# taz.de -- Somalia zerfällt noch weiter: Puntland strebt nach Unabhängigkeit
       
       > Die autonome Region Puntland sagt sich von Somalias Zentralmacht in
       > Mogadischu los. Hintergrund ist ein Streit um die somalische Verfassung.
       
 (IMG) Bild: Puntlands Präsident Said Abdullahi Deni in seiner Hauptstadt Garowe bei der Einführung in seine zweite Amtszeit, 25. Januar 2024
       
       Berlin taz | Ein Ansinnen von Somalias Präsident Hassan Shekih Mohamud,
       seine Macht auszuweiten, geht nach hinten los. Die Regierung der autonomen
       Region Puntland im Nordosten Somalias [1][erklärte am Ostersonntag ihren
       Rückzug aus Somalias föderalen Institutionen] und öffnete damit die Tür zur
       zweiten Sezession einer Region von Somalia nach Somaliland, das seit 1991
       ein eigener Staat ist.
       
       Am Vortag hatte das Parlament in Somalias Hauptstadt Mogadischu eine
       [2][Verfassungsänderung] beschlossen, die Präsident Hassan Sheikhs Macht
       deutlich stärkt. Die Amtszeit des Präsidenten wird von vier auf fünf Jahre
       verlängert – dies betrifft auch seine eigene seit 2022 laufende Amtszeit –
       und der Präsident kann den Premierminister selbst berufen und entlassen.
       Somalias Regionen wie etwa Puntland haben hingegen in Zukunft keine eigenen
       „Präsidenten“ mehr, sondern nur noch „Führer“. Am weitesten geht, dass der
       Präsident in Zukunft vom Volk und nicht mehr vom Parlament gewählt wird.
       
       Für Somalia ist das eine Revolution. Seit Militärdiktator Siad Barre 1991
       von Rebellen gestürzt wurde, die sich hinterher zerstritten, hat Somalia
       keinen funktionierenden Staat mehr. Im Norden des Landes entstand die
       „[3][Republik Somaliland]“, im Rest des Landes wechselten sich machtlose
       Machthaber ab und es tobte entweder Bürgerkrieg oder eigene
       Regionalregierungen entstanden, so 1998 der „[4][Staat Puntland]“.
       
       2012 erhielt Somalia eine föderale Verfassung, die theoretisch alle
       Regionen zu Bestandteilen eines föderalen Somalia erklärte, mit indirekten
       Wahlen auf Ebene der einzelnen somalischen Clans. Dies sollte
       gewährleisten, dass sich alle Machtzentren des Landes vertreten fühlen.
       Aber Somaliland machte von Anfang an nicht mit, im Süden Somalias herrschte
       weiter Krieg und es gelang nicht, den Staat wiederaufzubauen.
       
       ## Startschuss zur Sezession
       
       [5][Hassan Sheiks Wahl 2022] verschob die Macht im föderalen Staatswesen
       zurück zum im Mogadischu dominanten Clan der Hawiye, dessen Milizenführer
       in den 1990er Jahren das Land ins Chaos gestürzt hatten. Kritiker sehen in
       seinen Bestrebungen zur Zentralisierung der Macht das Ziel eines auf
       Mogadischu ausgerichteten Hawiye-Machtmonopols.
       
       Mit der Verfassungsreform, [6][so die Autonomieregierung von Puntland],
       hätten die Institutionen in Mogadischu die Übergangsverfassung von 2012
       „aufgekündigt und zugleich durch eine neue Verfassung mit Hintergedanken
       ersetzt“. Indem die Verfassung von 2012 aufgehoben sei, gelte in Puntland
       nun allein die dortige Regionalverfassung von 2009. Diese ermächtige die
       Region, selbstständig mit internationalen Partnern in Austausch zu treten
       sowie Schritte zur Unabhängigkeit vorzubereiten, falls in Somalia insgesamt
       keine Einigung über ein föderales System bestehe und „Instabilität und
       Krieg in anderen Teilen Somalias endlos weitergehen“.
       
       Dieser Startschuss zur Sezession ist besonders brisant, da sich [7][Somalia
       und Somaliland aktuell am Rande eines Krieges] befinden. Somaliland hatte
       zum Jahreswechsel Äthiopien Zugang zu seinen Häfen gewährt, wogegen Somalia
       heftig protestiert und um Militärhilfe in Ägypten und der Türkei gebeten
       hat.
       
       Somaliland und Puntland bilden außerdem gemeinsam die Südküste des Golfs
       von Aden, gegenüber von Jemen. Seit Beginn des Gazakriegs greifen Jemens
       Huthi-Rebellen den internationalen Schiffsverkehr in der Region an und
       [8][internationale Marinekräfte, unter anderem aus Deutschland, sind
       dagegen im Einsatz]. Ohne Einbeziehung von Somaliland und Puntland ist
       diese wichtigste Handelsroute zwischen Asien und Europa nicht zu
       stabilisieren.
       
       1 Apr 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://twitter.com/Plstatehouse/status/1774447705529446477
 (DIR) [2] https://thesomalidigest.com/hassan-sheikhs-new-constitution-ushers-somalia-into-uncharted-territory/
 (DIR) [3] https://somalilandgov.com/
 (DIR) [4] https://en.wikipedia.org/wiki/Puntland
 (DIR) [5] /Neuer-Praesident-in-Somalia/!5852525
 (DIR) [6] https://twitter.com/Plstatehouse/status/1774447705529446477
 (DIR) [7] /Kriegsgefahr-am-Horn-von-Afrika/!5979826
 (DIR) [8] /EU-startet-neuen-Marineeinsatz/!5990412
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dominic Johnson
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Somalia
 (DIR) Somaliland
 (DIR) Unabhängigkeit
 (DIR) Somalia
 (DIR) Terrorismus
 (DIR) Schwerpunkt Nahost-Konflikt
 (DIR) Afrobeat
 (DIR) Afrika im Wettbewerb globaler Mächte 
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Somalia unter Schock: Blutbad am Strand
       
       In Mogadischu sterben bei einem Selbstmordanschlag 37 Menschen. Regierung
       macht die islamistischen Shabaab-Rebellen verantwortlich.
       
 (DIR) Islamistischer Terror in Somalia: 32 Tote bei Angriff auf Strandgäste
       
       In Mogadischu haben Islamisten am Freitag ein Hotel und einen Strand
       attackiert. Die Kämpfe zwischen Polizei und Angreifern dauerten bis zum
       Samstagmorgen an.
       
 (DIR) EU startet neuen Marineeinsatz: Grünes Licht im Roten Meer
       
       Die EU-Marineoperation „Eunavfor Aspides“ soll Angriffe von Jemens
       Huthi-Rebellen abwehren. Deutschland will bis zu 700 Soldaten entsenden.
       
 (DIR) Jemen, Huthis und der Kolonialismus: Seewege schützen reicht nicht
       
       Internationales Militär will die Seewege zwischen Europa und Asien
       schützen. Eine Wiederherstellung der Staaten Somaliland und Südjemen sollte
       folgen.
       
 (DIR) Journalismus in Somalia: In den Händen der Clans
       
       Somalia gilt als eines der korruptesten Länder in der Welt, freie Wahlen
       gelten als utopisch. Das Leben im Land als Journalist ist gefährlich.