# taz.de -- Kinos nach der Pandemie: Mit Subway in die Sneak
       
       > Sie sind dunkel, klebrig und teuer. Ein Essay über die Liebe zum Kino und
       > warum es nicht sterben darf.
       
 (IMG) Bild: Die Seherfahrung im Kino formt uns als soziale Wesen: Kinositze im Admiralkino in Wien
       
       Das Kino war schon immer ein Zufluchtsort für mich. Als Teenager verkroch
       ich mich vor den Sorgen zu [1][Hause ins Multiplex]. Ein Ort, den man mit
       den Öffis erreichen konnte, gegen den die Eltern keinen Einwand hatten, wo
       man sich mit Freunden treffen konnte. Ein dunkler Raum, der unabhängig von
       dem Geschehen draußen existiert. Ein Saal, in dem die Realität
       verschwindet.
       
       In meiner Abizeit entdeckten wir die Sneak Peak. Jede Mittwochnacht gingen
       wir in einen zufälligen Film für 5 Euro, der schon vor dem Kinostart
       gezeigt wurde. Davor kauften wir genügend Alk, manchmal schmuggelte ich ein
       Sandwich von Subway rein.
       
       Um 23 Uhr war das Kino voll, die Leute kamen aus dem ganzen
       Main-Taunus-Kreis. Aus der Sneak wurde ein kulturelles Event, wir im Saal
       hatten Insider. Wenn im Film jemand ans Telefon ging, schrie der ganze Saal
       „Wazzup“, wie in „Scary Movie“.
       
       Jeden Mittwoch in die Sneak zu gehen, öffnete meinen Horizont für neue
       Genres und Filme, die ich sonst nie geschaut hätte – „Maudie“ oder „The
       Autopsy of Jane Doe“ zum Beispiel. Ich schaute Kunstfilme, Melodramen,
       Horrorfilme. Dann kam die Pandemie.
       
       Von da an zog ich mir irgendwelche Sachen auf Streamingdiensten rein. Ich
       legte mich ins Bett, ging dieselben 20 Filme auf Netflix durch, entschied
       mich für einen Film, nur um nach fünf Minuten wieder auszuschalten. Weil
       mir ein anderer Film gefallen könnte. Abende, an denen ich mehr Zeit
       verbrachte, einen Film zu finden als einen Film zu schauen. Durch
       Binge-Watching hoffte ich zu vergessen, dass außerhalb der Wohnung eine
       Pandemie wütete. [2][Meinen Zufluchtsort Kino gab] es nicht mehr.
       
       ## Verformung auf dem Sofa
       
       Die Pandemie zeigte mir meine ganz persönliche Dystopie: Sie gab mir einen
       Vorgeschmack auf eine Zukunft, in der es keine Kinos mehr gibt, wie seit
       über zehn Jahren gewarnt wird.
       
       Klar fragen sich viele, warum sie ins Kino gehen sollen, wenn der Film
       einige Wochen später auf Disney+ zu sehen ist und eine Karte plus Popcorn
       20 Euro kostet. Für dasselbe Geld kann man auf Netflix hundert Filme sehen.
       
       Aber die Seherfahrung im Kino formt uns als soziale Wesen. Auf dem Sofa
       verformen wir nur. Im Kino sitzen um mich herum Dutzende Leute, die das
       Gleiche tun, fühlen und sogar denken. Nach dem Film reden wir, verstehen
       Zusammenhänge, erfahren die Meinung anderer, reflektieren Eindrücke. Kino
       ist wie Unterricht in sozialem Miteinander.
       
       [3][Also sollten Kinos] nicht rentabel sein müssen. Sie sollten frei sein
       von finanziellen Nöten, das Populäre genauso wie das Schöne zeigen. Theater
       könnten das Vorbild sein. Sie werden durch staatliche Mittel gefördert,
       weil erkannt wurde, dass die Theaterkultur unbezahlbar ist.
       
       Für Kinos sollte Gleiches gelten, damit sie ein Ort bleiben, an dem
       Menschen sozial und kulturell reifen können.
       
       26 Oct 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Kommunalkino-von-Schliessung-bedroht/!5963804
 (DIR) [2] /KI-in-Filmen-und-Romanen/!5938582
 (DIR) [3] /Russland-und-das-Kino-aus-dem-Westen/!5953814
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Oğulcan Korkmaz
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Utopie
 (DIR) Kinokultur
 (DIR) Fast Food
 (DIR) Schließung
 (DIR) Teenager
 (DIR) Pandemie
 (DIR) Kolumne Alles getürkt
 (DIR) Barbie
 (DIR) Hollywood
 (DIR) Kino Berlin
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Kinobesuch mit meiner kleinen Tochter: Die Popcorn-Lektion
       
       Polternde Jugendliche waren drauf und dran, den Kinobesuch mit meiner
       Tochter Hatice zu versauen. Doch sie hatten die Rechnung ohne Hatice
       gemacht.
       
 (DIR) Kinosterben durch „Barbie“-Film: Untergang in Pink
       
       Der Blockbuster-Film „Barbie“ von Greta Gerwig knackt alle Rekorde. Doch
       damit ist er nicht die Rettung, sondern der Tod des Kinos.
       
 (DIR) Streik der Schauspieler Gilde: Drama in Hollywood
       
       Die Frist für Einigung ist abgelaufen. Die Konsequenz: Die Schauspieler
       Gilde empfiehlt einen Streikaufruf.
       
 (DIR) Tarifkonflikt bei den Yorck-Kinos: Arbeiten wie im falschen Film
       
       Die Tarifauseinandersetzung zwischen den Yorck-Kinos und Verdi ist
       eskaliert. Ab Montag soll im Schlichtungsverfahren Klaus Lederer
       vermitteln.