# taz.de -- Die Wahrheit: Kugel? Scheibe? Schugel!
       
       > Wie ein Wissenschaftler einen jahrhundertealten Streit schlichten will,
       > der die ganze Erde im Bann hält und schon viele Menschenleben gefordert
       > hat.
       
 (IMG) Bild: Dieser Gelehrte favorisiert das Modell „schlappe Kugel“
       
       Die Erde ist eine Kugel! Das behaupten immer wieder Elfenbeintürme
       bewohnende Wissenschaftsfanatiker. Technologieoffene Querbürger hingegen
       wissen: Die Erde ist eine Scheibe! Ein unlösbarer Konflikt, der seit
       Jahrhunderten schwelt wie ein Grubenbrand im Braunkohletagebau Lützerath.
       
       Doch jetzt scheint eine Lösung in greifbare Nähe gerückt zu sein. Der
       thüringische Wissenschaftler Prof. Dr. Diether Thümmler behauptet, sie
       gefunden zu haben. Wir treffen ihn in seinem gemütlichen Ein-Personen-Büro
       im zweiten Untergeschoss eines alten Nebengebäudes der Universität
       Lemmingen.
       
       „Kugel, Scheibe, Kugel, Scheibe“, lamentiert der 53-jährige Thümmler, als
       wir auf zwei wackeligen Bücherstapeln Platz genommen haben. „Potäto,
       Potato, Potatoe – möchten Sie?“, schiebt er uns ein Schälchen
       Kartoffelchips hin.
       
       „Beide Lager haben ja gute Argumente für ihre, ich sag mal,
       Weltanschauung“, fährt Thümmler fort. „Die Anhänger der Kugeltheorie sagen,
       dass man von kaum einer Form besser herunterfallen kann als von einer
       Scheibe, die auf dem Rücken von vier Elefanten ruht, die auf einer
       Schildkröte stehen, die durch das Weltall schwimmt.“
       
       ## Gefressen von Monstern
       
       Tatsächlich gibt es Berichte aus der Vergangenheit, dass genau dies immer
       mal wieder geschehen ist. Schiffe fuhren über den Rand der Erde und blieben
       verschollen. Ganze Besatzungen wurden von Monstern gefressen. Oder von
       Elefanten. Oder der Schildkröte.
       
       „Da ist natürlich auch ein bisschen Eigenverantwortung gefragt“, meint
       Thümmler. „Man muss da ja nicht so nah an den Rand ran gehen. Es kommen
       immer wieder Forderungen, dort endlich einmal ein Geländer oder ein kleines
       Mäuerchen hinzubauen, aber das lehnen die Erdscheiben-Vertreter strikt ab.
       Niemand hat die Absicht, ein Mäuerchen zu bauen, verstehen Sie? Davon
       abgesehen verschwinden ja auch heute noch Menschen, allein in Deutschland
       wurden im letzten Jahr 104.000 als vermisst gemeldet. Und die fallen sicher
       nicht über den Rand der Erde. Vielleicht werden die ins Weltall
       geschleudert“, lacht Thümler.
       
       „Außerdem, sagen die Scheibisten, selbst wenn es so etwas wie eine
       Schwerkraft gäbe, die natürlich ausgedacht ist: eine Kugel rollt. Die würde
       unweigerlich ganz viele Menschen zerquetschen. Allein aus
       Sicherheitsaspekten ist die Scheibe einer Kugel eindeutig vorzuziehen“,
       fasst Thümmler die gängige Lehrmeinung unter den Erdscheiben-Vertretern
       zusammen.
       
       Diesen grundsätzlichen Streit will der umtriebige Prof. Thümmler nun ein
       für allemal beilegen. „Meine Forschung hat mir gezeigt, dass die Erde
       sowohl Kugel als auch Scheibe ist. Hier“ – er zeigt auf eine Weltkarte, die
       an der Wand hinter ihm hängt – „flach! Aber gleichzeitig hier“ – er
       präsentiert seinen kleinen Schlüsselanhänger, einen schon etwas abgenutzten
       Globus – „rund! Das ist wie beim Licht, das ist ja auch sowohl Teilchen als
       auch Welle. Oder wie bei Schrödingers Katze. Da und nicht da. Sozusagen
       Schrödingers Erde. Sowohl Kugel als auch Scheibe. Ich nenne sie Schugel.“
       
       Die Schugel ist nach Thümmlers Theorie ein für Menschen gar nicht
       erfassbares 14- bis 21-dimensionales Objekt, dessen Projektion in unseren
       dreidimensionalen Raum das ist, was wir täglich sehen – oder eben nicht
       sehen, weil wir auf ihr stehen, auf der Erde.
       
       „Das ist ja auch das Praktische an meinem integrativen Schugel-Modell“,
       erklärt Thümmler. „Sie können auf der Schugel ganz gefahrlos umherlaufen,
       ohne herunterzufallen.“
       
       ## Ende ohne Rand
       
       Die Schugel habe auch keinen eigentlichen Rand, sagt Thümmler. „Im
       Mittelalter schon. Vor meiner Theorie. Aber wenn sie heutzutage zum Rand
       kommen, gehen Sie einfach wie auf einer Kugel weiter, bis sie am
       gegenüberliegenden Ende der Schugel wieder herauskommen.“
       
       Das würde bedeuten, man ginge auf der Unterseite entlang.
       
       „Nein. Es gibt gar keine Unterseite, es gibt nur eine Oberseite. Durch den
       Kugelaspekt der Erdschugel kommt man sofort wieder auf der anderen Seite
       der Scheibe also der Erd-Schugel heraus. Ja, das ist tatsächlich noch
       schwer zu verstehen. Wie bei Schrödinger. Die Erde ist sowohl Kugel als
       auch Scheibe, aber auch nichts von beidem. Und sobald wir den Kasten
       öffnen, ist sie entweder das eine oder das andere. Kommt darauf an, was sie
       sehen wollen. Oder sehen können. Oder was gerade am praktischsten ist.“
       
       Er nimmt sich eine Handvoll Chips und lehnt sich zurück.
       
       Die Kugel-Anhänger an der Uni Lemmingen, denen er seine Theorie vorgestellt
       hat, wollten ihn vom Campus werfen. Die Scheibenanhänger waren da offener,
       berichtet er. „Wissenschaft hat eben auch viel mit Toleranz zu tun. Und
       davon können sich viele Kugel-Anhänger eine Scheibe abschneiden.“
       
       28 Jun 2023
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael-André Werner
       
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