haben die ehemaligen Herrscher Macht und Lebensunterhalt verloren. Und
       viele vertrauen den neuen sunnitischen Machthabern, die eine
       dschihadistische Vergangenheit haben, nicht.
       
       Schon vor den Ereignissen seit Donnerstag herrschte an der Küste daher eine
       angespannte Stimmung: [6][Alawit*innen fürchteten um ihre Sicherheit],
       teils durch Falschmeldungen befeuert. Sunnit*innen machten teils die
       gesamte alawitische Gemeinschaft pauschal für die Verbrechen Assads
       verantwortlich. Und [7][Berichte über Selbstjustiz und außergerichtliche
       Exekutionen] von Alawit*innen machten immer wieder die Runde.
       
       Bilder und Videos, die nun von der Küste Syriens in die sozialen Medien
       hochgeladen werden, zeigen Massaker: verkohlte Leichen von Streitkräften.
       Körper in ziviler Kleidung, die in Blutlachen liegen, daneben weinende
       Frauen. Hinrichtungen von Menschen in Zivilkleidung unter Obstbäumen.
       Gefangene, die teils verletzt und ausgepeitscht werden oder auf allen
       vieren kriechen müssen.
       
       Die Angst greift um sich: Ein Mann aus der Region Tartus, den die taz Ende
       Dezember interviewte, schreibt: „Erinnerst du dich, als ich dir sagte: ‚Die
       Islamisten werden kommen und Alawit*innen töten‘? Ich log damals nicht.“
       „Wir können jetzt keine Fragen beantworten, wir fliehen gerade in die
       Berge“, schreibt am Samstag ein weiterer Kontakt: „Die Lage ist schlimm.
       Wenn du Alawit bist, töten sie dich sofort.“ Ein anderer Kontakt schreibt:
       Seine Familie sei bislang unversehrt. Aber zusammenfassend könne er sagen,
       dass er das Vertrauen in die neuen Regierungskräfte verloren habe.
       
       Die Lage bleibt derweil unübersichtlich: Wer war bei den Angriffen auf die
       Alawit*innen, vor allem auf die Zivilist*innen, involviert? Waren es
       Soldaten der neuen Regierung? Die gehörten zuvor zumeist Hayat Tahrir
       asch-Scham (HTS), der ehemaligen Miliz des Übergangspräsidenten Ahmed
       al-Scharaa, als Kämpfer an. Menschen, die noch eine Rechnung offen haben
       und das Chaos nutzten? Kämpfer, die auf eigene Rechnung handelten?
       
       ## Die Lage bleibt unübersichtlich
       
       Davon spricht etwa [8][Analyst Cédric Labrousse auf X]: In einem gemischt
       sunnitischen und alawitischen Dorf an der Küste sei am Wochenende das
       alawitische Viertel angegriffen worden, 50 Menschen sollen getötet worden
       sein. Verdächtigt seien unter anderem [9][Dschihadisten aus Zentralasien,
       die sich der neuen Regierung nicht unterordnen wollten]. Unabhängig
       bestätigen lässt sich das nicht.
       
       Das ISW schreibt außerdem: Videos in syrischen Medien zeigten die Präsenz
       eines Konvois der türkisch unterstützten Syrian National Army (SNA) an der
       Küste. Davon schreibt auch Analyst Orwa Ajjoub auf X: Verschiedene Quellen
       in Syrien hätten ihm bestätigt, dass vor allem zwei mit der Türkei
       verbundene Brigaden für das Töten von Zivilist*innen verantwortlich
       seien.
       
       Übergangspräsident al-Scharaa und seine Regierung machen Milizen, die an
       die Küste gekommen seien, um den Regierungsstreitkräften zu helfen, für
       Exekutionen und Razzien in Wohnhäusern verantwortlich. Außerdem
       beschuldigte sie Pro-Assad-Kämpfer. Al-Scharaa rief zu Frieden und
       nationaler Einheit auf. Am Sonntag erklärte die Regierung, dass man eine
       unabhängige Kommission etabliere, die die Kämpfe an der Küste untersuchen
       solle. Auch warum ausgerechnet jetzt die Angriffe gegen die
       Sicherheitskräfte zunahmen, ist unklar. Sicherheitsexperte Ronnie Hamada
       erklärt dazu: „In den letzten Wochen hat es verschiedene Fälle von äußeren
       Einflüssen auf Syrien gegeben.“ Nachdem es zwischen den Drus*innen in
       Südsyrien und der neuen Regierung jüngst Zusammenstöße gegeben hatte, hat
       Israel ihnen Unterstützung zugesichert. [10][Das Land hält bereits mehrere
       Dörfer an der südöstlichen Grenze besetzt.]
       
       Am meisten verloren durch Assads Sturz haben [11][die Islamische Republik
       Iran und Russland]. Bereits im Dezember hatte Irans Ajatollah Ali Chamenei
       gesagt: Die Jugend in Syrien müsse „klare Kante zeigen gegenüber denen, die
       diese Unsicherheit über ihr Land gebracht haben“. Doch Berichte zu einer
       Beteiligung des Iran an den derzeitigen Kämpfen seien derzeit nur
       Spekulation, präzisiert Hamada. „Syrien befindet sich gerade in einem
       instabilen Gleichgewicht. Jede kleine Schwankung kann die Zukunft bedeutsam
       beeinflussen.“ Ein größerer interethnischer Konflikt könne daher nicht
       ausgeschlossen werden. Und davon, wie die neue syrische Regierung nun
       reagiert, werde vieles abhängen. „Die Regierung muss eine starke,
       professionelle Position einnehmen, um Zivilist*innen zu schützen“, so
       Hamada.
       
       Ahmad Fallaha, ein Fotojournalist aus Idlib, der am Samstag die
       Küstenregion besuchte, berichtet der taz: Er habe die Kämpfe zwischen
       Aufständischen und syrischen Streitkräften gesehen. Auch habe er
       Zivilist*innen gesehen, die von den Streitkräften attackiert wurden,
       sowie brennende Häuser entlang der Straße von Latakia nach Jableh. Und
       schickt Bilder von gepanzerten Fahrzeugen, Regierungskämpfern mit
       Panzerfäusten und Rauchwolken.
       
       9 Mar 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Nationaler-Dialog-Konferenz-in-Damaskus/!6068602
 (DIR) [2] /Spannungen-im-neuen-Syrien/!6072781
 (DIR) [3] https://carnegieendowment.org/people/armenak-tokmajyan?lang=en
 (DIR) [4] /Gewalt-in-Syrien/!6074183
 (DIR) [5] https://www.mei.edu/publications/fourth-division-syrias-parallel-army
 (DIR) [6] /Sorgen-von-Minderheiten-in-Syrien/!6064248
 (DIR) [7] /Spannungen-im-neuen-Syrien/!6072781
 (DIR) [8] https://x.com/CdricLabrousse/status/1898355933211713756
 (DIR) [9] https://monitoring.bbc.co.uk/product/b00032gs
 (DIR) [10] /Israels-Militaer-auf-den-Golanhoehen/!6058207
 (DIR) [11] /Geopolitik-unter-Paria-Staaten/!6059799
       
       ## AUTOREN
       
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