# taz.de -- Kevin Spacey im „Zeit-Magazin“: Nach dem Canceln das Comeback
       
       > Wenn sie prominent sind, werden mutmaßliche MeToo-Täter schnell
       > rehabilitiert. Das zeigt nicht nur ein aktuelles Interview mit Kevin
       > Spacey.
       
 (IMG) Bild: Sieht sich auf der Ersatzbank: Schauspieler Kevin Spacey
       
       Könnte nächsten Monat vielleicht schon das große Comeback-Interview mit
       Till Lindemann im Zeit-Magazin kommen? Schlagzeile: „Ich dachte, sie
       wollten es auch … Vielleicht hätte ich sie zuerst wecken sollen.“ Eine
       Journalistin könnte mit dem Popstar Gassi gehen, einen Kaffee to go in der
       Hand. Abends ginge man in eine verranzte Kneipe, in der jeder „den Till“
       kennt und schätzt.
       
       Natürlich würde man im Interview nicht [1][über die Vorwürfe sexualisierter
       Gewalt sprechen], die eine ganze Reihe junger Frauen gegen Lindemann
       erheben. Man würde behaupten, das liege daran, dass das juristische
       Verfahren noch läuft, in Wahrheit ginge es darum, dass der Sänger nicht
       eingeschnappt ist und das Exklusivinterview kurzerhand abbricht, welches
       online natürlich auf Englisch übersetzt und bitte von allen internationalen
       Medien zitiert würde.
       
       Lindemann dürfte sicher erzählen, wie schwer die Zeit war, nachdem sein
       Label bekannt gab, weniger Werbung für seine Platte zu machen, und eine
       Handvoll Leute sich tatsächlich mit Transpis vor dem ausverkauften
       Stadionkonzert trafen, um gegen den Rammstein-Auftritt zu protestieren.
       Erschütternd. Diese Cancel Culture zerstört doch jeden.
       
       Das ist natürlich alles ausgedacht und rein hypothetisch, ich denke, die
       meisten Leser_innen verstehen den Zweck eines Konjunktivs. Es sei trotzdem
       noch mal erwähnt für potenziell mitlesende, übereifrige Anwaltskanzleien.
       Aber nur weil etwas ausgedacht ist, bedeutet das nicht, dass alles daran
       Humbug ist. Nachdem das Zeit-Magazin im vergangenen Monat ein so
       unkritisches Interview mit Quentin Tarantino druckte, als sei es 1996,
       legte das Lifestyleheft diese Woche nach, mit einem exklusiven Interview
       mit US-Schauspieler Kevin Spacey.
       
       [2][Genau, der Kevin Spacey], dem von mehreren Männern sexuelle Übergriffe
       bis hin zu Vergewaltigung vorgeworfen werden. In zwei Prozessen wurde er
       freigesprochen, der dritte steht noch an, in London. Kann man machen,
       Spacey kurz vor dem wichtigen Prozess auf ein Käffchen zu treffen und das
       Cover dafür freizuräumen. Aber mit welchem Motiv? „Vielleicht hofft er,
       dass ein europäisches Medium wie das Zeit-Magazin weniger scharf über ihn
       berichtet, als es ein amerikanisches Medium tun würde“, mutmaßt der Text
       jedenfalls über das Motiv des Schauspielers, um dann genau das zu machen:
       Kuscheln – und zwar mit Ansage.
       
       ## Am Ende haben alle was davon
       
       Wie schnell mutmaßliche Täter von diesem Kaliber rehabilitiert werden
       können, zeigt diese Woche auch ein Auftritt von Filmstar Ezra Miller bei
       einer Filmpremiere in Hollywood. Miller wurde von mehreren Frauen
       Körperverletzung und Belästigung vorgeworfen. Außerdem steht Miller im
       Verdacht, eine Art Kult zu unterhalten und vorrangig junge Fans unter
       Drogen zu setzen.
       
       Nach einem kurzen Rückzug aus der Öffentlichkeit erschien Miller nun zur
       Premiere des Actionfilms „The Flash“, in welchem er die Hauptrolle spielt.
       Warner Bros. gab an, das werde Millers einziger öffentlicher Auftritt im
       Zusammenhang mit dem Film bleiben – was einem ungelenken Eiertanz gleicht:
       Man will sich öffentlich irgendwie zu den Vorwürfen verhalten und
       gleichzeitig von dem Buzz profitieren, den solche Skandale immer mit sich
       bringen.
       
       Und so ist auch am Zeit-Magazin-Interview mit Spacey interessant, dass der
       Schauspieler weder auf Unschuldslamm macht, noch irgendeine Art von Reue
       zeigt. Er sieht sich eher auf der Ersatzbank und gibt an, dass er – sobald
       er den Prozess gewinne – hochkarätige Rollenangebote bekommen werde von
       großen Namen, die seit Jahren mit ihm arbeiten wollten, aber sich nicht
       trauten, aus Angst davor, gecancelt zu werden.
       
       Sicher hat Spacey Recht. Der große Cannes-Auftritt von Frauenschläger
       [3][Johnny Depp etwa dürfte ihm Hoffnungen] gemacht haben. Und das
       Comeback, das ihm der nun allseits zitierte Zeit-Magazin-Titel noch vor dem
       Prozess beschert, ist das perfekte Sprungbrett. Am Ende haben halt alle was
       davon.
       
       16 Jun 2023
       
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