# taz.de -- Die Wahrheit: Atemlos durch die Dolomiten
       
       > Wenn man sich im Gebirge beim Hinauf- und Herabkraxeln älter fühlt als
       > das Gestein, dann wird es Zeit für den „Kinoschritt“. Ein Selbstversuch.
       
       Ich war in den Dolomiten unterwegs. Es ist eine elende Quälerei dort. Und
       oben ist die Luft echt dünn. Ich war dabei immer der Dritte. Vor mir
       wanderten meine Lebensgefährtin und Freund und Wanderführer Martl. Sie
       warteten von Zeit zu Zeit auf mich, kam ich dann aber atemlos heran,
       drehten sie sich, zwei Schritte bevor ich sie erreichte, wortlos um und
       schritten weiter voran.
       
       Was dazu führte, dass ich nun allein am Wartepunkt zurückblieb, wodurch
       sich der Abstand noch weiter vergrößerte, denn wenn ich nach 20 schwer
       gepumpten Atemzügen ihnen hinterhereilte, waren sie weiter voraus denn je.
       Es war ein Elend.
       
       Der Dolomit an sich ist ein Stein und ganz früher war er ein Riff. Wer
       einst auf die Dolomiten steigen wollte, musste zu ihnen tauchen. Da wo
       heute eine Gemse läuft, lauerte damals ein Hai. Wo die Muräne in
       Felsspalten steckte, pfeift heute das Murmeltier. Wobei das Murmeltier
       einen Warnpfiff ausstößt, wenn sich Gefahr nähert. Sie pfiffen auch bei
       mir.
       
       Manche Steigungen in den Dolomiten sind über Stufen zu erklimmen, einige
       davon waren so hoch wie ich lang. Manche Passagen waren komplett geröllig.
       Martl sprang die hinab, als sei er die Gemse. Älter als ich war hier
       wirklich nur das Gestein. An der nächsten gemeinsamen Rast flüsterte ich
       der Liebsten zu, wo mein Testament läge.
       
       ## Hüttentaxi zur Übernachtungshütte
       
       An Tag zwei führte Martl uns nach Aufstieg vom Pragser Wildsee zur
       Sennes-Hütte, von da steiler Abstieg zur Pederü. Er hatte dort für halb
       fünf ein Hüttentaxi zur Übernachtungshütte Fanes bestellt. Hätten wir das
       nicht erreicht, hätten wir 800 Meter in Dämmerung und Nacht aufsteigen
       müssen. Das wäre für mich einer Himalaya-Besteigung ohne Sauerstoff
       gleichgekommen. Mich endgültig demütigend, schmiss sich Martl meinen
       Rucksack auch noch über die Schulter: „Ich nehm den, vielleicht schaffen
       wir es dann noch.“
       
       Ich bin nur in der Lage, wirklich schnell zu gehen, wenn ein Kinofilm
       gleich anfängt. Diesen „Kinoschritt“ bin ich durchaus in der Lage etwa fünf
       bis sogar zehn Minuten lang durchzuhalten. Auf keinen Fall länger. Nun lief
       ich in meinem Kinoschritt geschlagene anderthalb Stunden von der Sennes bis
       zur Pederü hinab.
       
       In Sichtweite weiterer Hütten gab Martl mir kurz jeweils den Rucksack
       zurück, um die Blamage nicht öffentlich zu machen. Danach stürmte er mit
       beiden Rücksäcken voran und voran. In der vorletzten Kurve vor der Pederü,
       es war 16.14 Uhr, schmiss er meinen Rucksack zu Boden, lief los und rief:
       „Nimmst ihn! Ich bestelle drei Weizen. Des schaffen mir noch!“
       
       Ich griff meinen Rucksack und erreichte mit der meinen um 16.23 Uhr die
       Pederü. Martl saß am Tisch, grinsend, die Servicekraft brachte soeben drei
       Weizen. Ich zahlte für alle und trank. Nun endlich, bei dieser Form der
       Druckbetankung, ließ ich die beiden hinter mir zurück, ja ich konnte der
       meinen sogar noch helfen, ihr Weizen bis 16.30 Uhr pünktlich zur Abfahrt zu
       leeren. Geht doch!
       
       31 Oct 2023
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernd Gieseking
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kolumne Die Wahrheit
 (DIR) Wandern
 (DIR) Bergsteigen
 (DIR) Fitness
 (DIR) Reiseland Italien
 (DIR) Kolumne Die Wahrheit
 (DIR) Kolumne Die Wahrheit
 (DIR) Kolumne Die Wahrheit
 (DIR) Kolumne Die Wahrheit
 (DIR) Kolumne Die Wahrheit
 (DIR) Kolumne Die Wahrheit
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Die Wahrheit: Liebeskummer in the house
       
       Plötzlich sind sie ausgezogen. Nie mehr werden sie auf der Bank sitzen und
       Bier trinken. Und was werden die Neuen tun? Mögen sie Bier und Bänke?
       
 (DIR) Die Wahrheit: Anballersse
       
       Für manche mag es purer Kitsch sein, für Ostwestfalen ist das
       Lieblingsessen zu Weihnachten bei Muttern das reine Tor zur Glückseligkeit.
       
 (DIR) Die Wahrheit: In politischer Märchenhaft
       
       Wer wandelt denn da durch den großen dunklen Wald? Es sind der Olaf und die
       Saskia, Hänsel und Gretel auf der Suche nach der bösen Hexe Friedrich.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Hermann im Paradies
       
       Vater würde das Paradies zur Gänze vertäfeln – oder was einem noch durch
       den Kopf geht, hält man Zwiesprache mit dem eigenen Erzeuger an dessen
       Grab.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Katheter-Theater
       
       Wenn Paare streiten: Eines der wahrscheinlichsten häufigsten
       Beziehungsprobleme ist der unaufgeräumte Keller.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Finne dein Handy!
       
       Wie kann man nur so dämlich sein! Das Telefon in der Bahn liegen lassen!
       Ein atemberaubend dramatischer Bericht einer Lebensrettung.