# taz.de -- Polizeigewalt in den USA: Fixiert bis zum Tod
       
       > Erneut ist in den USA ein Schwarzer getötet worden – in einer Klinik. Ein
       > Video zeigt nun, wie er minutenlang gewaltsam fixiert wird.
       
 (IMG) Bild: Unerträgliche vier Minuten: Ausschnitt aus einem am Montag veröffentlichten Video vom Tatort
       
       New York taz | „Irvo hatte ein ansteckendes Lächeln“, sagt seine Mutter.
       Ehemalige Mitschüler beschreiben ihn als einen, zu dem sie gingen, wenn sie
       Probleme hatten. Als Footballspieler war er so gut, dass er ein Stipendium
       bekam. 2020 stellte er ein Selfie online, auf dem er mit erhobener Faust
       seine [1][Solidarität mit George Floyd] bekundete.
       
       Aber in den fatalen elf Minuten am Nachmittag des 6. März, als bis zu neun
       Männer und Frauen in Uniform – Sheriff-Mitarbeiter und Angestellte eines
       psychiatrischen Krankenhauses – gleichzeitig auf ihm lagen, war der
       28-jährige Irvo Otieno allein. „Alle Systeme haben meinen Sohn im Stich
       gelassen“, sagt Caroline Ouko, „die Polizei, das Krankenhaus und die
       Justiz“.
       
       Als die Mutter 1998 mit ihren beiden Söhnen aus Kenia in die USA kam, um
       ihren „amerikanischen Traum“ zu verwirklichen, war Irvo vier. An Kenia
       konnte er sich später kaum erinnern.
       
       Nachdem sein Leben in einem Albtraum endete, will sich sein großer Bruder
       Leon Ochieng dafür einsetzen, dass kein psychisch kranker Mensch mehr so
       traktiert wird. Zwei Wochen und einen Tag nach dem [2][Tod seines Bruders]
       stand er am Dienstag dieser Woche zusammen mit seiner Mutter und den
       Anwälten der Familie auf der Kanzel der First Baptist Church in
       Süd-Richmond, wo voraussichtlich auch die Trauerfeier für Otieno
       stattfinden wird, und appellierte an den republikanischen Gouverneur von
       Virginia, Glenn Youngkin: „Machen Sie Ihren Staat zu einem Vorbild“.
       
       Zehn Personen – sieben Mitarbeiter des Sheriffs und drei Angestellte des
       Central State Hospital – sind inzwischen wegen „Mordes zweiten Grades“
       angeklagt. Die Staatsanwältin Ann C. Baskervill und eine Grand Jury im
       Dinwiddie County in Virginia betrachten sie als die Verantwortlichen für
       den Erstickungstod von Otieno.
       
       ## Gefesselt an Händen und Füßen
       
       Warum sie den Mann im Aufnahmeraum des Krankenhauses getötet haben, anstatt
       ihm zu helfen, ist ein Rätsel. Ein Video ohne Ton, das zuerst [3][die
       Washington Post veröffentlicht hat], zeigt, wie Sheriff-Mitarbeiter den nur
       mit einer Hose bekleideten, vornüber gebeugten und an Händen und Füßen
       gefesselten Otieno in den Raum schleppen.
       
       Während unerträglich langer Minuten werfen sich immer mehr Mitarbeiter,
       dann auch mehrere Krankenhausbeschäftigte auf den Körper des auf dem Bauch
       liegenden Mannes. Bei manchen sieht es aus, als knieten sie auf ihm. Ein
       weiteres halbes Dutzend Krankenhausbeschäftigte schauen der Szene scheinbar
       untätig zu.
       
       Otieno litt seit Jahren an einer psychischen Krankheit, wegen der er
       Medikamente nahm. Über lange Perioden war er symptomfrei. In
       Krisensituationen musste er stationär behandelt werden. Am 3. März war so
       eine Krise. Otieno ging in Henrico auf ein Nachbargrundstück, zog dort
       sonnenenergiebetriebene Lampen aus dem Rasen und schlug gegen eine Haustür.
       Seine Mutter lief ihm hinterher und holte ihn nach Hause. Aber ein Nachbar
       rief die Polizei.
       
       Als die Polizei kam, stellte sich die Mutter schützend vor ihren
       erwachsenen Sohn und erklärte, er befinde sich in einer psychischen Krise.
       Die Polizisten fesselten ihn. Wegen angeblichen Widerstands brachten sie
       ihn nicht in Behandlung, sondern in eine Gefängniszelle, wo sie ihn drei
       Tage lang festhielten.
       
       Bis zu Otienos Tod versuchte seine Mutter vergeblich, herauszufinden, wo er
       war. Sie konnte auch nicht dafür sorgen, dass die Polizei ihm seine
       Medikamente gab. Inzwischen ist bekannt, dass Otieno schon in der
       Gefängniszelle misshandelt worden ist. Er war dort nackt. Auf dem Boden
       lagen Fäkalien. Ein Uniformierter soll Pfefferspray in seine Zelle gesprüht
       haben. Ein anderer soll den am Boden liegenden Gefangenen vor dem Transport
       in das psychiatrische Krankenhaus geboxt haben.
       
       ## Polizeigewalt nimmt zu
       
       „Eine psychische Krise sollte nicht gleichbedeutend mit Tod sein“, sagte
       Ben Crump am Dienstag auf der Kanzel in Richmond. Der Bürgerrechtsanwalt
       hat zahlreiche schwarze Familien in den USA vertreten, deren Angehörige von
       der Polizei getötet worden sind. Trotz der Proteste von Bürgerrechtsgruppen
       ist die Polizeigewalt in den USA 2022 wieder auf den Stand von 2015
       gestiegen.
       
       Nach [4][Recherchen der unabhängigen Gruppe Mapping Violence] hat die
       Polizei im vergangenen Jahr 1.200 Menschen getötet. Zwei Drittel der Opfer
       waren Angehörige von Minderheiten. Auch dieses Jahr hat nicht gut begonnen.
       In den ersten 81 Tagen des Jahres 2023 haben Strafverfolger in den USA
       bereits 113 Menschen getötet.
       
       23 Mar 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /George-Floyd/!t5689277
 (DIR) [2] /Polizeigewalt-in-den-USA/!5922549
 (DIR) [3] https://www.washingtonpost.com/dc-md-va/2023/03/20/irvo-otieno-video-virginia-deputies/
 (DIR) [4] https://mappingpoliceviolence.org
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dorothea Hahn
       
       ## TAGS
       
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