# taz.de -- Britische Labour-Regierung in Nöten: Eine Abfolge peinlicher Nachrichten
       
       > Die Antikorruptionsministerin tritt zurück. Die Wirtschaftslage ist
       > schlecht, die Umfragenwerte auch. Von Rechts gerät Keir Starmer unter
       > Druck.
       
 (IMG) Bild: Überdauerte mehrere Regierungschef*innen In 10 Downing Street und gehört zum Inventar: Der Kater Larry
       
       London taz | Großbritanniens Labour-Regierung unter Premierminister Keir
       Starmer gerät zunehmend unter Druck. Am Dienstagnachmittag [1][trat die
       Staatsministerin mit Zuständigkeit für Finanzirregularitäten und Korruption
       zurüc]k. Tulip Siddiq wird vorgeworfen, über ihre Immobilien in London in
       einen Korruptionsskandal ihrer Tante involviert zu sein, der ehemaligen
       Premierministerin von Bangladesch, Sheikh Hasina und deren Partei Awami
       League.
       
       Siddiq sagte, eine Untersuchung der parlamentarischen Prüfstelle habe zwar
       ergeben, dass ihr nichts vorzuwerfen sei – aber sie trete zurück, um keine
       politische Zielscheibe zu sein. Das war etwas schönfärberisch: Der
       unabhängige parlamentarische Prüfer Laurie Magnus war zuvor zu dem Schluss
       gekommen, dass er keine allumfassende Sicherheit bezüglich allen in den
       Medien genannten Immobilien gewährleisten könne. Es fehlten Aufzeichnungen
       und die erhobenen Vorfälle lägen schon länger zurück. Erst am Dienstag war
       zudem bekannt geworden, dass man Siddiq in einer weiteren
       Antikorruptionsuntersuchung in Bangladesch erwähnt.
       
       Dass ausgerechnet die Antikorruptionsministerin wegen Korruptionsverdacht
       zurücktreten musste, ist für Labour besonders peinlich. [2][Premierminister
       Keir Starmer] hat immer betont, dass er den immer neuen politischen
       Skandalgeschichten, welche die Tories in ihrer 2024 beendeten
       Regierungszeit heimsuchten, mit Selbstverpflichtungen zu hohen Standards
       ein Ende bereiten wolle. Der Rücktritt erwischt die Regierung in einer Zeit
       stetig düsterer werdenden wirtschaftlichen und politischen Nachrichten. Die
       Zeiten, in denen Labour in allen Umfragen klar führte, sind längst vorbei –
       Labour ist heute kaum beliebter als es die Konservativen in den letzten
       Jahren ihrer Amtszeit waren.
       
       Profiteur sind nicht die Konservativen, die sich von ihrer verheerenden
       Niederlage bei den Wahlen im Juli 2024 nicht erholt haben, sondern Reform
       UK des Rechtspopulisten Nigel Farage. Eine YouGov-Umfrage vom Montag sieht
       Labour bei 26 Prozent, Reform UK mit 25 Prozent nur einen Punkt dahinter
       und die Konservativen als dritte Kraft mit 22 Prozent. Die deutliche
       absolute Mehrheit der Sitze im Unterhaus, die Labour im vergangenen Juli
       holte, wäre bei solchen Zahlen vorbei.
       
       ## Kampf gegen Nullwachstum
       
       Zusätzlich kämpft die Labour-Regierung mit Nullwachstum, gekoppelt mit
       steigenden Zinsen. Die global gestiegenen Anleiherenditen haben die
       Zinssätze auf britische 30-Jahre-Staatsanleihen in Höhen getrieben, wie es
       sie zuletzt unter der desaströsen Kurzzeitregierung der konservativen
       Premierministerin Liz Truss September-Oktober 2022 gab. Gegenüber dem
       US-Dollar ist das britische Pfund, das sich in den vergangenen zwei Jahren
       deutlich erholt hatte, auf ein 14-Monats-Tief gefallen, ähnlich wie der
       Euro.
       
       Immer mehr Kommentatoren fragen sich, ob Labour-Finanzministerin Rachel
       Reeves noch zu halten ist. Am Dienstag erklärte sie im Unterhaus, dass
       Notkürzungen im Staatshaushalt notwendig sein könnten, um die finanzielle
       Lage zu stabilisieren. Reeves, die vor den Wahlen großen Respekt genoss,
       hatte eigentlich das Vereinigte Königreich in das „Business-freundlichste
       Land“ mit den höchsten Wachstumsraten unter den G7-Industrienationen
       verwandeln wollen. Problematisch waren für Reeves von Anfang an
       Versprechen, die Steuern „arbeitender Menschen“ nicht zu erhöhen, also
       weder die Lohnsteuer noch die Sozialabgaben oder die Mehrwertsteuer. Als
       sie stattdessen in ihrem Staatshaushalt im November die Sozialabgaben der
       Arbeitgeberseite erhöhte und die Erbschaftssteuer auf kleinere
       Agrarbetriebe ausweitete, erntete sie Zorn.
       
