# taz.de -- Rutschiger Ausflug: Wenn Umkehren vernünftig wäre
       
       > Dieses enge Flusstal zum Ursprung der Isar wollte unser Autor immer schon
       > mal hoch. Das E-Mountainbike der Freunde stand bereit. Und dann?
       
 (IMG) Bild: Achtung Rutschgefahr: Mit dem Rad unterwegs auf Schnee und Eis
       
       Dieses Gefühl, wenn sich ein (Hinter-)Teil von dir selbstständig macht. Und
       zur Seite wegdriftet. Wenn das Ganze die Stabilität verliert und du dich
       rasend schnell dem rechten Rand näherst. Und wenn du hilflos dagegen bist,
       wie alles in die Schieflage kippt. Dann ist hier etwas ins Rutschen
       geraten.
       
       Dieses Hier und Jetzt lag für mich kurz hinter der österreichischen Grenze.
       Keine historische Anspielung, nur ein Kurzurlaub auf der Suche nach
       Schneeresten für meine Langlaufski. Aber an dieser Theorie der globalen
       Erwärmung ist anscheinend doch was dran. Jedenfalls waren die meisten
       Loipen grün oder braun (wieder keine Anspielung). Und dieses enge Flusstal
       zum Ursprung der Isar wollte ich immer schon mal hoch. Das E-Mountainbike
       der Freunde stand bereit.
       
       Aus dem Fahren wurde eine Erfahrung. Am Beginn war alles einfach und schön:
       Die Technik an diesem Wunderfahrrad funktionierte einwandfrei, die Sonne
       lachte frühlingshaft, der Weg war klar, das Ziel vor den Augen. Der Belag
       auf der Forststraße wechselte von Asphalt zu Schotter, wurde zu Schlamm,
       ich trat und kurbelte weiter, auch wenn es spritzte und klatschte.
       
       Die ersten vereisten Flächen auf der Straße wurden elegant umkurvt. Es
       wurde steiler, die Sonne verschwand. Im Schatten krochen die Eispanzer auf
       den Weg. Noch war die Straße teilweise gestreut. Vorsichtig ging es voran,
       immer auf der Suche nach festem Boden unter den Rädern.
       
       ## Umkehren wäre vernünftig
       
       Dann: knietiefer Schnee mit einer schmalen Fahrspur, die Straße aus blankem
       Eis. Links der Berg, rechts der Abgrund in den eiskalten Fluss. Tja. Es sah
       so aus, als müsste auch diese Expedition abgebrochen werden.
       
       Wenn Sie an die menschliche Vernunft glauben, lesen Sie jetzt bitte nicht
       weiter. Denn selbstverständlich wäre es das einzig Vernünftige gewesen
       umzukehren. Aber etwas in mir dachte: Was kommt da hinter der nächsten
       Kurve? Eine Bruchlandung? Wird schon schiefgehen.
       
       Mein Körper stand unter Spannung, mein Hirn hatte frei. Trotzdem kam mir
       plötzlich der Fachbegriff hoch: Pfadabhängigkeit. Dreißig Jahre [1][Umwelt-
       und Wirtschaftspolitik] auf einen harten Sattel gepresst: Ich war auf
       diesem Holzweg, und ich machte immer weiter und weiter, obwohl es schon
       lange gefährlich wurde.
       
       ## Ich machte trotzdem einfach weiter
       
       „Risiken sind nur dornige Chancen“, sagte der Neoliberale in mir. Alles an
       meinem Verhalten erinnerte an den Kurs Richtung Abgrund, den der globale
       Kapitalismus hinlegt: eine Technik, die begeistert, aber dazu verführt,
       sich zu überschätzen. Die Vorstellung, es gehe immer nur aufwärts. Der
       Drang, immer weiter zu gehen, statt mit der sonnigen Bank auf halber
       Strecke zufrieden zu sein. Die Einbildung, alles sei gut, so lange die
       Maschinerie quietscht und knirscht, auch wenn sie dich mit Schlamm und
       Dreck bewirft.
       
       Die Ahnung, dass die Katastrophe genau da kommt, wo man sich sicher fühlt.
       Und dieses flaue Gefühl im Magen, wenn die Dinge dann wirklich ins Rutschen
       geraten. Auf diesem einsamen und vereisten Weg auf zwei schmalen Reifen
       fühlte ich mich plötzlich wie beim Lesen des [2][IPCC-Bericht]s.
       
       Und das Schlimmste: Ich machte trotzdem einfach weiter. Bis zum Ziel. Und
       zurück. Unfallfrei. Mit mehr Glück als Verstand. Und mit einer kleinen
       Hilfe: dem E-Motor des Mountainbikes. Natürlich im Modus „Eco“.
       
       11 Feb 2024
       
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