# taz.de -- Die Wahrheit: Sei die manifestierte Nudel
       
       > Oder das Nudelmanifest – ein neuer Psychotrend greift um sich: mit Pasta
       > die Gedankenwelt empowern.
       
       Eine wunderbare Heiterkeit hat meine ganze Seele eingenommen, gleich den
       süßen Frühlingsmorgen, die ich mit ganzem Herzen genieße. Gut, das war
       jetzt nur der erste Satz, und er ist außerdem praktischerweise geklaut,
       nämlich aus dem Blindtext (Sie wissen nicht, was das ist? Ein Text, der
       nicht sehen kann) dieser Zeitung.
       
       Aber die Richtung stimmt schon mal: Ich denke positiv. Glaubt man den
       neuesten Mental-Trainer-Guru-Wesen (er/sie/es), sind es nämlich meine
       Gedanken, und nur die, die die Welt bewegen. Also in meine Richtung. Ich
       muss sie nur „manifestieren“. Also, äh, die Gedanken jetzt, nicht die Welt.
       Die bewegt sich schließlich von selbst. Oder, Moment, doch am Ende nur
       durch meine Gedanken? Kann ich die Welt auch anhalten? Augenblick,
       verweile! Ich probiere das mal.
       
       Ah, na gut, funktioniert nicht. Glück gehabt! Also weiter im Text. Durchs
       Manifestieren sollen Wünsche präzise ausgedrückt und visualisiert werden,
       als wären sie bereits Realität: Einen begehrten Parkplatz unmittelbar vor
       der Haustür finden, die Traumfrau (sie/ihn) erwerben oder die begehrte
       Deutsche Meisterschaft ergattern – all das angeblich im Handumdrehen.
       
       Aber ist diese Methode tatsächlich wirksam?, fragt zum Beispiel jedenfalls
       so ähnlich der Stern unter einem Video zum Thema, das dann lediglich
       meldet: „Es tut uns leid, aber der Inhalt kann nicht abgespielt werden.“
       Dabei habe ich mir das so sehr gewünscht, ja, geradezu vorgestellt, das
       Video sehen zu können! Ich habe es doch so gut visualisiert! Hm, so einfach
       scheint das alles doch nicht zu gehen mit dem Manifestieren. Irgendetwas
       fehlt da noch, eine Spezialzutat vielleicht, so etwas wie – exactamente:
       Nudeln.
       
       Denn genauso titelte neulich die Brigitte. Unter der Überschrift „Pasta,
       Pasta! Überraschend neue Nudel-Ideen“ kam auch gleich die Schlagzeile:
       „Psycho-Trend Manifestieren. Wenn das Wünschen wieder hilft“. Wenn das
       Freud noch lesen könnte!
       
       ## Quatsch mit Soße
       
       Tatsächlich ist #manifesting ein Megatrend, er trendet einfach überall, im
       ganzen weltweiten Netz, da hat sich in Silicon Valley oder bei der Telekom
       wirklich jemand einmal voll was gewünscht. Perfekt geschminkte, normschöne
       junge Frauen normerzählen von den atemberaubenden Erfolgen, die sie durch
       die Praxis des Manifestierens erzielt haben: Mit dieser Methode rücken
       sämtliche Lebensträume in greifbare Nähe und überhaupt wird alles möglich …
       Wenn da nur die nudellose Realität nicht wäre.
       
       Denn natürlich geht es nicht darum, sich einen Zweitwagen zu wünschen oder
       ein Date mit Ed Sheeran (wir/ihr/sie) oder gar den Weltfrieden, sondern es
       geht darum, die Zukunft zu einem besseren Kimono zu machen. Ah nein, schon
       wieder falsch! Ort! Ort. Ort ist das Wort. Die Zukunft zu einem besseren
       Ort machen. So. Oder ist das mit der Zukunft eh nur Quatsch mit Soße?
       „Überraschend neue Nudel-Ideen“ können, so nicht nur die Trendzeitschrift
       Brigitte, einen Ausweg aus den Polykrisen der Jetztzeit zeigen. Nudeln sind
       nämlich der neue Kaffeesatz: Einfach mal gut hochkochen und im Sieb nach
       Bedeutung fischen.
       
