# taz.de -- Krieg in der Ukraine: Kein Konflikt, aber Spannungen
       
       > Wie ist die Lage der Ukraine an der Front? Präsident Wolodimir Selenski
       > und der Oberbefehlshaber der Armee sind sich nicht einig.
       
 (IMG) Bild: Ein von einer russischen Drohne getroffenes Auto nahe Donezk
       
       Berlin taz | Die vergangene Woche war nicht gerade leicht für die
       militärische und politische Führung der Ukraine. Zum ersten Mal seit Beginn
       der großen russischen Invasion diskutiert die ukrainische Öffentlichkeit
       aktiv über die innenpolitischen Spannungen, die man schon fast als offenen
       Konflikt bezeichnen könnte.
       
       Im Zentrum stehen Präsident Wolodimir Selenski und [1][Armeechef Walerij
       Saluschnyj]. Beide Männer haben breite Unterstützung in der Bevölkerung und
       sind für die Ukrainer Symbole im Kampf gegen die russische Aggression. Doch
       im 21. Kriegsmonat haben sie unterschiedliche Vorstellungen davon, wo die
       ukrainische Armee steht. Was wiederum an die Öffentlichkeit gedrungen ist
       und zu Gerüchten über Risse im Verhältnis der beiden geführt hat.
       
       Auslöser dafür war [2][ein Artikel von Saluschnyj] am 1. November im
       Economist. Darin schreibt der Armeechef, die Kampfhandlungen hätten sich zu
       einem Stellungskrieg entwickelt, der bald zu einer Pattsituation und am
       Ende zur Erschöpfung einer der Seiten führe – und zwar wahrscheinlich nicht
       der russischen. Darum müsse die ukrainische Armee technologisch besser
       ausgerüstet werden. Er bitte die Verbündeten um Unterstützung der
       ukrainischen Luftstreitkräfte.
       
       Dies sowie sein Eingeständnis, das Tempo der ukrainischen Gegenoffensive
       falsch eingeschätzt zu haben, war für viele eine kalte Dusche. Offenbar
       auch für das Präsidialamt, wie man an Selenskis Reaktion erkennen konnte.
       „Das ist keine [3][Pattsituation]. Wir haben Probleme und unterschiedliche
       Meinungen, aber wir haben kein Recht, die Hände in den Schoß zu legen“,
       sagte Selenski.
       
       ## Entlassung per Dekret
       
       Denn: „Was wäre die Alternative? Auf ein Drittel unseres Landes zu
       verzichten? Damit ist nichts vorbei. Wir wissen, was ein eingefrorener
       Konflikt ist. Wir müssen bei der Luftverteidigung mehr mit unseren Partnern
       zusammenarbeiten und unseren Soldaten die Möglichkeit geben, in die
       Offensive zu gehen.“
       
       Die Spannungen verschärften sich, als Selenski wenig später einen
       hochrangigen Kommandeur ohne Rücksprache per Dekret entließ und sich damit
       quasi in Saluschnyjs Verantwortungsbereich einmischte. Damit wurde das
       Gerücht befeuert, Selenskyj wolle Saluschnyj nicht nur unter Druck setzen,
       sondern ihn selbst feuern.
       
       Und auch wenn es aktuell keine eindeutigen Anzeichen für einen Rücktritt
       des Armeechefs gibt, sorgt diese Situation für Unruhe. Gerüchte über einen
       möglichen Konflikt der beiden tauchen seit Frühjahr 2022, als der Armeechef
       durch seine Erfolge an der Front das absolute Vertrauen und die Sympathie
       der Ukrainer gewonnen hat, immer wieder auf.
       
       Tatsächlich ist General Saluschnyj derzeit der Einzige, der im Falle von
       Präsidentschaftswahlen, über die immer häufiger gesprochen wird, mit
       Selenski konkurrieren könnte. Gleichzeitig hat Walerij Saluschnyj bereits
       mehrfach politische Ambitionen bestritten. Seit Februar 2022 hat er nur
       zweimal Interviews gegeben – für die westliche Presse. Und obwohl er die
       Konkurrenz des populären Saluschnyjs spürt, weiß Selenskyj, dass er dessen
       militärisches Genie braucht.
       
