# taz.de -- Macrons Rentenreform in Frankreich: Zermürbungstaktik und Abschussliste
       
       > Auch wenn die Linke und die Gewerkschaften dies nicht wahrhaben wollen:
       > Der Konflikt ums Pensionseintrittsalter ist zu Ende gegangen.
       
 (IMG) Bild: Aller Proteste zum Trotz setzt Emmanuel Macron seine Rentenreform durch
       
       Paris taz | Es ist kein Triumph, sondern ein Sieg nach Punkten dank einer
       monatelangen Strategie der Zermürbung. Staatspräsident Emmanuel Macron
       sieht sich als Gewinner eines außerordentlich harten Seilziehens um eine
       unpopuläre Rentenreform. Der Streit ist nicht wirklich beigelegt, der
       Widerstand gegen die Anhebung des gesetzlichen Pensionsalters von 62 auf 64
       Jahre hat sich in eine resignierte Wut verwandelt. Am letzten Montag war
       ein Misstrauensantrag der linken Union NUPES gegen die französische
       Regierung von Premierministerin Elisabeth Borne klar abgelehnt worden. Zum
       17. Male hatte die Opposition damit vergeblich versucht, die Regierung zu
       stürzen.
       
       Dieser erfolglose Misstrauensantrag am 12. Juni war das letzte
       parlamentarische Rückzugsgefecht der Opposition, die so allenfalls das
       Gesicht vor der Öffentlichkeit wahren möchte. Noch immer lehnt es in
       Frankreich eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung ab, dass die Regierung
       das Rentenalter auf 64 Jahre angehoben hat, und mehr noch die Methoden, mit
       denen sie das – ohne Votum der Abgeordneten – durchgesetzt hat. Für die
       Gewerkschaften, die seit Januar in einer seltenen Eintracht gegen diesen
       Angriff auf „soziale Errungenschaften“ und die demokratischen Rechte
       gekämpft hatten, war ihr Aktionstag am 6. Juni der letzte einer langen
       Reihe. Ein „Schwanengesang“ der Reformgegner, kommentierten zahlreiche
       Medien.
       
       Von links muss Borne vorerst nicht viel befürchten. Die wirkliche Gefahr
       für sie kommt nicht von ihren verbitterten Gegnern, sondern von
       befreundeten Kreisen der Staatsführung, die gegenwärtig Gerüchte
       zirkulieren lassen, denen zufolge noch vor der Sommerpause als politische
       „Flurbereinigung“ eine große Regierungsumbildung samt Nominierung eines
       neuen Premiers anstehe. In den französischen Medien wird seit Tagen heftig
       über Bornes angebliche Ablösung spekuliert. Macron hätte ein echtes
       Interesse, mit einer neuen Equipe für die „Rentrée“ im September einen
       Neubeginn zu proklamieren. Das tönt plausibel, denn der Präsident hat zwar
       seinen Willen durchgesetzt, aber das hat ihn viel politisches Kapital
       gekostet und auch seine Regierung ist arg geschwächt.
       
       Dass ein Premierminister vom Präsidenten zur Besänftigung des Volkszorns
       geopfert wird, das hat in Frankreich eine lange Tradition. Borne hat loyal
       die von Macron beschlossene Linie verfolgt, obschon sie dem Vernehmen nach
       nicht immer zu 100 Prozent damit einverstanden war. Es wäre ein Zeichen
       krasser Undankbarkeit seitens des Staatschefs, sie jetzt fallen zu lassen.
       Sie selber mag dies nicht glauben. In einem langen Interview mit Le Figaro
       hat sie am Donnerstag, zuversichtlich und scheinbar unbeeindruckt von den
       Gerüchten, von ihren Pläne und Aufgaben als Regierungschefin in den
       kommenden Monaten gesprochen. „Aufgeben ist nicht Bestandteil meiner DNA“,
       lautete ihre knappe Antwort auf die Frage, ob sie immer noch die richtige
       Person für ihre Aufgabe sei.
       
