# taz.de -- Organisiertes Verbrechen im Trentino: Die Mafia im Dorf
       
       > Die italienische Gemeinde Lona-Lases bei Trient steht still, seitdem eine
       > Polizeioperation Unterwanderung durch die Mafia und Korruption ans Licht
       > brachte.
       
       Lona-Lases/Trient taz | Die Busfahrt von Trient nach Lona-Lases im
       Cembratal dauert eine halbe Stunde und fühlt sich an wie eine Kaffeefahrt:
       Altersdurchschnitt über 60, die Signora auf der anderen Seite vom Korridor
       scrollt durch Facebook, und irgendwann werden resolut alle Kippfenster
       geschlossen, „sonst bekommen wir einen Zug“. Draußen zieht die
       Dreifaltigkeit der Alpen vorbei: grüne Wiesen und Wälder, felsgraue
       Bergspitzen, blauer Himmel. Doch die idyllische Kulisse ist Schauplatz
       eines kleinen Politdramas.
       
       Am 15. Oktober 2020 schlugen die Carabinieri zeitgleich im Trentino und in
       Kalabrien zu und verhafteten 19 Personen. Die Anklage: Mitgliedschaft in
       einer mafiösen Vereinigung, Erpressung, Gewalt und Stimmenkauf, aber auch
       Versklavung von Arbeiter:innen und illegaler Waffenbesitz. Das
       italienische Antimafiakriminalamt DIA hob hervor, dass zum ersten Mal eine
       feste Gruppe der [1][’Ndrangheta], ein sogenanntes locale, in der Region
       Trentino-Südtirol festgestellt wurde.
       
       Die Ermittlung trug den Namen „perfido“ und verwies damit auf die
       Gesteinsart Porphyr, die um Lona-Lases in großem Stil abgebaut wird. In
       dieses Geschäft hatte sich die Mafia gezielt eingeschlichen. Von den 19
       Verhafteten wurden 3 in erster Instanz zu insgesamt 28 Jahren Haft
       verurteilt, einer wurde freigesprochen. Zwei weitere Angeklagte einigten
       sich zuerst auf eine Verständigung mit dem Gericht, die aber vom
       Kassationsgerichtshof für ungültig erklärt wurde. Für die übrigen
       Angeklagten läuft der Prozess noch.
       
       Hinter dem Rathaus von Lona-Lases ragt ein Porphyrsteinbruch hervor, dessen
       rötliche Steinstufen sich deutlich von dem bewaldeten Hang abheben. Mittags
       um 13 Uhr ist es ruhig im Rathaus, die Lichter auf den Fluren sind aus.
       Marco Galvagni ist der Einzige, der nicht zur Mittagspause außer Haus ist.
       „Ich gehe nicht in das Café nebenan“, sagt er, „aus Gewohnheit. In zwanzig
       Jahren war ich vielleicht zwei-, dreimal dort.“ 
       
       Galvagni kommt aus Trient, er ist seit 2002 Gemeindesekretär und damit
       ranghöchster Beamter in Lona-Lases, zu seinen Aufgaben gehören die Leitung
       des Personals und die Teilnahme an Gemeinderatssitzungen. Niemand kennt die
       Lage im Ort so gut wie er. Die Mittagspause im Café vermeidet er aus
       Prinzip, genauso wie er nicht mit den örtlichen Unternehmer:innen
       essen geht. Denn gerade in so einem kleinen Ort, sagt er, „spielt sich im
       Grunde alles an der Bar ab“. Er will seine Unabhängigkeit bewahren. „Für
       mich war es immer wichtig, eine absolut neutrale Position einzunehmen.“
       
       Schon Jahre vor der Operation Perfido fielen ihm einige Ungereimtheiten in
       Lona-Lases auf, vor allem Interessenkonflikte. 2019 beschäftigte sich auch
       der ständige Antimafiauntersuchungsausschuss des italienischen Parlaments
       mit mafiösen Infiltrierungen im Porphyrsektor. Damals sagte Galvagni aus:
       „Im Jahr 2010 hatte ich zufällig Zugang zu einer Datenbank der
       Handelskammer und begann, die Verbindungen zwischen den
       [Porphyr-]Unternehmen zu überprüfen. Ich entdeckte, dass die Unternehmen
       des Sektors alle miteinander verbunden waren.“ Ab 2013 war Galvagni auch
       für die Korruptionsprävention in seiner Gemeinde verantwortlich. Also
       schrieb er einen Antikorruptionsplan für Lona-Lases und schlug
       Gegenmaßnahmen vor. „Infolge dieser Aktivitäten wurde ich, um es milde
       auszudrücken, in meiner Arbeit behindert“, sagt Galvagni trocken; so wurde
       beispielsweise ein Disziplinarverfahren wegen seiner Abwesenheit bei einer
       Sitzung eingeleitet, obwohl er sich bei einer zeitgleich stattfindenden
       anderen Sitzung befand.
       