       Außerdem hatte sie die allgemeine Heizkostenbeihilfe für Rentner:innen
       abgeschafft, was sich die Konservativen nie getraut hatten. Und sie lehnte
       Hilfen für Frauen ab, die von der Heraufsetzung des gesetzlichen
       Rentenalters im Jahr 2018 finanziell betroffen waren, obwohl Labour das vor
       den Wahlen versprochen hatte.
       
       Ihre Ausgabenpläne setzten Wirtschaftswachstum voraus, aber da es das nicht
       gibt und weil Reeves auch versprochen hat, sich strengen finanziellen
       Regeln zu unterwerfen, kann von ihr auch keine Erhöhung der Staatsschulden
       durch neue Anleihen erwartet werden. Deswegen dürfte der Rotstift bei
       bereits genehmigten Ausgaben angesetzt werden. Eine neue Sparpolitik war
       nicht, was die Brit:innen erwarteten, als sie 2024 Labour an die
       Regierung wählten.Unter Beschuss steht die Regierung nun vor allem von weit
       rechts. X-Besitzer und Trump-Berater Elon Musk hat sich auf die britische
       Labour-Regierung eingeschossen und sich hinter den antii-islamischen
       Rechtsextremisten Stephen Yaxley-Lennon aka Tommy Robinson gestellt, indem
       er Robinsons Lieblingsthema der „Grooming Gangs“ aufgriff.
       
       ## Zur Vergewaltigung angeboten
       
       Gemeint sind damit Männergangs, die sich in zahlreichen kriselnden
       nordenglischen Städten mit weißen Mädchen aus prekären Verhältnissen und
       oft in staatlicher Obhut anfreundeten, um sie dann als
       Vergewaltigungsobjekte anzubieten. Über 50 Männer sind über die Jahre
       inzwischen wegen dieser Verbrechen hinter Gitter gewandert. In Rotherham,
       Rochdale, Huddersfield und Oldham waren dies überwiegend Personen mit einem
       pakistanischen Hintergrund.
       
       Im Mai 2024 gab die damalige konservative Regierung bekannt, man habe
       allein in den vergangenen 12 Monate 550 Verdächtige festgenommen und 4000
       Opfer finanziell unterstützt. Eine siebenjährige umfassende unabhängige
       Untersuchung war 2022 zu dem Schluss gekommen, es habe wohl „Tausende“
       Opfer gegeben und die zuständigen Behörden hätten sich mehr um ihren
       eigenen Ruf, als um den Opferschutz gekümmert.
       
       Denn neben der ethnisch spezifischen Sachlage in den genannten Städten war
       dort eines der Merkmale, dass die für die Sicherheit der Kinder zuständigen
       Gemeindebehörden und Polizeidienste die Gangs gewähren ließen – aus Angst,
       als rassistisch angesehen zu werden. Die meisten betroffenen Gemeinden sind
       Labour-regiert. Wo ethnische Zugehörigkeit vermerkt ist, sind laut Polizei
       zwar 83-85 Prozent aller Straftäter in „Grooming-Fällen“ weiße Briten –
       aber das schließt Gangs mit ethnischen Merkmalen nicht aus und bestätigt
       aus Sicht der Rechten nur, dass man vor nichtweißen Tätern die Augen
       verschließe.
       
       Da Starmer als britischer Generalstaaatsanwalt 2008 bis 2013 für einige der
       Fälle in Nordengland zuständig war, begann Musk, ihn auf X zu beschimpfen.
       Es folgte eine politische Schlammschlacht: Die Konservativen verlangten
       eine neue Untersuchung, die Regierung wies das zurück, mit dem Argument, es
       werde für die Opfer länger dauern, bis sie Gerechtigkeit erführen. Am
       Montag brach schließlich die Labour-Abgeordnete für Rotherham Sarah
       Champion, die sich seit über zehn Jahren für die Opfer einsetzt, mit der
       Parteilinie und forderte ebenfalls eine neue Untersuchung.
       
       15 Jan 2025
       
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