       Recht hatte die Regierungschefin, als sie vor dem Votum über den
       Misstrauensantrag erklärte, es gebe keine „alternative Mehrheit“ gegen sie.
       Nur haben aber auch die Regierungsparteien in der Nationalversammlung seit
       einem Jahr keine absolute Mehrheit mehr. Jede Gesetzesvorlage, und
       letztlich das Überleben der Regierung, hängt vom Gutdünken und dem Goodwill
       der konservativen Abgeordneten der Partei Les Républicains (LR) ab. Die
       eigentliche Frage ist es eher, mit welcher Mehrheit der Staatspräsident in
       den noch fast vier verbleibenden Jahren seine Macht ausüben kann. Denn so
       groß auch seine Kompetenzen sein mögen, er braucht dennoch eine Mehrheit
       von Ja-Sagern, die seine Vorhaben im Parlament absegnen.
       
       In den letzten Monaten verließ sich Macron auf die punktuelle Unterstützung
       eines Teils der LR-Abgeordneten bei wichtigen Abstimmungen. Diese sitzen
       bisher offiziell in der Opposition, ohne aber wirklich gegen die Regierung
       zu arbeiten. Wäre es nicht sinnvoller, ihnen eine Allianz oder eine
       Koalition schmackhaft zu machen? Über diese strategische Bündnisfrage
       sollen die Kader der Macron-Partei Renaissance (vormals En marche) am
       kommenden Mittwoch beraten.
       
       Der Preis für eine solche Mitte-Rechts-Allianz mit LR wäre bestimmt hoch:
       Für eine Regierungsbeteiligung dürften die Konservativen nicht nur wichtige
       Ministerien für sich beanspruchen, sondern womöglich sogar das Amt des
       Premiers. Und wer käme infrage, wer hätte das nötige Format?
       Ex-Staatspräsident Nicolas Sarkozy wäre vermutlich der Einzige, er plädiert
       seit Längerem für eine Koalition mit LR. Er wurde darum zu Beratungen mit
       Macron in den Elysée-Palast eingeladen. Doch würde er es akzeptieren, die
       zweite Geige zu spielen? Sein Problem sind zudem zwei Verurteilungen und
       weitere bevorstehende Gerichtstermine. Nicht alle LR-Leute sehen in ihm
       noch den Boss von früher.
       
       Beim LR gibt es andere Pläne: Mit einem Vorschlag für ein neues Asyl- und
       Immigrationsgesetz möchte LR die Regierungspolitik nach rechts ziehen. Mit
       dieser Debatte testen die Konservativen die Bereitschaft der „Macronisten“,
       politische Konzessionen zu machen. Da das Regierungslager angeschlagen ist,
       steigen ihre Forderungen. Zu weit dürfe die Rechtswende nicht gehen, warnt
       der historische Verbündete des heutigen Staatschefs, der Zentrumsdemokrat
       François Bayrou, seinen Freund Macron: „Emmanuel Macron wurde auf einem
       Sockel der Mitte gewählt, und das allein schafft das Gleichgewicht, das es
       garantiert, sowohl mit der republikanischen Rechten wie mit der
       sozialdemokratischen Linken reden und kooperieren zu können.“ Macron
       riskiere den Verlust seiner „politischen Kohärenz“, wenn er seine Position
       des „Sowohl-als-auch“ mit einem Rechtsrutsch aufgebe. Angesichts dieser
       komplexen Ausgangslage hat Borne, vielleicht „faute de mieux“, doch gute
       Aussichten, noch bis zum Herbst Regierungschefin zu bleiben.
       
       Andere Regierungsmitglieder dagegen stehen auf der Abschussliste.
       Namentlich Macrons ehemalige Sprecherin und derzeitigen Staatssekretärin
       Marlène Schiappa. Sie hatte bereits mit einem Interview im Playboy-Magazin
       für Schlagzeilen gesorgt, und am Mittwoch geriet sie in die Bredouille, als
       sie vor einer Untersuchungskommission des Senats wegen des Verdachts auf
       Begünstigung bei der Vergabe von Subventionen des ihr als Vizeministerin
       2021 unterstellten „Fonds Marianne“ Auskunft geben musste. Andere, wie
       beispielsweise Umweltminister Christophe Béchu, blieben derart farblos,
       dass ihr Abgang kaum bemerkt würde. Und natürlich gibt es umgekehrt,
       namentlich mit Innenminister Gérald Darmanin und Wirtschaftsminister Bruno
       Le Maire, prominente Politiker mit Ambitionen, die lieber heute als morgen
       Premierminister anstelle von Borne würden. Die Gerüchte geben ihnen
       Hoffnung.
       
       17 Jun 2023
       
       ## AUTOREN
       
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