# taz.de -- Anders liberal sein
       
       > Fehlt dem Liberalismus der Sinn für soziale Gerechtigkeit? Judith N.
       > Shklars Werk zeigt, dass das nicht so sein muss. Ein kleines Buch führt
       > konzise in ihr Werk ein
       
       Von Till Schmidt
       
       Liberale Ideen stehen überall unter Druck. Für die meisten Autoritären ist
       der Antiliberalismus nicht nur Ausdruck eigener Ressentiments oder
       rhetorische Strategie. Die Verachtung des demokratischen Rechtsstaats steht
       vielmehr im Zentrum ihrer politischen Vision. Dort, wo der Liberalismus vor
       allem ein Zerrbild ist, geraten in der Regel nur seine besonders schrillen
       Varianten in den Blick: Liberalismus wird dann meist mit Libertarismus in
       eins gesetzt.
       
       Vielen Strängen liberaler Theorie fehlt tatsächlich ein Sinn für Fragen
       sozialer Gerechtigkeit sowie für die Gewalt, die Menschen einander antun
       können. Das Werk von Judith N. Shklar zeigt jedoch, dass ein Blick für
       genau diese Themen die Grundlage für eine eigenständige Form des
       Liberalismus bilden kann. „Liberalismus der Furcht“, hat die
       US-amerikanische Politologin ihr Konzept genannt.
       
       Obwohl hierzulande weitgehend unbekannt, gilt Judith N. Shklar (1928–1992)
       als eine der wichtigsten liberalen TheoretikerInnen des 20. Jahrhunderts.
       Auf Deutsch sind ihre Schriften bei Matthes & Seitz erschienen. Mit „ad
       Judith N. Shklar“ haben Hannes Bajohr und Rieke Trimçev nun eine Einführung
       in das Werk von Shklar veröffentlicht. Darüber hinaus erzählt das Buch die
       Fluchtgeschichte der jüdisch-lettischen Emigrantin und von ihrem steinigen
       Weg in der US-amerikanischen Academia.
       
       Shklars Liberalismus geht es weniger um positive Hoffnungen, als um die
       Vermeidung eines höchsten Übels: „Dieses Übel ist die Grausamkeit und die
       Furcht, die sie hervorruft, und schließlich die Furcht vor der Furcht
       selbst“, schreibt die Theoretikerin 1989. Für Bajohr und Trimçev steht
       Shklars Denken weniger für eindeutige politische Handlungsanweisungen als
       eher für eine „Methode, politische Urteilskraft zu entwickeln“.
       
       Zentral sei dabei ein Bewusstsein für die Verletzlichkeit von Personen und
       die Fragilität von Institutionen. Der Liberalismus der Furcht ist daher
       hellhörig für die Stimmen von Marginalisierten, hält am Individuum als
       Ausgangspunkt politischer Erfahrungen fest und misstraut Gemeinschaften.
       
       In diesem Sinn versuchen Bajohr und Trimçev Shklars Denken auch für
       aktuelle Debatten über Identitätspolitik, Klimawandel und
       Staatsbürgerschaft in Einwanderungsgesellschaften fruchtbar zu machen. Das
       überzeugt im Detail nicht immer. Insgesamt aber ist „ad Judith N. Shklar“
       ein unbedingt lesenswertes Buch.
       
       24 Aug 2024
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Till Schmidt
       
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