# taz.de -- Vorwürfe gegen Flüchtlingseinrichtung: „Aufgenommen und angezeigt“
       
       > Die Bremer Innere Mission soll die ihnen anvertrauten minderjährigen
       > Geflüchteten wegen illegaler Einreise angezeigt haben und dementiert die
       > Vorwürfe.
       
 (IMG) Bild: Müsste in Bremen mit einer Anzeige rechnen: Geflüchteter Minderjähriger 2015 in Karlsruhe
       
       Bremen taz | Melden sich unbegleitete minderjährige Geflüchtete in der
       Erstaufnahmeeinrichtung in Bremen, müssen sie mit einer Strafanzeige wegen
       illegaler Einreise rechnen. Und zwar nicht durch die Polizei oder die
       Grenzbehörden, sondern durch den Verein für Innere Mission, der die
       [1][Betreuungseinrichtung in der Steinsetzerstraße] betreibt. Im Auftrag
       des Jugendamtes nimmt die Innere Mission unbegleitete Minderjährige nach
       ihrer Flucht auf, versorgt und berät sie.
       
       Der taz liegt ein Polizeischreiben vor, aus dem hervorgeht, dass der Verein
       Strafanzeige wegen illegaler Einreise eines jugendlichen Geflüchteten
       stellte. Das Absurde daran: Laut Genfer Flüchtlingskonvention ist eine
       illegale Einreise straffrei, wenn die Personen beabsichtigen, Asyl zu
       beantragen. Nach Aussage der Bremer Rechtsanwält*innen Nina Markovic
       und Jan Sürig werden selbst syrische oder afghanische Geflüchtete, die sehr
       gute Aussichten auf Asyl haben, von der Inneren Mission angezeigt.
       
       Markovic und Sürig vertreten geflüchtete Minderjährige in
       Altersfeststellungsverfahren und kennen daher deren Akten. Dort finden sie
       „standardmäßig“ Strafanzeigen der Inneren Mission wegen illegaler Einreise.
       Die Anwält*innen und der [2][Flüchtlingsrat Bremen] gehen deshalb davon
       aus, dass nahezu 100 Prozent aller unbegleiteten Geflüchteten in der Stadt
       von den Anzeigen betroffen sind. „Das ist eine sich selbst bestätigende
       Bürokratie, die von außen wenig kontrolliert wird“, sagt Rechtsanwalt
       Sürig.
       
       Damit verfehlt der drittgrößte diakonische Arbeitgeber in Bremen seinen
       Schutzauftrag: Eine Strafanzeige untergräbt das notwendige
       Vertrauensverhältnis zwischen Sozialarbeiter*innen und den Kindern
       und Jugendlichen. Außer der Polizei und der Staatsanwaltschaft sei nach
       deutschem Recht niemand dazu verpflichtet, aus eigener Initiative heraus
       Strafanzeigen zu stellen, sagt der Rechtsanwalt. Zumal es bei illegaler
       Einreise nicht einmal einen Geschädigten gebe.
       
       ## Möglichst schnell viele Daten erheben
       
       „Das ist eine Stigmatisierung der Jugendlichen“, sagt Anwältin Markovic.
       „Es ist offensichtlich, dass die illegale Einreise bei ihnen nicht strafbar
       ist. Besonders bei denen mit guten Aussichten auf Asyl.“
       
       Die Anwält*innen vermuten, dass es den beteiligten Behörden und
       Jugendhilfeträgern darum geht, möglichst schnell von allen Geflüchteten
       [3][erkennungsdienstliches Material] – also Fingerabdrücke und biometrische
       Fotos – zu sammeln. „Die Sozialbehörde will so schnell wie möglich
       abklären, ob die Geflüchteten schon in Deutschland oder anderen EU-Ländern
       registriert sind oder woanders Leistungen beziehen“, sagt Markovic.
       