       ## Zwei Ziele
       
       Ukrainische Politolog:innen vermuten, dass Saluschnyj mit dem Artikel
       im Economist zwei Ziele verfolgt haben könnte. Entweder war dies seine
       einzige Möglichkeit, Selenski über die reale Lage an der Front zu
       informieren, denn direkt will der nichts von einer Pattsituation hören.
       Oder der General wollte seine Autorität nutzen, um die Lieferung der
       benötigten Waffen zu beschleunigen.
       
       Möglicherweise hatte Saluschnyj diesen Schritt nicht mit dem Präsidialamt
       abgestimmt, was auf Kommunikationsprobleme zwischen den beiden
       Schlüsselfiguren in der Ukraine hindeutet. Außerdem könnte Selenskis
       Verärgerung daher rühren, dass sich jemand mit großer Autorität in seine
       internationale Kommunikationsstrategie eingemischt hat.
       
       Dennoch haben sowohl Selenski als auch Saluschnyj nach wie vor das Ziel,
       den Krieg mit einem ukrainischen Sieg zu beenden. Aber angesichts der
       Kriegsmüdigkeit der Bevölkerung, der langsamen Fortschritte der
       ukrainischen Armee, der Ungewissheit über die künftige militärische
       Unterstützung durch die Partner und der schwindenden Aufmerksamkeit
       angesichts des Krieges im Nahen Osten sind solche besorgniserregenden
       Signale über interne Konflikte nicht das, was die Ukraine im Moment
       braucht.
       
       12 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Ukrainische-Armee/!5882843
 (DIR) [2] https://www.economist.com/europe/2023/11/01/ukraines-commander-in-chief-on-the-breakthrough-he-needs-to-beat-russia
 (DIR) [3] /Nach-fuenf-Monaten-Gegenoffensive/!5968261
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anastasia Magasowa
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Wolodymyr Selenskij
 (DIR) Armee
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Ukraine-Konflikt
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Selenskyjs Jahrespressekonferenz: Vage, aber nichts beschönigt
       
       Manches war befremdlich in Selenskyjs Jahrespressekonferenz. Die Lage ist
       angespannt. Die Hoffnung auf ein positives Signal aus Washington bleibt.
       
 (DIR) Krieg in der Ukraine: Lang und zermürbend
       
       Die Gegenoffensive der Ukrainer hat nicht den erhofften Erfolg gebracht.
       Dennoch lehnt eine Mehrheit der Bevölkerung Verhandlungen und Kompromisse
       mit Russland ab.
       
 (DIR) EU-Jurist über Ukraine-Ermittlungen: „Es ist ein fortlaufender Prozess“
       
       Ladislav Hamran weiß als Eurojust-Präsident, wie die Ermittlungen zu
       Kriegsverbrechen in der Ukraine laufen: Sie sind eine besondere
       Herausforderung.
       
 (DIR) Nach fünf Monaten Gegenoffensive: „Pattsituation“ in der Ukraine
       
       Der höchste General der Ukraine zieht eine schonungslose Bilanz der
       Offensiven zur Befreiung besetzter Gebiete. Aber es gibt auch Erfolge.
       
 (DIR) Gegenoffensive der Ukraine: Sie nimmt Form an
       
       Die Vorbereitungen auf einen ukrainischen Gegenangriff schreiten voran. Und
       Russlands Militär? Streitet intern und setzt zunehmend auf Verteidigung.
       
 (DIR) Ukrainische Armee: General des Glücks
       
       Er ist das Gesicht des militärischen Erfolgs der Ukraine. Oberbefehlshaber
       Walerij Saluschnyj. Er hat die Armee modernisiert und neu aufgestellt.