# taz.de -- Hungerstreik für das Klima: Eine Woche Aufschub
       
       > Die Hungerstreikenden in Berlin geben sich und dem Bundeskanzler nun eine
       > Woche mehr Zeit, indem sie erstmal wieder Säfte trinken.
       
 (IMG) Bild: Klimaaktivist:innen im April vor dem Kanzleramt, 2. v.l. Wolfgang Metzeler-Kick
       
       Im Invalidenpark in Berlin, der zwischen dem Wirtschafts- und dem
       Verkehrsministerium liegt, spielten sich in diesen Tagen dramatische Szenen
       ab. Dort hungern vier Menschen für eine konsequentere Klimapolitik. Einer
       von ihnen, Wolfgang Metzeler-Kick, bereits mehr als 90 Tage. [1][„Hungern
       bis ihr ehrlich seid“] heißt die Streikaktion.
       
       Am vergangenen Montag kündigten zwei der Hungerstreikenden an, dass sie im
       Laufe der Woche auch in den „trockenen Hungerstreik“ treten wollten, also
       fortan nichts mehr trinken würden, sofern ihrer Forderung an den
       Bundeskanzler nicht nachgekommen werde. Aber es kam anders. Auf der
       Pressekonferenz am Donnerstag verkündeten sie, dass sie sich selbst und
       Olaf Scholz eine Woche Aufschub geben. Metzeler-Kick und ein zweiter
       Aktivist, Adrian Lack, unterbrachen den absoluten Hungerstreik und tranken
       wieder Säfte.
       
       Die Aktivisten fordern vom Kanzler, dass er in einer Regierungserklärung
       die wissenschaftlich gestützten Tatsachen über die Erderwärmung ausspricht.
       Etwa jene, dass die derzeitige Klimapolitik in die Klimakatastrophe führt,
       weil viel zu viel CO2 in der Luft ist. Sie wollen, dass Scholz die
       Bevölkerung nicht länger glauben lässt, man hätte noch einen Zeitpuffer, in
       dem man weiterhin bedenkenlos CO2 emittieren könne, und mit ein paar
       Anpassungsmaßnahmen wie höheren Deichen könne man alles schon noch unter
       Kontrolle halten.
       
       Dabei sei doch schon jetzt nichts mehr unter Kontrolle, wie man an den
       Überschwemmungen in Süddeutschland sehe.
       
       ## Eine düstere Stimmung
       
       Ende der vorvergangenen Woche war der 49-jährige Metzeler-Kick, der am
       längsten hungert, noch optimistisch, hoffte, dass der Kanzler den Tod der
       Hungerstreikenden nicht riskieren würde. Mitte dieser Woche hieß es dann:
       „Ich halte alles für möglich.“ Vonseiten des Kanzlers war immer wieder zu
       hören, die Aktivisten sollten die Aktion beenden; er lasse sich nicht
       erpressen.
       
       Über das Zeltcamp legte sich im Laufe der Woche eine düstere Stimmung.
       Zumal Metzeler-Kick einen Kreislaufkollaps hatte und ins Krankenhaus
       eingeliefert worden war. Kaum stabilisiert, ging er zurück ins Camp. Er war
       entschlossen, den Hungertod zu riskieren. Wenn die Klimakatastrophe ein
       Leben auf dem Planeten schier unmöglich mache, sagte er, wenn Hungersnöte,
       Dürren, Überschwemmungen, gewaltsame Konflikte die Zivilisation zerstörten,
       dann möchte er nicht mehr leben.
       
       Titus Feldmann, ein weiterer Hungerstreikender, sagte das Gleiche. Beide
       möchten lieber alles getan haben, um das zu verhindern, selbst in
       Anbetracht ihres möglichen Tods.
       
       ## Von Beckett lernen?
       
       Metzeler-Kick und Feldmann sind Ingenieure wie übrigens auch ein dritter
       Hungernder. Der vierte hat Mathematik studiert. Metzler-Kick hatte schon
       zuvor bei unzähligen Aktionen des zivilen Ungehorsams zum Schutz des Klimas
       mitgemacht. Er war bei [2][Parents for Future] und bei [3][Scientist
       Rebellion], war bei Aktionen von [4][Extinction Rebellion] dabei und bei
       denen der [5][Letzten Generation]. Gefragt, ob es nicht wie im Sinne
       Becketts die größere Herausforderung wäre, „wieder etwas zu versuchen,
       wieder zu scheitern, besser zu scheitern“, weil er lebend doch mehr
       erreichen könne als tot, antwortete er: „Wenn ich hiermit scheitere, mache
       ich nichts mehr.“ So oder so.
       