       Tatsächlich aber gibt es für das Sammeln dieser Daten erst dann eine
       Rechtsgrundlage, wenn die Person Asyl beantragt. Das kann sich bei
       Minderjährigen über Monate hinziehen, denn sie können ohne Vormund, der
       ihnen vom Jugendamt zugeteilt wird, keinen Asylantrag stellen. Durch die
       Anzeigen wegen illegaler Einreise schafft man in Bremen nun eine andere
       Grundlage fürs Datensammeln. „Alle Beteiligten zusammen denken sich einen
       juristisch abenteuerlichen Weg aus, um die Geflüchteten in die
       erkennungsdienstliche Behandlung zu drängen“, so beschreibt es der Anwalt
       Jan Sürig.
       
       Zwar werden die Verfahren wegen unerlaubter Einreise in fast allen Fällen
       eingestellt, dennoch bleibt der Eintrag im Verfahrensregister. Dieser kann
       im Zweifel gegen die Heranwachsenden ausgelegt werden. „Selbst wenn das
       Verfahren eingestellt wurde, haben sie einen Fleck auf ihrer weißen Weste“,
       erklärt Markovic. Das könne dazu führen, dass ein Gericht sich beeinflussen
       lässt, falls den Jugendlichen danach eine Straftat vorgeworfen wird. Die
       Person habe ja schon Kontakt zur Polizei gehabt.
       
       „Das geht in Richtung Vorverurteilung“, sagt die Rechtsanwältin. „Bei einem
       weiteren Verfahren würden die Richter*innen eher entscheiden, dass das
       Verfahren nicht eingestellt wird, weil es schon eine Akte gibt, oder in der
       Strafe höher gehen.“ Darüber hinaus riskiere die Jugendhilfeeinrichtung
       durch ihr Verhalten, die von ihnen betreuten Geflüchteten einer
       Retraumatisierung auszusetzen, sagt Markovic. Es sei nicht selten, dass die
       Jugendlichen vorher negative Erfahrungen mit der Polizei gesammelt hätten.
       Die polizeiliche Ermittlungsarbeit, die auf die Strafanzeige folge, könne
       sehr belastend sein.
       
       Der Inneren Mission ist nach interner Prüfung kein solcher Fall bekannt.
       Der Leiter der Erstaufnahmeeinrichtung, Andreas Mückley, sagt, die
       Strafanzeigen werden nicht durch die Mitarbeitenden der
       Erstaufnahmeeinrichung gestellt. Ihm zufolge ist der Polizeibericht
       sprachlich irreführend. Die darin verwendete Formulierung, „die
       Erstaufnahmeeinrichtung meldete den Verdacht einer Straftat“, ließe falsche
       Schlüsse zu.
       
       ## Kritik gab es schon 2020
       
       Auch der Sprecher der bisher von Anja Stahmann (Grüne) geführten
       Sozialbehörde, Bernd Schneider, weist die Vorwürfe zurück, dass die Innere
       Mission Anzeige erstatte. Schneider schreibt auf Anfrage der taz, dass die
       Innere Mission „die jungen Menschen aber zur Identitätsfeststellung bei der
       Polizei melden muss“.
       
       Bereits im Jahr 2020 übte das Bündnis „Together We Are Bremen“ [4][scharfe
       Kritik am Vorgehen der Inneren Mission]. Einzelne Jugendliche wurden im
       Auftrag des Jugendamtes unter Androhung von Gewalt in Fußfesseln aus der
       Unterkunft geführt und in andere Bundesländer gebracht. In einem
       [5][offenen Brief] warf [6][das Bündnis] der Inneren Mission vor, Komplizin
       für diskriminierendes staatliches Handeln zu sein und die Jugendlichen
       nicht vor den gewaltvollen Umverteilungen zu schützen.
       
       9 Jun 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Umgang-mit-minderjaehrigen-Gefluechteten/!5658002
 (DIR) [2] https://www.fluechtlingsrat-bremen.de/
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 (DIR) [6] https://togetherwearebremen.org/
       
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