# taz.de -- Größter Justizirrtum Großbritanniens: Hoffen auf Gerechtigkeit
       
       > Über 700 Postmanager wurden der Geldunterschlagung verdächtigt. Ein
       > fehlerhaftes Computerprogramm war daran schuld.
       
 (IMG) Bild: Der Post-Skandal wird heute als der größte Justizirrtum in der britischen Geschichte gehandelt
       
       London taz | Sie gehörten lange zu den vertrauten Menschen im Leben vieler
       Brit:innen, ob nun in Großstädten wie London oder Manchester oder in kleine
       Dörfern: die Manager:innen britischer Postämter der Royal Mail.
       
       Wie auch in Deutschland [1][wurden die Postämter in Großbritannien zwischen
       2013 und 2015 privatisiert]. Ihre Zuständigkeit ging weit über Brief- und
       Paketversand hinaus. Bis heute kann man hier z.B. Stromrechnungen bezahlen
       oder auch Pässe und Führerscheine beantragen. Auch Renten- Pflege- und
       Arbeitslosengelder werden hier Woche für Woche ausgezahlt. Dazu gibt es
       Angebot an Schreibwaren und Zeitungen.
       
       1999 aber war es mit dem guten Ruf dieser Postoffice-Submaster, wie die
       Postmanager im Englischen genannt werden, vorbei. Plötzlich galten sie als
       Gauner und Diebe, die angeblich versuchten, sich durch ihre Stellung zu
       bereichern. Denn zunehmend verschwanden große Geldbeträge in den
       Postämtern. Und verdächtigt wurden selbstverständlich zuerst die
       Postmanager.
       
       ## Über 700 Verurteilungen, Privatinsolvenzen, Suizide
       
       Mehr als 700 von ihnen wurden angezeigt und verurteilt. Zahlreiche von
       ihnen verloren dadurch sogar ihre Bleibe oder mussten Privatinsolvenz
       anmelden, so hoch waren die verschollenen Beträge.
       
       Viele der Manager verstanden nicht, was da geschah, doch sie hatten ihre
       Vermutungen. Denn diese Vorgängen begannen, als die Royal Mail vor mehr als
       20 Jahren ein neues IT-Programm namens Horizon einführte, dass extra für
       die britischen Postämter vom japanischen Großunternehmen Fujitsu entwickelt
       worden war. Eine kleine PC-Fachzeitschrift namens Computer Weekly begann
       bereits 2009 zu berichten, dass das Horizon-System ihnen nicht ganz koscher
       vorkam. Die Journalisten blieben an der Geschichte dran und machten ihre
       Vermutungen immer wieder öffentlich.
       
       Doch es sollte sehr lange dauern, bis man ihren Warnungen Glauben schenkte
       und den geschassten Manager:innen glauben wollte. Für viele war es ein
       langer, mühsamer Weg zur Gerechtigkeit. Einige hatten sich aus Scham wegen
       der Vorwürfe selber das Leben genommen. Andere versuchten, Die Royal Mail
       wollte ihren Manager:innen langen keinen Glauben schenken. Auch
       verantwortliche Politiker:innen nahmen das Thema lange nicht ernst
       genug. Etwas, das heute diesen Verantwortlichen, darunter Ed Davey, dem
       heutigen Parteichef der Liberaldemokrat:innen, vorgeworfen wird.
       
       ## Größter Justizirrtum in der britischen Geschichte
       
       Doch inzwischen ist klar, dass es nicht etwa die Postmanager:innen
       waren, die sich etwas zuschulden hatten kommen lassen. Schuld war vielmehr
       ein Fehler im System von Fujitsu. Der Skandal wird heute als der größte
       Justizirrtum in der britischen Geschichte gehandelt. So kam es auch zu
       einer öffentlichen Untersuchung, die bis heute noch nicht abgeschlossen
       ist.
       
       Die wichtigsten Fragen dabei sind die nach einer adäquaten Entschädigung
       der Betroffenen und nach dem Zeitpunkt, ab dem der Royal Mail klar wurde,
       dass hier ein Systemfehler vorlag.
       
       Die Auszahlung der Entschädigungssummen lief bisher viel zu langsam. Bis
       jetzt hat die britische Regierung erst 138 Millionen Pfund (etwa 160
       Millionen Euro) Schadensersatz an über 2700 Kläger:innen ausgezahlt.
       
       ## TV-Serie zu Weihnachten macht Tragödie landesweit publik
       
       Trotz der dazu erschienen Enthüllungen in Zeitungen und TV-Dokumentationen
       scheint erst eine TV-Serie nach Weihnachten den Brit:innen die
       persönlichen Aspekte der Tragödie wirklich vor Augen geführt zu haben. Das
       Schicksal der Postmanager wurde so zum Thema Nummer eins der britischen
       Innenpolitik. Bisher wurden nur 93 der über 700 verurteilten Manager für
       unschuldig erklärt, nur 30 von ihnen sahen ihre Klage auf Entschädigung als
       erfüllt und beendet.
       
       Am Mittwoch verkündete die britische Regierung, man werde umgehend alle
       Betroffenen entschädigen, dafür stünden mehr als eine Milliarde Pfund
       bereit. Zusätzlich werde ein Gesetz verabschiedet, das die Unschuld der
       Verurteilten bestätige. Die Tatsache, dass einige wenige von ihnen
       eventuell tatsächlich unehrliche Menschen seien, die von der Gesetzgebung
       profitieren könnten, werde man zugunsten der Mehrheit der zu Unrecht
       Beschuldigten in Kauf nehmen.
       
       ## Viele Fragen bleiben bislang offen
       
       Allerdings bleiben Fragen offen. Das Horizon-Programm von Fujitsu läuft –
       in korrigierter Form – weiterhin in den Postdienststellen. Fujitsu macht
       damit also weiterhin Gewinn. Da die Software mittlerweile jedoch veraltet
       ist, soll möglichst bald ein neues System eingeführt werden.
       
       Von Fujitsu erstellte Programme laufen jedoch nicht nur bei der Royal Mail,
       sondern auch in anderen Regierungsämtern. Viele Brit:innen meinen, dass
       sich Fujitsu das Recht auf weitere Geschäfte verspielt hat. Paula Vennels,
       Geschäftsführerin der Royal Mail zwischen 2012 und 2019, hat inzwischen
       nach immer lauter werdenden Protesten versprochen, ihren Verdienstorden
       zurückzugeben.
       
       13 Jan 2024
       
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