       Galvagni erzählt seine Geschichte nicht zum ersten Mal, in den örtlichen
       Medien sorgte die Aufdeckung der Mafia-Gruppierung in dem kleinen Ort für
       Schlagzeilen. Doch sie kam nicht aus heiterem Himmel: Noch vor der
       Operation Perfido war die regionale Sektion des Antimafiavereins Libera vor
       Ort. Die gewerkschaftsähnliche Gruppe Comitato Lavoro Porfido (CLP) hatte
       sie über beunruhigende Vorgänge in den Steinbrüchen informiert: Ausbeutung,
       Schwarzarbeit, fehlende Lohnzahlungen. Also organisierte Libera öffentliche
       Veranstaltungen, um die Zustände in den Steinbrüchen des Cembratals zu
       thematisieren. Die Reaktionen in Lona-Lases beschreibt Chiara Simoncelli,
       Präsidentin von Libera Trentino, so: „Der CLP wurde als der übliche
       Zerstörer angesehen, als Schlechtredner, Übertreiber, als jemand, der Dinge
       sieht, die es gar nicht gibt.“
       
       „Wenn man diese Sachen macht, muss man damit rechnen, dass man allein
       arbeitet“, sagt Galvagni an seinem Schreibtisch im Rathaus von Lona-Lases.
       Er hat Ringe unter seinen freundlichen, hellblauen Augen. Während er
       spricht, hält er die entsprechenden Unterlagen auf seinem Computer bereit.
       Er schiebt die schwarz gerahmte Brille auf seine Glatze, um sich müde die
       Augen zu reiben. „Die Situation ist besorgniserregend, sehr
       besorgniserregend“, sagt er. „Ich habe festgestellt, dass es selbst in der
       öffentlichen Verwaltung im Trentino mafiaähnliche Dynamiken gibt.“ Dass
       Staatsanwält:innen, Polizist:innen und Beamt:innen mit zwielichtigen
       Gestalten essen gingen. „Es kann nicht sein, dass die Trentiner Behörden
       auf Kontrollen verzichtet haben, auch im Austausch gegen Wählerstimmen.“ Im
       Dezember 2022 fiel das erste Urteil infolge der Operation Perfido, das die
       Unterstützung von Politikern im Austausch für Gefälligkeiten gerichtlich
       bestätigt.
       
       Hier legt Galvagni den Finger in die Wunde: Die ’Ndrangheta breitete sich
       nicht nur im Porphyrgeschäft aus, sie infiltrierte gezielt die örtliche
       Verwaltung und Politik. So sagte der regionale Antimafiastaatsanwalt Sandro
       Raimondi 2020: „Es wird deutlich, wie die schrittweise Unterwanderung der
       Lokalpolitik durch das Einführen von Clan-Mitgliedern in die kommunalen
       Führungsgremien von Lona-Lases mit dem offensichtlichen Ziel geplant wurde,
       deren politische und administrative Aktivitäten zu beeinflussen. In diesem
       Zusammenhang wurde nicht nur ein dichtes Netz von Kontakten zu
       verschiedenen Bereichen der Zivilgesellschaft (Unternehmen, Institutionen,
       Politik) geknüpft, sondern auch einigen Kandidaten Wahlunterstützung
       angeboten.“
       
       Lona-Lases ist aus mehreren Gründen besonders anfällig für diese
       Unterwanderung. Auf der einen Seite lockt der Porphyrabbau mit hohen
       Gewinnen, noch dazu liegt die Vergabe der Konzessionen für die öffentlichen
       Steinbrüche in der Hand der 900-Einwohner-Gemeinde. Um Bürgermeister zu
       werden, braucht man nur eine begrenzte Anzahl an Stimmen – wer hier eine
       Wahl beeinflussen will, hat es leichter als in einer Millionenstadt wie
       Mailand. Noch dazu war für die Einwohner:innen des Trentino die Mafia
       ein weit entferntes Problem. „Man hat mit der Vorstellung gelebt, dass wir
       aus dem Trentino kommen, dass wir die Guten sind, dass sie (die Mafiosi;
       Anm.d. R.) an uns nicht vorbeikommen, dass sie hier nicht bleiben, dass sie
       nicht da sind, weil wir besser sind als andere“, so Galvagni.
       
