# taz.de -- Prozess wegen Baumängeln in der Türkei: Nur ein scheinbarer Prachtbau
       
       > Beim Erdbeben in der Türkei vor einem Jahr starben tausend Menschen, auch
       > wegen Baumängeln. Nun beginnt der erste große Prozess gegen
       > Verantwortliche.
       
 (IMG) Bild: Die Überreste des Isias-Hotels in Adiyaman
       
       Istanbul taz | Am Mittwochvormittag begann in Adiyaman ein erster großer
       Prozess wegen Baumängeln an einem Hotel, durch dessen Zusammenbruch 72
       Menschen starben. Es geht um das ehemalige Isias-Hotel im Zentrum von
       Adiyaman, das während des Erdbebens am 6. Februar 2023 in wenigen Sekunden
       in sich zusammensackte und die Hotelgäste unter den Trümmern begrub.
       
       Unter den Gästen war eine große Gruppe von SchülerInnen aus Nordzypern, die
       zu einem Volleyball-Turnier in die Türkei gekommen waren. 26 von ihnen
       starben, die jüngste war zehn Jahre alt. Viele Eltern waren zum
       Prozessauftakt nach Adiyaman gekommen. Vor dem Gericht hielten sie Schilder
       mit Bildern ihrer toten Kinder hoch.
       
       Rusen Karakay, eine der Mütter, sagte gegenüber der dpa: „Jeder, der das
       Grand Isais Hotel gebaut hat, ist schuldig.“ Das sieht die zuständige
       Staatsanwaltschaft ähnlich. Schon [1][wenige Tage nach dem Erdbeben] wurde
       der Besitzer und Betreiber des Hotels, Ahmet Bozkurt, festgenommen. Zehn
       weitere Personen sind nun angeklagt, darunter der Architekt des Bauwerks.
       
       Bozkurt und der Architekt sitzen gemeinsam mit drei weiteren Personen in
       Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen bewusste, fahrlässige
       Tötung vor. Die Angehörigen, die im Prozess als NebenklägerInnen auftreten,
       fordern dagegen eine Anklage wegen mutmaßlichen Vorsatzes. Das würde höhere
       Strafen bedeuten. Das zehn Jahre alte Hotel soll erhebliche Baumängel
       aufgewiesen haben.
       
       ## Vom Prachtbau zum Trümmerberg
       
       Ein Gutachten kommt beispielsweise zu dem Schluss, es sei minderwertiger
       Beton verwendet worden – offenbar zur Kostenersparnis. Nach den von der
       Staatsanwaltschaft vorgelegten Anklage droht den Betroffenen eine maximale
       Strafe von 22 Jahren Haft.
       
       Am Mittwoch wurde der Bauherr und Hotelbesitzer per Video aus dem Gefängnis
       vom Gericht befragt. Er bestritt jegliche Schuld. Das Hotel sei
       entsprechend allen Vorschriften gebaut worden, behauptete er.
       
       Der Prozess wird wahrscheinlich bis einschließlich Freitag andauern. Wegen
       der großen öffentlichen Bedeutung und der relativ eindeutigen Beweislage
       rechnen die meisten Beobachter damit, dass das Gericht zumindest ein Teil
       der Angeklagten verurteilt. In einem weiteren Prozess sollen dann auch die
       Mitarbeiter der zuständigen Baubehörde, die das Hotelprojekt genehmigt
       haben, angeklagt werden.
       
       Videos vor dem Erdbeben zeigen das 4-Sterne-Hotel Grand Isias im Zentrum
       von Adiyaman in seiner scheinbaren Pracht. Der Bau aus Beton und Glas, mit
       Konferenzsälen und Spa-Bereich gaukelte Luxus und Solidität vor. Ein Video
       unmittelbar nach dem Beben zeigt dann die Überreste davon: einen
       Trümmerberg. Die Gebäude unmittelbar neben dem Hotel blieben hingegen
       stehen – ein Indiz für die nun recherchierten Baumängel.
       
       ## Die Verantwortung der Behörden
       
       Auch an vielen anderen vom Erdbeben betroffenen Orten bot sich im Februar
       2023 ein ähnliches Bild: zusammengestürzte Häuser, in deren unmittelbarer
       Nachbarschaft alles stehen blieb. Die [2][Debatte um Baumängel begann
       direkt im Anschluss an das Erdbeben] und hält bis heute an.
       
       Schon bei dem großen Beben am Marmarameer 1999 hatte es ähnliche Vorfälle
       und Debatten gegeben. Damals waren einige wenige Bauherren quasi als
       Sündenböcke verurteilt worden, um die Debatte wieder zu beruhigen. Auf dem
       Papier erließ die Regierung dann schärfere Bauvorschriften, die Schutz vor
       Erdbeben bieten sollten. Sicherzugehen, dass sich Bauunternehmer daran
       halten, obliegt der jeweiligen kommunalen Bauaufsicht. Deshalb wird es
       spannend, ob auch Behördenvertreter zur Rechenschaft gezogen werden.
       
       Die meisten Städte der vom Erdbeben im letzten Jahr betroffenen Region im
       Südosten der Türkei wurden und werden von Vertretern [3][der regierenden
       AKP kontrolliert]. Inwieweit die betroffenen AKP-Rathäuser tatsächlich
       aufklären, ob bei Baugenehmigungen geschoben wurde, bleibt fraglich. Zumal
       im März dieses Jahres in allen Kommunen der Türkei neu gewählt wird.
       
       3 Jan 2024
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Gottschlich
       
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