# taz.de -- Jahrestag des russischen Großangriffs: Gedanken zu elf Jahren Krieg in der Ukraine
       
       > Der Februar ist ein schwarzer Monat für die Ukraine, er steht für Krieg
       > und Verrat. Doch die Menschen kämpfen weiter. Denn sie haben keine Wahl.
       
 (IMG) Bild: Blackout in Kyjiw: Jede Nacht wird die Ukraine von russischen Drohnen attackiert, häufig trifft es die Energieinfrastruktur
       
       Luzk taz | Februar ist ein schrecklicher Monat für Ukrainer*innen. 2014
       wurden sie auf dem Maidan erschossen weil sie das prorussische Regime von
       Wiktor Janukowitsch stürzen wollten. Es folgten die Annexion der Krim und
       die hybride russische Invasion.
       
       [1][Im Februar 2015 wurde in Minsk ein Abkommen unterschrieben], das die
       heiße Phase des Krieges aussetzte, aber die Russen im Donbass beließ.
       [2][Im Februar 2022 begann der große Krieg] mit Russland
       
       Und der Februar 2025 schließlich ist der Monat des US-amerikanischen
       Verrats. Als erstes wurden [3][die Hilfen von USAID eingestellt], dann
       führte Trump ein freundschaftliches Gespräch mit Putin, nannte Selenskyj
       einen Diktator und begann Verhandlungen mit Russland. Gleichzeitig forderte
       er von Kyjiw die Rückzahlung von mystischen 500 Milliarden Dollar [4][in
       Form von Bodenschätzen].
       
       „Bald werden die USA Reparationen von der Ukraine fordern“, „Amerika rettet
       Putin“, Trump ist ein Gauner“ – so klang es am Vorabend des 24. Februar
       gerade in den ukrainischen sozialen Netzwerken. Auf Facebook schlugen
       Scherzbolde vor, Trumps morgendliche Weckrufe in die Liste der Gründe für
       Luftalarm aufzunehmen. So etwa wie: „Achtung, Trump ist wach, verlassen
       Sie jetzt Social Media, gleich geht es los …“
       
       Totale Erschöpfung 
       
       Die Gesellschaft ist heute ohne Zweifel eine andere als noch vor drei
       Jahren. „Sollte ich meine momentane Verfassung beschreiben, würde ich
       ‚höllische Erschöpfung‘ sagen“, meint Oleksandr Holownyzkyj, ein Soldat aus
       dem westukrainischen Kowel, der gerade eine Woche Fronturlaub hatte.
       „Nicht nur körperlich, sondern auch aufgrund von Eintönigkeit, Anspannung,
       hoher Verantwortung und Angst.“
       
       Die Zivilbevölkerung ist nicht weniger erschöpft, psychisch, finanziell und
       emotional. Heute diskutiert man Dinge, die noch vor zwei Jahren undenkbar
       waren, wie den Abtritt von Gebieten. Auch die Mobilmachung gerät ins
       Stocken. Die Verluste im Krieg, die Informationsattacken in den sozialen
       Medien, das Fehlen jeglicher Form von militärischer Unterstützung, vor
       allem die Unsicherheit in Bezug auf die USA, haben dazu geführt, dass
       weniger Menschen bereit sind, zu kämpfen.
       
       Denn auch militärisch ist kein Frieden in Sicht: In den letzten Monaten
       haben die Russen jede einzelne Nacht mindestens 100 bis 130 Drohnen in
       Richtung Ukraine geschossen. Jeden Morgen lasen die Ukrainer also zuerst
       die [5][Nachrichten über die nächtlichen Angriffe], dann über die
       Verteidigung von Pokrowsk und Torezk und anschließend Überlegungen zum
       ‚schwarzen Datum‘ ihrer Geschichte.
       
       Unsere Antwort heißt Kämpfen 
       
       Doch selbst unter diesen Umständen, trotz Erschöpfung, Krise und
       Steuererhöhungen seit dem 1. Januar stellten die größten
       Wohltätigkeitsorganisationen fest, dass die Menschen ähnlich viel für die
       Armee spenden wie im Vorjahr. Wohl auch als Reaktion auf die neuen
       Bedrohungen.
       