       Doch letztlich zeigten sich einige Unternehmer:innen in Lona-Lases den
       Mafiosi gegenüber nicht abgeneigt. Mit ihnen zusammenzuarbeiten bedeutete
       kurzfristig geringere Personalkosten – indem beispielsweise die
       Arbeiter:innen des Steinbruchs extrem ausgebeutet und mit körperlicher
       Gewalt eingeschüchtert wurden. Was hinter den niedrigen Kosten steckte,
       wollte so mancher vielleicht gar nicht so genau wissen. Auch hier waren die
       Anzeichen schon vor der Operation Perfido da: 2014 wurde der chinesische
       Porphyrarbeiter Hu Xupai in einem Steinbruch brutal geschlagen, er
       erstattete mit Unterstützung des CLP Anzeige, 2019 war auch die letzte
       gerichtliche Instanz da, die die Täter schuldig sprach. Einer der
       Verurteilten wurde in der Operation Perfido erneut verhaftet. Laut
       Medienberichten hat er die Entschädigung an Hu Xupai bis heute nicht
       gezahlt. Bei diesen Dynamiken ist Galvagni eines besonders wichtig: „Alle
       reden von Menschen, die von außerhalb kommen, aber das sind in jeder
       Hinsicht Trentiner, ob sie seit 30 Jahren hier sind oder seit drei Jahren.“
       
       Beim Rückweg vom Rathaus zur Bushaltestelle lassen sich ebenjene
       Trentiner:innen nicht blicken. Es geht an einer recht verwaisten Ampel
       vorbei, an der Fußgänger:innen die Landstraße überqueren könnten, dann
       an einer Postfiliale mit einem altmodischen, gelben „Posta“-Schild vor der
       Tür, und zuletzt an einem Supermarkt (geschlossen). Lona-Lases ist so ruhig
       und unscheinbar wie wohl jeder andere Ort in den Trentiner Bergen mit
       weniger als tausend Einwohner:innen. Antimafiaaktivistin Simoncelli
       beschreibt eine Bürgerschaft, in der nur wenige Lust haben, über die
       Mafia-Verbindungen zu sprechen, und die in zwei Gruppen aufgeteilt ist:
       „Diejenigen, die sich stark engagieren und von den anderen, der stillen
       Mehrheit, als die angesehen werden, die allen auf die Nerven gehen und
       übertreiben.“
       
       Selbst Bürgermeisterkandidat Pasquale Borgomeo hat die Mafia anfangs nicht
       im Trentino vermutet. Als der Ex-Polizist 2013 von seiner Heimat Neapel
       nach Trient versetzt wurde, erschien ihm alles ruhig. Doch dann bemerkte er
       Anzeichen, allen voran den Drogenhandel. „Wo Drogen sind, bestehen
       Interessen, da steckt eine Menge Geld dahinter.“ Der Drogenhandel sei wie
       ein Lackmustest für die Präsenz von organisierter Kriminalität, er zeigt
       an, ob diese im jeweiligen Gebiet vorhanden ist. „Ich konnte es spüren. Es
       gibt keinen Vergleich zwischen dem Ort, aus dem ich komme, und dem, wo ich
       mich befand, aber die Anzeichen waren da“, sagt Borgomeo, während er eine
       Woche vor der Wahl einen Espresso an einem Cafétischchen auf der Piazza di
       Fiera in Trient trinkt.
       
