# taz.de -- Die Wahrheit: Zehklagen mit Zwischenhalt
       
       > Auf Fahrten mit der Deutschen Bahn muss man bekanntlich mit allem rechnen
       > – sogar mit mangelnder Duchblutung.
       
       Immer ist irgendwas mit der Bahn, jawoll. Auf meiner Zugreise von der
       beschaulichen Fachwerkstadt Bad Harzburg, wo ich mit einem guten Freund ein
       beschauliches Spa-Wochenende verbrachte, in die beschauliche Fachwerkstadt
       Berlin, wurde zum Beispiel mein linker großer Zeh kalt.
       
       Ich will hier nicht sagen, dass eine ganze Ader verstopft war, mein Leid
       braucht keine Übertreibungen, aber eine kapitale Kapillare war es ganz
       sicher. You had one job würde man im Englischen sagen, denn schließlich
       wurde diese Kapillare durch Millionen Jahre Evolution eigens dafür
       geschaffen, Blut und Wärme in diesen Zeh zu transportieren. Und nicht im
       passabel geheizten ICE einfach ihren Geist aufzugeben.
       
       Dabei trug ich sogar Schuhe! Und das ist nicht immer der Fall, denn, ja:
       Ich ziehe in der Bahn gerne mal die Schuhe aus. Das nehme ich mir raus,
       weil ich korrespondierend nur frisch geduscht Zug fahre. Sollte mich also
       jemand ob eines durch das Abteil wabernden üblen Geruchs on the spot
       setzen, auch das sagt man im Englischen, kann ich diese indirekte
       Anschuldigung leichtfüßig von mir weisen.
       
       Zur Not biete ich selbstsicher noch ein kurzes, rein platonisches
       Schnüffeln an den Füßen an, bevor ich den schlechten Geruch dann
       triumphierend auf die Bordtoilette oder den angegammelten Topos der von
       Boomern auf Zugreisen angeblich immer verzehrten hartgekochten Eier
       schiebe, den drei Reihen weiter hinten jemand vermeintlich Lustiges gerade
       in seine Notiz-App tippt.
       
       Wobei Bahnfahrende ja Leid gewohnt sind und außerdem: Bei jedem One- oder
       Tonight- Stand teilt man bereitwillig Bett und den eigenen verschwitzten
       gauloisevermufften Körper, da kann mir keiner erzählen, schuhlos in der
       Bahn wäre so schlimm.
       
       Mein Zeh war auf jeden Fall weiterhin kalt, begann nun sogar, ein bisschen
       zu stechen. Ich sah es schon mit mir zu Ende gehen. Bewegen wollte ich mich
       trotzdem nicht. An meinem Zeh zu reiben kam mir arg erklärungsbedürftig
       vor. Und mein Kälteempfinden zu überlisten, indem ich mir einen warmen Ort
       nur für meinen Zeh vorstellte, kam nicht infrage. Denn dem körperlichen
       Rest von mir war ja nicht kalt – und Schwitzen wollte ich nicht riskieren.
       
       Gerade stellte ich meine Überlegungen ein, da merkte ich: Der Zeh war
       wieder warm! Das allerdings stellte ihn vor ein neues Problem: Mein Fuß
       ging nun ins Schwitzen über. Schuhe ausziehen ging nicht, schließlich
       entsprachen meine Füße nicht mehr meiner Definition von frisch geduscht.
       Ich würde also einen Schweißfuß bis Berlin Hauptbahnhof und dann, aufgrund
       der höheren Verdunstung als Folge des Schweißfußes, einen Kaltfuß bis in
       die Dusche zuhause erdulden müssen. Mit der Zugfahrt hatte das wenig zu
       tun, aber es bleibt doch noch mal festzuhalten: Mit mir war alles in
       Ordnung. Aber irgendwas ist wirklich immer mit der Bahn.
       
       15 Jan 2025
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ernst Jordan
       
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