       Meinungsumfragen haben gezeigt, dass die Unterstützung für Selenskyj im
       Februar zugenommen hat. Zwar genießt er weniger Vertrauen als 2022 – aber
       das normal für eine Demokratie, die in der Ukraine allen Widerständen zum
       Trotz funktioniert. Der aktuelle Anstieg um einige Prozentpunkte ist eine
       Reaktion auf Trumps Attacken. Und dabei geht es weniger um die Person
       Selenskyj, als darum, dass die Ukrainer die Legitimität ihres Präsidenten
       in einer Zeit, da er von außen angegriffen wird, unterstreichen wollen.
       
       ## Keine Wahl unter Kriegsrecht
       
       Ähnlich ist es auch beim Thema Wahlen: Die meisten Ukrainer*innen sind
       gegen Wahlen, bevor wirklich Frieden herrscht. Denn diese Wahlen unter
       Kriegsrecht wären verfassungswidrig, es gäbe auch Sicherheitsfragen. Vor
       allem aber müssten an demokratischen Wahlen auch Soldaten teilnehmen
       können. Ohne sie wären Wahlen schon aus ethischen Gründen nicht akzeptabel.
       
       All das bedeutet, dass die Ukrainer*innen als Gesellschaft – mit all
       ihren Widersprüchen, ihren Streitigkeiten, ihrer Erschöpfung – immer noch
       bereit sind zu kämpfen. Sie sind bereit, bei Streitfällen einen Konsens zu
       finden bzw. sich noch eine weitere Spende für die Armee aus den Rippen zu
       leiern.
       
       „Wenn wir über ‚Frieden‘ sprechen, dann sprechen wir gewöhnlich über
       ukrainische Gebietsabtritte und über Bodenschätze, warum auch immer.
       Worüber wir hingegen nicht sprechen, sind ukrainische Kriegsgefangene,
       zerstörte Städte, Zehntausende verschleppte ukrainische Kinder … Es wäre
       falsch, die Ukraine zu solch einem ‚Frieden‘ zu zwingen, denn er würde
       wahrscheinlich nicht von Dauer sein. Und eine Ukraine, die im Westen so
       unsicher ist, kann kein verlässlicher Partner für Europa sein“, schrieb der
       ukrainische Historiker Radomyr Mokryk auf seiner Facebook-Seite.
       
       Und [6][der ukrainische Soldat und Schriftsteller Artem Tschech] erklärte
       kürzlich in einem Gastbeitrag für die New York Times schlicht: „Die
       Ukrainer*innen werden weiterkämpfen. Denn sie haben kein anderes Land.“
       
       ## Jetzt wäre Europas Zeit
       
       Aber jede Ressource ist irgendwann erschöpft. Und wenn Europa seine Stärke
       und Entschlossenheit zeigen müsste, dann wäre jetzt der beste Zeitpunkt
       dafür. Dann könnten die Ukrainer merken, dass ihre oft idealisierte
       Vorstellung von Europa, auf den Werten basiert, für die Europa steht und
       für die es zu kämpfen bereit ist – so, wie es die Ukraine längst tut.
       
       Jurij Hudymenko, ein ukrainischer Soldat und Blogger, der im Krieg
       verwundet wurde, erinnert sich daran, dass die Menschen auf dem Maidan im
       Winter 2013/14, als sie „Die Ukraine ist Europa“ skandierten, nicht nur die
       Geografie und den ukrainischen EU-Beitritt im Blick hatten.
       
       „Wir dachten, dass die Ukraine Teil der europäischen Zivilisation sein, die
       die Demokratie, freie Wahlen, Pressefreiheit und Parlamente erfunden hat.
       Das, was wir unter freiheitlichen Werten verstanden haben. Im Gegensatz zu
       dem konventionellen, despotischen Asien, das für uns durch Russland, Putin
       und Janukowitsch verkörpert wurde. Aber wenn ich heute sage ‚Die Ukraine
       ist Europa‘, denke ich, dass eben genau die Ukraine jetzt Europa ist, und
       dass es kein anderes Europa mehr gibt als die Ukraine. Nicht im
       geografischen, sondern im semantischen und historischen Sinn.“
       
       Aus dem Ukrainischen: [7][Gaby Coldewey]
       
       27 Feb 2025
       
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