       Polykrisen! Wat et nich allet so jibt heutzutage! Ja, schauen wir mal dem
       Netzvolk aufs Maul: „Ich persönlich manifestiere schon seit 30 Jahren in
       Intervallen von rund 10 Jahren. Dabei sind alle notierten Wünsche Realität
       geworden“, schreibt zum Beispiel HansimGlück24 auf chefkoch.de und mit
       demselben Wortlaut – muss was mit Proklamation zu tun haben – auf
       habenichtmehralleaufderpfanne.org. Ein Eso-Emo findet: „Ich wünsche mir das
       micky maus und super mario zu mir kommt und wohnt.“ Kein Problem, man muss
       nur wollen! Und zwar feste!
       
       ## Scarlet Rigatoni
       
       Also manifestieren auch wir mal lustig drauflos. Wünsche aufschreiben,
       Wasser aufsetzen, salzen, zur Rigatoni-Packung greifen, reinschütten,
       kochen lassen. Zum Sieb greifen, ausschütten, abtropfen lassen, fertig. Man
       muss sich das Pasta-Festessen nur manifeste genug vorstellen, dann klappt
       das auch! Sieht das eine Rigatono nicht schon wie Scarlett Johannson aus?
       Siehste, Rotkäppchen, Märchen können doch wahr werden. Du kannst mich jetzt
       übrigens wieder loslassen.
       
       Aber jetzt mal Butter bei die Nudeln, damit die nicht so kleben. Wie geht
       das wirklich, dieses Manifestieren, und was passiert, wenn das Objekt
       meiner Begierde sich gleichzeitig etwas anderes wünscht, zum Beispiel,
       nichts mehr mit mir zu tun zu haben?
       
       Da wäre zuerst die Visualisierung: Der Vorgang des Manifestierens beginnt
       damit, sich das Gewünschte so konkret wie möglich vorzustellen. Das Tor,
       das ich im EM-Finale für Deutschland schieße, obwohl ich gar nicht
       nominiert bin. Das Liebesgeständnis, das mir die eine aus der Buchhaltung
       macht. Das Pferd, dem ein Einhorn wächst. Die Arschkrampe von Chef, der
       eines Morgens umkommt, weil jemand in seinem klapprigen Fiat eine Autobombe
       installiert hat. Ach, die Wünsche können so endlos und mannigfaltig sein!
       
       Dann käme die Proklamation: Des Weiteren gehört zum Manifestieren meistens
       auch ein Sprechakt: Das Gewünschte soll laut artikuliert (oder alternativ
       auf ein Stück Papier aufgeschrieben) und ständig wiederholt werden – und
       zwar nicht einfach als ein unerfülltes Bedürfnis, sondern im Sinne einer
       Proklamation, welche den Besitz des Gewünschten schon antizipiert.
       
       ## Ich werde reich
       
       Und schließlich, wir kennen das von dem Uralt-Trend Autosuggestion, die
       Suggestion: Die Manifestierenden versuchen sich so zu fühlen und zu
       verhalten, als ob sie die erbetenen Güter bereits erhalten hätten – oder
       besser: Sie leben im Bewusstsein, dass ihr Wunsch bereits Wirklichkeit
       geworden ist.
       
       Und dann braucht es noch etwas Parmesan.
       
       Aber jetzt mal ernsthaft, Leute, was soll das alles? Wollt ihr wirklich
       alles haben, was ihr euch wünscht? Heißt das System dahinter nicht
       Kapitalismus? Schön immer was wünschen und dann nichts bekommen, aber immer
       gut weiter danach streben? So läuft das auch mit der Manifestation. Gut,
       hier und da werden Erfolge kommen – ganz so wie im echten Leben. Wenn da
       immer nur Nieten gezogen werden, hat man schließlich auch keine Lust mehr
       irgendwann und wählt AfD oder macht sonst was Schlimmes.
       
       Eigentlich ist Manifestation nämlich gar nicht so gut. Nach ungefähr Freud
       bedeutet Manifestation nämlich die Erkennbarwerdung von latenten
       Erkrankungen. Oje, Schmerz! Aus Sicht der Psychoanalyse bezeichnet
       Manifestation das Auftreten von körperlichen oder geistigen Störungen als
       Ausdruck verdrängter Komplexe. Haha, gotcha!
       
       Da lieber einfach bei den Nudeln bleiben. Glaubt einfach weiter an das
       Spaghettimonster. Das wird euch den Weg schon weisen. Amen.
       
       22 Jun 2024
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) René Hamann
       
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