       Sein neapolitanischer Dialekt ist unverkennbar, es ist ein Dialekt, der
       sich in seiner Bildhaftigkeit zum Geschichtenerzählen eignet. Und Borgomeo
       hat viele Geschichten aus seinen Jahren im Polizeidienst zu erzählen, auch
       komische – von unverbesserlichen Kriminellen und aufgebrachten Priestern.
       In Neapel war Borgomeo als Polizist in der „Falken“-Einheit auf dem
       Motorrad gegen die Straßenkriminalität im Einsatz. Lona-Lases kannte er bis
       zur Operation Perfido kaum. „Ich war ein paar Mal mit meiner Frau dort
       gewesen. Wir haben es als einen schönen, ruhigen, friedlichen Ort
       wahrgenommen, ganz anders als die Orte rund um Neapel“, sagt er. Dass er
       mit 60 Jahren als Bürgermeister in einem Dorf im Trentino kandidieren
       würde, hätte er nie gedacht.
       
       Es kam dazu, weil die letzten drei Wahlanläufe in Lona-Lases ins Leere
       liefen. Der letzte Bürgermeister des Ortes, der im September 2020 nur
       wenige Wochen vor der Operation Perfido das Amt antrat, warf nach acht
       Monaten das Handtuch. Nicht nur wegen der Aufdeckung der
       Mafia-Infiltrationen, die Lona-Lases wie ein Tsunami traf, sondern auch
       wegen verwaltungstechnischer Schwierigkeiten. „Wir sind am Ende unserer
       Kräfte“, fasst Galvagni es zusammen. „Wenn hier einer krank wird, können
       wir das Rathaus zumachen.“
       
       Es fehlten Buchhalter:innen, Landvermesser:innen, Sachbearbeiter:innen, wie
       in vielen kleinen Gemeinden in der Region. Daran hat sich bis heute kaum
       etwas gebessert. „Wir haben eine Stelle für einen Landvermesser
       ausgeschrieben und hatten eine einzige Bewerbung. Jetzt warten wir auf eine
       Zusage dieser Person“, sagt der Interimsbürgermeister Alberto Francini am
       Telefon. Er leitet Lona-Lases kommissarisch seit November 2022, zuvor war
       er Polizeipräsident in Trient, er brachte Borgomeo ins Spiel.
       
       Die beiden kannten sich über die Polizeiarbeit. So schlug Francini Borgomeo
       im Dezember 2022 vor: Lass dich in Lona-Lases aufstellen. Durch die Arbeit
       in Neapel hat Borgomeo reichlich Erfahrung im direkten Kontakt mit
       Mafia-Zugehörigen, was ihm die Aufgabe hätte erleichtern können. „Dass in
       Lona-Lases niemand kandidieren wollte, hat auf jeden Fall mit der Präsenz
       der ’Ndrangheta zu tun“, sagt Francini.
       
       Die Kandidatur ist Borgomeos erste politische Erfahrung, noch dazu in einem
       Ort, den er kaum kennt. Ein paar Tage vor der Wahl sagt er: „Schon in
       Neapel habe ich 80 Männer in einer Spezialabteilung geführt. Ich habe das
       immer mit dem gesunden Menschenverstand eines guten Familienvaters gemacht,
       denn es gibt hier kein Rezept, sondern nur Erfahrung und die Fähigkeit, die
       Dinge auf angemessene Art zu leiten, ohne sich von Enthusiasmus oder Panik
       hinreißen zu lassen.“
       
       Nachdem er seine Kandidatur Ende April öffentlich gemacht hatte, war er
       mehrfach in Lona-Lases. „Um das Gebiet ein bisschen kennenzulernen, um zu
       versuchen, dort, wo sie mich noch nicht kennen, mit den Leuten zu reden. Um
       ihre Emotionen in dieser Angelegenheit zu spüren.“ Sein Eindruck ist: Die
       Bürger:innen von Lona-Lases sind von der Geschichte zutiefst verletzt.
       „Sie haben ein tiefes Unbehagen für diese Situation, weil sie das Gefühl
       haben, dass sie als Angehörige der ’Ndrangheta gebrandmarkt werden.“ Dabei
       gehöre der Großteil der Einwohner:innen ja nicht zur Mafia.
       
       Der Gemeindesekretär Galvagni geht mit den Menschen von Lona-Lases weniger
       gütig ins Gericht. Er sagt: Das Verhalten der mafiösen
       Unternehmer:innen ist nicht zurückgewiesen worden, sondern wurde als
       nützlich empfunden. Die Mafiosi arbeiteten „in Symbiose mit den Unternehmen
       und waren bereits seit dreißig Jahren tätig. Das lässt Zweifel an den
       Kontrollen aufkommen, und wie die Ermittlungen ergaben, gingen diejenigen,
       die eigentlich kontrollieren sollten, Hand in Hand“ mit den Kriminellen.
       
