# taz.de -- Giftexperte über havarierten Frachter: „Ein Cocktail an Schadstoffen“
       
       > Der Frachter „Fremantle Highway“ liegt vor den niederländischen
       > Wattenmeerinseln. Die Lage hat sich leicht entspannt. Für Entwarnung ist
       > es zu früh.
       
 (IMG) Bild: Schwierig zu bergen: brennende „Fremantle Highway“
       
       taz: Manfred Santen, Sie haben am Wochenende den [1][brennenden Frachter
       „Fremantle Highway“] selbst gesehen. Was haben Sie erlebt? 
       
       Manfred Santen: Wir haben am Samstag ein Schiff gechartert und sind von der
       Insel Terschelling aus auf zwei Meilen an den Frachter rangefahren. Da
       begann die Sicherheitszone. Die Küstenwache kontrolliert, dass man den
       Abstand einhält. Man konnte am Samstag noch eine riesige Rauchwolke sehen
       und geruchsmäßig gut wahrnehmen, dass da gerade unter anderem Plastik und
       Autoreifen verbrennen. Dass diese Wolke auch Schadstoffe und Gifte enthält,
       ist klar. Inzwischen hat die Rauchentwicklung aber nachgelassen. Das Schiff
       liegt vor Schiermonnigkoog. Man kann nur hoffen, dass das Schiff stabil
       bleibt und in einen Hafen gebracht wird, wo es gelöscht und entsorgt werden
       kann.
       
       Was würde den passieren, wenn der Frachter auseinanderbricht oder sinkt? Er
       liegt im Weltnaturerbe Wattenmeer, das sich vor allem vor der
       niedersächsischen Küste erstreckt. 
       
       Im schlimmsten Fall gelangen dann halt die Reste von 3.800 Autos im Meer,
       die größtenteils verkohlt sind. Also 3.800 mal wahnsinnig viel Kunststoff,
       der verbrannt ist. Diese Kunststoffe können bromierte
       [2][Flammschutzmittel] enthalten. Aus verbranntem PVC aus zum Beispiel
       chlorhaltigen Kabelummantelungen können Dioxine entstehen – ein Cocktail an
       Schadstoffen, der ins Meer gelangt und zum Teil einen hohen Säuregehalt
       hat. Außerdem kann Treibstoff, also Schweröl und Diesel, ins Meer gelangen,
       der zu einer Ölpest führen kann. In unmittelbarer Nähe des Schiffes werden
       Meerestiere direkt bedroht sein. Mit Ebbe und Flut würden sich die
       Schadstoffe verteilen.
       
       Welche Auswirkungen haben die Gezeiten? 
       
       Bei Ebbe bleibt die Schadstoff-Emulsion auf dem Sediment liegen, was
       dramatische Auswirkungen haben kann auf Muscheln, Wattwürmer, Krabben –
       alles, was da im Boden lebt. Wir haben im Wattenmeer sehr viele Seevögel,
       auch Zugvögel machen dort demnächst wieder Rast. Sie alle picken im
       Meeresboden rum und können so die Schadstoffe aufnehmen. Das Ausmaß lässt
       sich schwer voraussagen. Es wird aber groß sein. Tiere und Pflanzen wären
       gefährdet und könnten eingehen. Die Auswirkungen wären langfristig.
       
       Jetzt muss der Frachter in einen Hafen. Welcher könnte das sein? 
       
       Wir haben keine Informationen darüber, auch das Havarie-Kommando hat uns
       keine Antwort gegeben. Wahrscheinlich sind die Behörden noch dabei, den
       geeigneten Hafen zu suchen. Der niederländische Industriehafen Eemshaven
       kommt infrage, er ist am nächsten dran, sonst auch Emden oder
       Wilhelmshaven. In Eemshaven müsste es die Möglichkeit geben, ein
       Hafenbecken mit einer Ölsperre zu versehen, sodass man löschen und das
       Wasser abpumpen und reinigen könnte. Dort, wo der Frachter zurzeit liegt,
       gibt es keine Möglichkeit zu löschen, ohne dass Schadstoffe ins Wasser
       gelangen.
       
       Sind denn jetzt schon Schadstoffe ins Meer gelangt? 
       
       Einige Tage lang wurden die Schiffswände von außen mit Wasser gekühlt, was
       richtig war. Aber sicherlich hat das Kühlwasser Schadstoffe ins Wasser
       transportiert. Man kann nicht genau sagen, wie viel. Im Meer gab es zwei
       Meilen entfernt keine Auffälligkeiten. Wir haben Proben genommen. Diese
       sind jetzt im Labor. Die Untersuchung wird aber eine Weile dauern. Die ganz
       große Katastrophe ist bisher nicht eingetreten. Wenn der Frachter droht zu
       sinken, werden wir wieder hinfahren und das dokumentieren.
       
       Kann oder sollte der Transport von E-Autos auf dem Meer [3][sicherer
       gemacht] werden? 
       
       Es gibt bereits jetzt einen Haufen Regelungen dazu, wie so ein Transport
       sicher gestaltet werden kann. Zum Beispiel gibt es Empfehlungen zu
       Sprinkleranlagen oder zum Transport von E-Autos in extra abgeschotteten
       Compartements. Und die Bodenfreiheit muss gewährleistet sein: Das heißt,
       dass die Autos nicht aufsitzen und von unten beschädigt werden können. Denn
       die Batterien sind unten eingebaut. Ob das alles hier eingehalten wurde,
       kann ich nicht sagen.
       
       Müssen die Transportrouten weiter weg von der Küste verlaufen? 
       
       Das haben wir schon ein paar Mal gefordert seit der [4][Havarie] des „MSC
       Zoe“ vor vier Jahren. Schiffe mit hohem Schadstoffpotenzial sollten
       woanders langlaufen. Insgesamt muss man den globalen Welthandel infrage
       stellen. Je mehr Autos hergestellt und nach Japan und China exportiert
       werden und je mehr man denkt, der Individualverkehr müsse gefördert werden,
       desto höher ist das Risiko.
       
       2 Aug 2023
       
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