# taz.de -- Union Berlin in der Champions League: Erwachsener Auftritt
       
       > Ganz Madrid staunt über den kuriosen Tross aus Köpenick, der da zur
       > Königsklassen-Premiere gepilgert ist. Wie üblich gewinnt am Ende Real.
       
 (IMG) Bild: Tackling Diogo Leite – Real Madrids Rodrygo bekommt Unions Einsatzwillen zu spüren
       
       Madrid taz | Champions League rot-weiß – das hieß aus deutscher Sicht immer
       nur FC Bayern. Bis am späten Mittwochnachmittag eine entsprechend
       verkleidete Kolonie aus Köpenick am Champions-League-Ort schlechthin
       einfiel, dem Estadio Santiago Bernabéu von Real Madrid. Die einheimische
       Kundschaft reagierte einigermaßen verblüfft auf die neue Besucherspezies,
       die definitiv ein anderes Lärmvolumen an den Tag legte als die
       gewohnheitsrechtlich anreisenden Münchner.
       
       In einem überwältigenden Crescendo schmetterten die Gästefans ihr „Eisern
       Union“, eher hilflos pfiff der Rest des Stadions bisweilen gegen sie an.
       Wirklich lauter wurde er bloß einmal, bei Reals hausüblich spät getimtem
       1:0-Siegtor durch Jude Bellingham in der Nachspielzeit.
       
       Dabei waren natürlich auch in Madrid viele schon ansatzweise informiert
       [1][über diesen kuriosen Außenseiter aus dem Südosten Berlins]. Vor allem
       die Geschichte, wie die Anhänger mit eigenen Händen ihr Stadion bauten,
       fasziniert international. Ebenso, dass ein Stadtteilklub in der Hauptstadt
       des mächtigen Deutschland [2][den traditionsreicheren und
       investorengepimpten Nachbarn Hertha BSC] so gekonnt an der Nase herumführt
       und ihm durch den fulminanten Aufstieg aus der Zweiten Liga in die
       Champions League längst den Rang abgelaufen hat.
       
       Und ja, auch vom unangenehm zu spielenden Fußball der Combo von Urs Fischer
       hatten die meisten irgendwas gehört oder gelesen. Insofern gab es im
       Bernabéu dann Vintage-Union zu bestaunen. Als wegen des frühen Anpfiffs um
       18.45 Uhr noch Sonnenstrahlen durch die Ritzen der silbrigen Außenhülle des
       runderneuerten Fußballtempels fielen, als vor dem Gästeblock bei immer noch
       fast 30 Grad die Nerven wegen Einlassverzögerungen recht blank lagen und
       Fans beider Seiten in nicht zitierfähigen Beleidigungen aneinander
       vorbeischimpften, da brachte Union sein ganzes Standardrepertoire zur
       Aufführung.
       
       Die Fans sangen ihre größten Hits, und auf dem Platz baute die Fischer-Elf
       anfangs einen so formvollendeten Riegel auf, dass ihr Trainer die
       Darbietung später als „sehr erwachsen“ bezeichnete.
       
       ## Italienischer Betonmischer
       
       Union führte dabei allerdings auch ein neues Produkt im Sortiment:
       „Betonucci“. So taufte der Berliner Boulevard den grimmigen Abwehrhaudegen
       Leonardo Bonucci, der als stolzer Malocher bestens in die Mannschaft passt
       und außerdem noch seine bekannte Klasse im Aufbau und das Flair der großen
       Fußballwelt einbringt. Bei seinem ersten Einsatz für Union, aber gewiss
       nicht in der Champions League – da kam er vor dem Match auf fast so viele
       Partien wie der übrige Kader zusammen – brillierte er gleich als
       Abwehrchef.
       
       Auch ohne echte Sommervorbereitung nach seiner Ausbootung bei Juventus
       Turin zeigte er eine solche Präsenz, dass Nebenleute und Torwart mit jeder
       Minute mehr zu neuen Chiellinis und Buffons zu wachsen schienen.
       
       Wo Chiellini, 39, mittlerweile in Hollywood bei Los Angeles FC verteidigt
       und Buffon, 45, kürzlich dann doch mal die Handschuhe entsorgte, ist
       Bonucci, 36, ganz offenkundig nicht zur Frühverrentung nach Köpenick
       gekommen. Das demonstrierte er nicht nur in seinen Taten, mit der
       „gewünschten Erfahrung“, seiner „Spieleröffnung“ und „Antizipation“
       (jeweils Fischer) sowie einer makellos erfolgreichen Zweikampfbilanz ohne
       Fouls und manch heroischem Block.
       
       Sondern auch in Worten. „Unsere Werte sind, um jeden Ball zu kämpfen, und
       dass jeder für den anderen spielt“, erklärte er die Union-Fabel später
       seinen italienischen Landsleuten. Nur das mit dem Deutsch sei halt noch ein
       bisschen schwierig: „Für den Moment regeln wir es auf Englisch“.
       
       Ohne ihn aber konnte es am Mittwoch keiner mehr regeln. Reals Siegtor nach
       zuvor schon besten Chancen (Latte Rodrygo, Pfosten Joselu) fiel, nachdem
       Talisman Bonucci in der 80. Minute angeschlagen vom Feld musste – auf
       eigene Veranlassung, wie Fischer eilig betonte. Bellingham staubte nach
       diversen Karambolagen just aus der Zone direkt vor dem Tor ab, die Bonucci
       zuvor immer so entschlossen gesäubert hatte.
       
       Das 1:0 restaurierte zugleich die angestammte Ordnung zwischen
       Rekordtitelträger und Debütant. Die Fußballwelt ist noch nicht ganz aus den
       Angeln gehoben. Um Real Madrid zu besiegen, bleibt Union trotzdem noch ein
       Rückspiel [3][im Champions-League-Ausweichquartier Berliner
       Olympiastadion]. Auch wenn sich so mancher Köpenicker dort wohl weniger
       zuhause fühlt als am Mittwoch im Santiago Bernabéu.
       
       21 Sep 2023
       
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