# taz.de -- Ausgehen und rumstehen von Cara Hofmann: Donnerstagmittag, Samstagabend, alles wie fast immer
       
       Es ist ein sonniger Donnerstagmittag, als ich mich zur U-Bahn-Station
       Görlitzer Bahnhof aufmache, ich muss noch beim DHL-Briefkasten vorbei.
       Während ich laufe, frage ich mich, wann ich das letzte Mal einen Brief
       verschickt habe, der nichts mit Verträgen zu tun hatte. Als Kind habe ich
       aus dem Urlaub Postkarten verschickt an Freund*innen und Verwandte.
       Heutzutage schickt man Urlaubsfotos auf Whatsapp oder, unpersönlicher,
       durch einen Post auf Instagram. Ich denke an die Postkarten, die in meinem
       WG-Zimmer an der Wand hängen – Erinnerungsstücke gekauft an Orten, die ich
       im Kopf behalten möchte.
       
       Der Brief, in dem ein Vertrag steckt, ist eingeworfen und ich gehe weiter
       zur U-Bahn-Station. Die Straßenführung ist am Görlitzer Bahnhof vor allem
       für Fußgänger bescheiden, man muss im Zickzack einige Ampeln und
       verschiedene Verkehrsinseln überqueren, um von einer Straßenseite zur
       Station zu gelangen. Heute sind alle Ampeln grün, was mich irritiert. Fast
       so sehr, wie wenn in Berlin ein Fußgänger bei Rot tatsächlich stehen
       bleibt.
       
       Am Halleschen Tor steige ich aus, dort warten die einsame Matratze und der
       rostende Einkaufswagen, alles wie immer. Nach dem fünfminütigen Fußweg bin
       ich am Willy-Brandt-Haus angekommen. Ich besuche die Ausstellung von
       Dietmar Riemanns Fotografien. Er hielt in den 1970er und 1980er Jahren die
       eher unbekannteren Facetten der DDR fest, wie Altenpflegeheime,
       ausgestorbene Schaufenster und leere Ostberliner Hinterhöfe. Zwei Frauen
       laufen neben mir durch die Ausstellung, sie analysieren die Farben der
       Fotografien und die dargestellten Kontraste. Als ich einige Minuten später
       wieder im Hörbereich ihres Gespräches bin, sind sie etwas abgeschweift: „So
       anstrengend, wenn man dann mit der Hand am Gesicht posen will, Instagram
       ist so gestellt!“ Als ich ein drittes Mal vorbeikomme, sie stehen vor den
       Bildern der verlassenen Hinterhöfe, sagt die eine gerade: „Und das ist so
       krass, ich habe eine Freundin, die umarmt ihre Eltern einfach gar nicht!“
       Von Hinterhöfen zu Eltern, das ist ein hohes Level der Abstraktion.
       
       Nachts verlasse ich spät die Wohnung einer Freundin, es ist 4.10 Uhr und
       ich stehe mit meiner Begleitung an der S-Bahn-Station Wollankstraße.
       „Vielleicht fahren die Bahnen doch nicht mehr so regelmäßig, wie ich
       dachte.“ Sagt er mit Blick auf die Anzeige, wir müssen 20 Minuten warten.
       Ein Mann betritt den sonst menschenleeren Bahnsteig und läuft auf uns zu.
       „Hi, stört euch, wenn ich kurz …“ er hebt seine Hand, in der er eine
       Sprühdose hält. Wir verneinen amüsiert und er beginnt die Tafel hinter ihm
       silbern zu besprühen. Wir verfallen zurück in unsere Unterhaltung und
       vergessen unseren nächtlichen Mitstreiter. Als er fertig ist, die Tafel ist
       nun geschmückt mit Buchstaben, kommt er nochmal grinsend zu uns zurück und
       gibt uns die Faust.
       
       Samstagabend hat sich dann in unserer WG-Küche eine kleine Menge gebildet,
       wie das manchmal so passiert in WG-Küchen. Eine Mitbewohnerin hat
       Freund*innen da, eine andere ihre Schwestern. Es gibt Aperol, Wein und
       Käsestangen in großen Mengen, Ernährungsberater*innen würden in
       Schockstarre verfallen. „Kommt, wir gehen feiern!“, sagt einer. „Aber
       wohin?“, die Frage des Abends. Handys werden gezückt, Instagram, Facebook,
       Google werden zu Rate gezogen und ein euphorisches Spiel des freien
       Assoziierens gespielt. „Brettspielbar!“, „70er-Party!“ „Twister!“ Hier in
       Kreuzberg gibt es eine Veranstaltung, auf die man sich lose einigt, einige
       trinken einen stärkenden Kaffee. Meine Freund*innen sind da, die Gruppe
       beginnt langsam, sich auszudünnen. „Ich gehe nach Hause“, der Satz wird
       immer mal wieder in den Raum geworfen. Die Mitbewohnerin verzieht sich mit
       ihren Schwestern in ihr Zimmer, „um eine Serie zu schauen“, natürlich
       schlafen sie stattdessen. Zuletzt sind es meine Freund*innen und ich, die
       sich auf den Weg durch die Kreuzberger Straßen machen, und so läuft es dann
       doch wieder wie fast immer.
       
       12 Mar 2024
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Cara Hofmann
       
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