       Diesen Donnerstag nun sollte verkündet werden, wer damit aufhören würde,
       auch zu trinken – was in zwei bis drei Tagen zum Tod geführt hätte. Aber
       die Hungerstreikenden geben sich Aufschub. Drei hungern weiter, nehmen aber
       Wasser und Säfte, Elektrolyte und Vitamine zu sich, um irreparablen
       Schädigungen vorzubeugen. Zu ihnen gehört auch Adrian Lack, der letzthin
       nur noch Wasser zu sich genommen hat. Lack ist zudem im Redestreik. Erst
       wenn der Bundeskanzler sich an ihn wende, wolle er wieder sprechen.
       
       Den Aufschub gewähren die Männer, wie sie sagen, um Olaf Scholz die
       Möglichkeit einzuräumen, sich in dieser Woche mit ihnen in Verbindung zu
       setzen. Es gehe ihnen auch darum, dem vom Kanzler vorgebrachten Vorwurf der
       Erpressung zu begegnen. Zu Recht wollen sie nicht, dass der totale
       Hungerstreik ohne Flüssigkeit, den sie bereit sind einzugehen, nur als
       weitere erpressende Eskalationsstufe beschrieben wird.
       
       Denn allenthalben habe der Vorwurf der Erpressung im Raum gestanden – auch
       in den Medien. Juristisch aber ist, was die Hungerstreikenden tun, keine
       Erpressung, denn sie schaden dem Bundeskanzler nicht und drohen ihm auch
       keinen Schaden an. Wenn jemand zu Schaden kommt, dann sie selbst. Der
       Hungerstreik übe aber [6][„moralischen Druck“] aus, sagt eine
       Protestforscherin. Die Hungerstreikenden halten sich zugute, wie auf der
       Pressekonferenz auch deutlich wird, dass es ihnen gelungen ist, ein
       erweitertes Bewusstsein für die Risiken des Klimawandels unter vielen
       Medienschaffenden erreicht zu haben. Und auch der Slogan „Sei ehrlich!“
       setzt sich durch. Immer wieder prangt er, schnell hingesprüht, am
       Kanzleramt oder am Willy-Brandt-Haus.
       
       ## 30 Kilo abgenommen
       
       Der Aufschub des absoluten Hungerstreiks hat zu einem Aufatmen geführt,
       nicht nur im Camp. Allerdings werden gleich darauf von der Boulevardpresse
       neue Zweifel gesät, nämlich jene, dass alles [7][bloß Fake gewesen] sei.
       Gerade so, als gierten manche Medien in erster Linie nach dem öffentlichen
       Sterben.
       
       Wolfgang Metzeler-Kick hat in den 90 Tagen seines Hungerstreiks 30 Kilo
       abgenommen. Er behält sich weiter vor, zurück in den Hungerstreik zu gehen,
       nach Ablauf der Woche.
       
       Bis dahin geht er ins „Refeeding“, nimmt Säfte und wenig feste Nahrung zu
       sich. Spindeldürr ist er, überhaupt schlackern allen Hungerstreikenden die
       Klamotten am Leib. Auf der Pressekonferenz am Donnerstag wollte ein
       Journalist wissen, wie er sich fühlte, als er den Kreislaufkollaps hatte.
       Er habe sich, meint er, schon gefragt: „War’s das jetzt?“
       
       8 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://hungern-bis-ihr-ehrlich-seid.de/
 (DIR) [2] https://www.parentsforfuture.de/de/
 (DIR) [3] https://scientistrebellion.org/
 (DIR) [4] https://extinctionrebellion.de/
 (DIR) [5] https://letztegeneration.org/
 (DIR) [6] https://utopia.de/news/ist-hungerstreik-erpressung-protestforscherin-ordnet-ein_689944/
 (DIR) [7] https://www.bz-berlin.de/berlin/mitte/wie-echt-ist-dieser-hungerstreik
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Waltraud Schwab
       
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