       Tatsächlich geht das Antimafiakriminalamt DIA davon aus, dass sich die
       ’Ndrangheta bereits in den 70er Jahren in Trentino-Südtirol einnistete. Die
       Emigration vieler Kalabrier:innen Richtung Norden „erleichterte die
       Einschleusung von Personen, die der (’Ndrangheta;, Anm.d. R.) nahestanden
       und die die günstige geografische Lage der Region auf der Verbindungsachse
       Italien–Österreich–Deutschland nutzten, um eine Art ‚Brücke‘ zu den
       kalabrischen Ansiedlungen zu schlagen, die sich in Süddeutschland,
       insbesondere in München, niederließen“, heißt es in einem Bericht der DIA
       von 2023. Anfang der 90er Jahre konnten Strafverfolgungsmaßnahmen die
       Mafia-Organisation zurückdrängen, aber nicht endgültig besiegen.
       
       Nun ist die vierte Wahl in Lona-Lases im Sande verlaufen, „eine Niederlage
       für die Demokratie“, so Francini. Am Wahlsonntag, dem 21. Mai, wurde die
       nötige Teilnahmequote nicht erreicht. Denn auch wenn nur eine Liste
       vorhanden ist, müssen mehr als 50 Prozent der Wahlberechtigten an die Urne
       treten, damit das Ergebnis gültig ist. In Lona-Lases gab nicht einmal ein
       Drittel der etwa 600 Berechtigten eine Stimme ab.
       
       Sicherlich war es ein Nachteil für Borgomeo, dass ihn vor den Wahlen
       niemand im Ort kannte und seine Kandidatur erst spät bekannt wurde. Zudem
       stand ihm das CLP skeptisch gegenüber. Gemeindesekretär Galvagni sagt, dass
       ein Gemeinderat ohne Opposition einem versteckten Interimsrat nahekäme. Für
       Borgomeo und Interimsbürgermeister Francini hingegen ist der Unterschied
       deutlich, ein gewählter Bürgermeister könne beispielsweise bereits
       ausgeschriebene Projekte freigeben, die unter Interimsregierungen
       stillstehen müssten.
       
       Borgomeo analysiert nach der Wahl: „Die Wahlbeteiligung war niedrig, weil
       die Bürger in nicht geringem Maße entmutigt sind.“ Francini bleibt also
       vorerst an der Spitze von Lona-Lases. Was die Gemeinde dringend bräuchte,
       seien Gelegenheiten, die Vergangenheit zu verarbeiten und zu akzeptieren,
       so Antimafiaaktivistin Simoncelli. „Was passiert ist, hat das Sozialgefüge
       verändert.“ Dafür brauche Lona-Lases „eine neue Art des Zusammenseins“, wer
       über die Mafia-Unterwanderung spreche, dürfe nicht mehr als
       Schwarzmaler:in oder Spielverderber:in wahrgenommen werden.
       
       Gemeindesekretär Galvagni fordert, den Verwaltungsapparat endlich wieder in
       Gang zu bringen und zudem die Vergangenheit gewissenhaft zu untersuchen.
       „Nichts wird sich ändern, solange nicht ernsthaft untersucht wird, was
       passiert ist.“ Für ihn ist die Geschichte von Lona-Lases noch lange nicht
       abgeschlossen: „Die Diskussion über das organisierte Verbrechen und den
       Einfluss auf die öffentliche Verwaltung endet nicht mit dem Prozess oder
       den Kommunalwahlen. Ich denke, sie fängt gerade erst an.“
       
       Ein Teil der Aufarbeitung der Vergangenheit findet in den Gerichtssälen
       statt, einen anderen Teil müssen die Bürger:innen selbst bewältigen: Wie
       ist die Gemeinde in diese Situation geraten? Wer hat wie dazu beigetragen?
       Zwei Drittel der Wahlberechtigten sind nicht zur Wahl gegangen, aber eine
       Botschaft haben sie so gesendet: eine Botschaft der Mutlosigkeit und einer
       dahinsiechenden Demokratie.
       
       24 May 2023
       
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