# taz.de -- Zwangsräumungen in Berlin: Legale Menschenrechtsverletzung
       
       > Jedes Jahr werden in Deutschland zehntausende Menschen zwangsgeräumt.
       > Höchste Zeit, diese menschenunwürdige Praxis zu beenden.
       
 (IMG) Bild: Das Menschenrecht auf Wohnen ist in Deutschland weniger wichtig als das Recht auf Eigentum
       
       Lasst uns einen Moment vorstellen, wir würden in einer Welt leben, in der
       es ein Menschenrecht auf Wohnen gibt, ein Recht auf körperliche
       Unversehrtheit und auf einen angemessenen Lebensstandard. Zwangsräumungen
       wären grobe Menschenrechtsverletzungen, die auch als solche geahndet
       werden, und niemand würde mehr wegen unbezahlter Rechnungen auf der Straße
       landen. Idealistischer Quatsch? Von wegen!
       
       Denn tatsächlich gibt es all diese Rechte, das Recht auf Wohnen ist in der
       Europäischen Sozialcharta festgeschrieben, das Recht auf körperliche
       Unversehrtheit im Grundgesetz und das Recht auf angemessenen Lebensstandard
       in der UN-Menschenrechtscharta. Zwangsräumungen stellen also durchaus eine
       Verletzung von Menschenrechten dar – nur wird diese nicht geahndet.
       
       Warum das so ist, ist einfach zu erklären: Es gibt ein weiteres Recht, das
       all diesen Menschenrechten diametral gegenübersteht und das in
       kapitalistischen Staaten weitaus höher gewertet wird: das Recht auf
       Eigentum. Und das gibt Eigentümer*innen nicht nur das Recht, sondern
       auch die willkommene Gelegenheit, ihre Rendite saftig zu steigern, indem
       sie Menschen auf die Straße setzen. Denn nach der Zwangsräumung ist vor der
       Mieterhöhung. Und von diesem Recht machen Vermieter*innen nur allzu
       gern Gebrauch: Allein in Berlin kam es 2021 zu 1.668 [1][Zwangsräumungen],
       bundesweit waren es mehr als 29.000.
       
       Nun wäre es natürlich am besten, das Recht auf Eigentum einfach
       auszuhebeln, um den grundlegenden Menschenrechten wieder Geltung zu
       verschaffen und damit das ganze kapitalistische Ausbeutersystem gleich ganz
       außer Kraft zu setzen. Den [2][Betroffenen von Zwangsräumungen] helfen
       solche hehren, doch derzeit leider (noch) recht aussichtslosen Träumereien
       allerdings wenig. Doch was tun, um Zwangsräumungen zu verhindern?
       
       ## UN-Vorgaben werden nicht umgesetzt
       
       Nicht wenige, die aus ihrer Wohnung zwangsgeräumt werden, rutschen
       angesichts des Mangels an bezahlbarem Wohnraum in Berlin in die Wohnungs-
       oder gar Obdachlosigkeit. Angesichts des ausgegebenen Ziels des Senats,
       Wohnungslosigkeit [3][bis 2030 abzuschaffen], wäre die Verhinderung von
       Zwangsräumungen also durchaus im Interesse der Politik.
       
       Schon jetzt gibt es Vorgaben seitens der UN, dass etwa Staaten ihre Politik
       so ausrichten müssen, dass es gar nicht erst zu Zwangsräumungen kommt, dass
       diese nicht im Winter stattfinden sollen oder dass sie nicht zu
       Wohnungslosigkeit führen dürfen und den Betroffenen eine gleichwertige
       Wohnalternative in der Nähe der ursprünglichen Unterkunft zur Verfügung
       gestellt werden soll.
       
       Nichts davon wird in Berlin umgesetzt. Die [4][Verantwortlichen im Senat]
       verweisen hier gern auf den Mangel an Wohnraum in der Hauptstadt, gegen den
       sie vermeintlich nichts tun können. Abgesehen davon, dass es durchaus
       Instrumente gegen den Mietenwahnsinn gibt ([5][Enteignung] großer
       Immobilienunternehmen, [6][Besteuerung] überhöhter Mieten, [7][Marktsperre
       für Börsenkonzerne]), braucht es weitere, sozialpolitische Maßnahmen, um
       dafür zu sorgen, dass niemand mehr aus seiner oder ihrer Wohnung
       geschmissen wird.
       
       ## Prävention statt Räumung
       
       Denn oft sind Menschen von Zwangsräumungen betroffen, die sich in einer
       schweren Krise befinden. Die Kommunikation mit Vermieter*innen oder
       Ämtern stellt in dieser Situation für viele ein unüberwindliches Hindernis
       dar, Briefe werden einfach nicht mehr geöffnet, bis es zu spät ist. Hier
       braucht es aufsuchende Hilfsangebote, nach dem Motto: Keine Räumung ohne
       vorherige Beratungsangebote.
       
       Dass Räumungsbescheide in Berlin künftig in einem [8][Pilotprojekt] nur
       noch persönlich durch Justizbedienstete und Sozialarbeiter*innen
       zugestellt werden sollen, ist ein erster Schritt, reicht aber nicht aus.
       Wichtig wäre, vorher einzugreifen, damit es gar nicht erst so weit kommt –
       Prävention statt Eskalation also.
       
       Auch sollten Ämter nicht einfach so, ohne Kenntnis der Situation der
       Betroffenen, Leistungen streichen und damit die Menschen in die
       Wohnungslosigkeit treiben dürfen. Mietschuldenbedingte Kündigungen sollten
       bei Empfänger*innen von Sozialleistungen unmöglich sein. Zusätzlich
       braucht es einen [9][besseren Kündigungsschutz] sowie ein Verbot von
       Mieterhöhungen nach Zwangsräumungen.
       
       Instrumente zur Verhinderung von Zwangsräumungen und damit von
       Obdachlosigkeit und Menschenrechtsverletzungen gibt es also zuhauf, man
       muss nicht gleich das ganze System umstürzen – schaden würde das natürlich
       trotzdem nicht.
       
       22 Sep 2023
       
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